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„hoffentlich“ - das Buch zur richtigen Zeit

Mit Corona ist etwas in mein Leben eingebrochen, das mich und sicher viele andere verunsichert aber auch verändert hat. Es stellt sich nicht nur für mich die Frage, wie soll das weitergehen? Können wir überhaupt so einfach zurück in den Alltag? Oder müssen wir etwas an unserer Lebensweise ändern, die wir vor Corona geführt haben? Ein Buch hat meinen Blick erweitert.

Normal ist nicht

Auch wenn jetzt versucht wird die Normalität wieder herzustellen, spüren wir doch, dass etwas anders ist. Ich habe selbst Zeit zum Nachdenken gehabt und zum Lesen. Der Titel "hoffentlich" von Clemens Sedmark kam zur richtigen Zeit. Denn das Leben ist nicht mehr so unbeschwert. Ich hatte das Glück, in einer Zeitspanne zu leben, die mir keine Entbehrungen abverlangt hat, in der ich mich frei bewegen und entfalten konnte. Das hat aber auch dazu geführt, dass ich vieles als selbstverständlich genutzt habe. Aber nichts ist wirklich selbstverständlich. Das zeigt mir gerade das kleine Coronavirus. Dieser Winzling verbreitet sich nach wie vor über den ganzen Globus und setzt die Welt in Angst und Schrecken. Er vernichtete bereits allein in den USA innerhalb von nur wenigen Wochen mehr als 100.000 Menschen. Wir haben unsere Sicherheit verloren, das sitzt tief in uns. Dass nicht die Natur uns vernichtet, sondern wir Menschen die Verursacher dieser Pandemie sind, ist für mich erschreckend.

Anders leben

Aber nicht nur das Virus alleine bedroht uns, sondern auch die von uns hergestellte ökologische Krise und der Klimawandel. Wenn ich ganzheitlich schaue, dann hängt alles zusammen. Deshalb braucht es in meinen Augen einen neuen Blick auf unser, auf mein Leben. Wo kann ich ganz persönlich etwas in meinem Leben verändern, damit meine Lebensweise nicht zur Verschärfung, sondern zur Erholung unserer Lebensbedingungen beiträgt. Ich habe in den letzten Monaten, in denen ich isoliert gelebt habe, schon einiges eingeübt, das ich weiterführen will. So habe ich in dieser Zeit festgestellt, dass ich nicht mehr so viel brauche, um zufrieden zu sein. Ich will auch nach Corona meinen Konsum einschränken, denn der Verzicht darauf in fast allen Bereichen meines Lebens, angefangen von Kleidung über Lebensmittel, Reisen oder Autofahren kann mein kleiner Beitrag dazu sein. Ich habe diese Wochen als Einsiedlerin gebraucht, um für mich festzustellen, dass mir die Einschränkungen im Konsum nicht weh tun, sondern mir sogar Zeit eröffnen, um mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich habe auch erlebt, dass ich mich im Alleinsein aushalten kann. Ich vermisse zwar meine Kontakte, aber werde nicht handlungsunfähig. Das ist beruhigend. In den letzten vier Monaten ist mein Leben in sehr ruhigen Bahnen verlaufen, ohne dadurch unlebendiger zu werden. Ich kann mich in Ruhe in anspruchsvollere Bücher vertiefen, in meinem Garten sitzen und meditieren, den Vögeln zuhören, den Frosch im Teich beobachten, ohne gedanklich schon wieder bei den nächsten Terminen zu sein. Ich fahre mit meinem E-bike auf die Berge, damit ich fit bleibe. Ich kann mit Ruhe junge Menschen online beraten, ohne von anderen Terminen getrieben zu sein. Dann erhielt ich „hoffentlich“ von Clemens Sedmak. Es hat auf meine jetzige Situation gepasst. Ich kann meinen Weg mit diesem Buch weitergehen.  Es hat mir weitere Einsichten eröffnet und mich sehr zuversichtlich gestimmt.

„hoffentlich, Gespräche in der Krise“

In 16 Gesprächen mit fiktiven Gesprächspartnern aus unterschiedlichen Lebens-und Arbeitswelten greift Clemens Sedmak die Fragen auf, mit denen jeder von uns in dieser Coronakrise schon konfrontiert wurde. Es sind existentielle Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt, aber für die mir das Buch neue Sichtweisen eröffnet. Da geht es unter anderem um die Ungleichheiten, die sich in der Krise verschärfen. Um Ungerechtigkeiten, um die Fähigkeit der Resilienz des Einzelnen oder um die Frage nach dem Trost, den der Seelsorger nicht geben kann.
Aber es geht auch darum, wie ich trösten kann, ohne dass es hohl und leer klingt. Wie gehe ich mit dem Schmerz, der Verwundung, der Einsamkeit des anderen um? Ein Vergleich mit den Wunden Christi und den Wunden, die Corona uns zufügt, die nach der Auferstehung auch immer noch sichtbar sein werden, ist für mich eine sehr eindrückliche Metapher in dem Gespräch mit einem Seelsorger.

Blickerweiterung und Achtsamkeit

Es sind unterschiedliche Professionen, Philosophen, Theologen, Historiker, eine Raumpflegerin, Naturwissenschaftler, Mystiker, Therapeutin, Katastrophenforscher, die sich Sedmak als seine Gesprächspartner wählt. Es sind fiktive Gegenüber, in die sich der Autor hineinversetzt. Im Gespräch eröffnen sich überraschende neue Blickrichtungen auf die Nöte in der Krise.
Neue Achtsamkeit spielt eine Rolle für das Leben im Jetzt, aber auch die Fähigkeit, den Blick zu weiten, die eigene Vorstellungskraft zu nutzen, um dem Schmerz der Gegenwart die Macht zu entziehen. Verwandlung durch Blickerweiterung kann Schöpfungskraft verleihen, so der Autor, mit der wir die Wirklichkeit verändern können.
Mit Katastrophen werden wir in Neuland gestoßen. Dort kennen wir uns nicht aus. Notsituationen erzeugen Druck und verbinden Menschen miteinander. Wir sind nicht allein und können aus der Geschichte lernen. Das setzt Kreativität frei. Nicht zuletzt entsteht auch ein Freiheitsgefühl, weil Corona uns aus der gewohnten Spur wirft. Wir können mit anderen zusammen etwas Neues für das Gemeinwohl schaffen.
Mit Besinnung können wir eine neue Weite in uns entwickeln, weil Corona uns in die Einfachheit zwingt.
In einem anderen Gespräch geht es um den Unglücklichen, der sich wie im Gefängnis fühlt. Ihm fällt die Decke auf den Kopf. Er will einen konkreten Rat von seinem Gesprächspartner. Dieser lenkt ihn auf sich selbst. Denn es geht um äußere und innere Ordnung, um Tagesstruktur und konkrete Projekte. Die Veränderung findet nicht außen, sondern in der Seele statt.
In einem Gespräch mit einer Theologin geht es um die Konsequenzen, wenn eine Pandemie oder ein Krieg Tausende von Menschen vernichtet. In diesem Gespräch kommt das Beispiel von König David ins Spiel, (Bibeltext: 2 Samuel 24,13), der wegen seiner Sünden als Strafe die Pest wählt, statt die Verfolgung oder die Hungersnot.

Da wird auch nach der Beteiligung Gottes an der Pandemie gefragt.

Aus der Sicht einer Philosophin beschreibt der Autor unsere Situation als Eintritt in ein neues Zeitalter. Kämpfe finden jetzt zwischen der Natur und den Menschen statt. Auch werden wir nicht mehr so ungezwungen planen können wie bisher. Wir brauchen einen Plan B oder C. Wir werden entschleunigter leben müssen, weil die Profitmaximierung vorbei ist. Es geht darum, weniger zu nehmen, damit ein Mehr möglich wird.
Im Gespräch mit dem Weisen zitiert Sedmak aus dem Buch Kohelet.  In dessen Text geht es um den Umgang mit Besitz und Reichtum. Um Verlust und Gewinn. Wie schwer es doch ist, Genügsamkeit walten zu lassen, wenn es noch mehr zu haben gibt. Gelingt es uns zu sagen: Es ist genug?
Besonders angesprochen hat mich sein Gespräch, in welchem er aus der Sicht der Mystikerin das Warten reflektiert: „Warten ist Arbeit“. Es ist aber auch Leben. Das heißt aber nicht, dass wir darauf warten sollen, dass alles so weitergeht wie vorher. Deswegen ist es auch Geschenk, Gabe und Aufgabe, auf der Schwelle zu Neuem zu stehen.

Für die Zeit nach Corona

Die einzelnen Gespräche haben mich sehr angesprochen, weil sie mich aus den unterschiedlichen Perspektiven heraus sowohl bestätigen als auch zu neuen Erkenntnissen führen und zum weiteren Nachdenken anregen. Mit den Dialogen entsteht Lebendigkeit. Sie wirken sogar echt, weil es dem Autor gelingt, sich gedanklich in die Gesprächspartner zu versetzen und aus ihrem jeweiligen Blickwinkel heraus zu argumentieren. Dabei nutzt er auch noch unterschiedliche Sprachstile, die zu den jeweiligen Gesprächspartnern passen. So lässt er den Geschichtenerzähler auch ein Märchen erzählen. Aus seinem Buch „Das Land in dem die Wörter wohnen“ kenne ich schon seinen Schreibstil. Er ist ein faszinierender Wortkünstler, der mit seinen Wortschöpfungen den Leser immer tiefer in das Land der Erkenntnisse verführt. Ich sage bewusst verführt, weil seine Sprache leichtfüßig daherkommt, und dennoch jeder Satz seine tiefere Bedeutung hat, so dass ich nicht einfach darüber hinweglesen kann. Sein Stil macht für mich das Lesen zu einem Genuss. Die Lebendigkeit, die die fiktiven Dialoge vermitteln, beunruhigen nicht. Es wird kein Horrorszenario entworfen, sondern Hoffnung vermittelt, wie wir aus der Krise trotz aller Schrecken Neues schöpfen können.

Es ist ein Buch, das nicht umsonst „hoffentlich“ heißt. Es schließt mit seinen Gesprächen viele Alltagssituationen auf, die mir helfen, meine Situation jetzt in der Krise mit offenen Augen zu sehen, durchzuhalten, nicht leichtsinnig zu werden und mich für das zukünftig anbrechende Zeitalter nach Corona innerlich zu sortieren. Die Dialoge unterstützen mich in der Wahrnehmung der kritischen Realität, aber mit einem zuversichtlichen Blick für Neues.  Das Büchlein ist handlich und ansprechend gestaltet. Es eignet sich sehr gut auch als kleines Geschenk, gerade jetzt in der Krise.

Clemens Sedmak ist Philosoph, Gesellschaftswissenschaftler und Theologe Jahrg. 1971

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Kategorie: Analysiert

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