Amselkinder Foto: hinsehen.net Dirk Lüdtke

Natur - unser Lebensraum

Die Coronakrise hat mir und vielen anderen Zeit geschenkt. Ich hatte „Luft“, mich um das zu kümmern, was liegen geblieben war. Vor allem konnte ich mich intensiv mit dem Leben in meinem Garten beschäftigen. Ich entdeckte, dass auch Familien mit ihren Kindern sich wieder aufgemacht haben, die Natur zu erkunden, um Erfahrungen im Lebensraum Wald zu machen.

Walderfahrungen sind Lebenserfahrungen

Als ich Kind war, konnte ich noch ohne den Einfluss einer Pandemie den Wald erleben. Es war für mich selbstverständlich, in der Natur zu sein. Der Wald war für mich ein zweites großes Kinderzimmer. Ich lebte, spielte in ihm, baute Hütten und legte Gärten an. In den Sommerwiesen, die an den Wald grenzten, pflückten wir Margeriten, Kornblumen, Trollblumen, Vergissmeinnicht als kleines Blumengeschenk für Mama zu Hause. Oft lag ich in den hohen Wiesen, um mich mit den faszinierenden Wolkengebilden in ein Märchenland zu träumen. Mit Freundinnen rollten wir uns Rouladen aus Sauerampferblättern, den Nachtisch pflückten wir uns von den Beerensträuchern. Da gab es immer reiche Ernte. Mal Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren und Blaubeeren. Nichts wurde gewaschen, wir aßen die Beeren so vom Strauch. Wir kannten weder Fuchsbandwurm noch die Gefährlichkeit von Zecken. Es war ein unkompliziertes, vertrautes Miteinander - die Natur und mein Leben in ihr. Die vielen Pflanzen, Käfer, Insekten, die großen und kleinen Tiere waren mir vertraut. Heute nennt man diese Artenvielfalt „Biodiversität“. Dieses Wort kannte ich als Kind noch nicht, aber durch mein Leben in der Natur kenne ich mich auch heute noch relativ gut in der Pflanzen- und Tierwelt. Ich lernte im Fluss schwimmen, fuhr im Winter auf dem dicken Eis Schlittschuhe. Ich hatte nie Angst im Wald. Ich fühlte mich dort sicherer als irgendwo anders. Selbst als ich aus Versehen ein Hornissennest aufschreckte und den Verfolgern entkommen konnte, setzte sich keine nachhaltige Panik vor ihnen in mir fest, sondern eher Respekt.

Wie sieht das heute aus?

Seit ich aktiv in meinem Garten „lebe“, nicht nur Rasen mähe und ein paar Blumen züchte, sondern mich für den Lebensraum der Pflanzen und Tiere immer mehr begeistere, steigt dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Natur wieder aus den Tiefen meiner Erfahrungen auf. Es ist ein besonderes Glück, die Resonanz zwischen ihr und mir zu spüren. Ich kenne jede Ecke im Garten, jedes Kraut das wächst, die wilden wie die, die ich selbst gepflanzt habe. Es gibt eine Vielzahl von Spinnen, Käfern und Schmetterlingen. Der Garten ist jeden Tag voller Überraschungen.

Hirschkäfer stehen auf der roten Liste

Eine große Hirschkäfer-Frau, man erkennt sie daran, dass sie kein großes Geweih wie die Männchen trägt, sondern nur eine kleine Beißzange hat, konnte ich vor dem Ertrinken in einer Wasserschüssel retten. Mir geht das Herz auf, weil Hirschkäfer mich in meine Kindheit versetzen, in der es noch viele von ihnen gab. Sie stehen inzwischen auf der roten Liste, ihr Lebensraum ist gefährdet. Man muss sich einmal vorstellen, dass die Larven drei, manchmal sogar bis zu 8 Jahren brauchen, um sich in der dunklen Erde, an den Wurzeln kranker Bäume oder im Totholz zum Käfer zu entwickeln. Sie verwandeln abgestorbenes Holz zu Mulch, zu gutem Boden. Kommen sie dann im Frühjahr ans Licht, haben sie nur ein paar Wochen Zeit, um Nachwuchs zu zeugen bevor sie sterben. Was ist das für ein Leben!
Dass ich in meinem Garten einen Hirschkäfer finden konnte, liegt sicher daran, dass mein Grundstück an ein verwildertes Waldstück grenzt, in dem viel Totholz liegt, das Hirschkäfern, wie auch Schmetterlingen, Fledermäusen, Spechten und anderen nützlichen Käfern Lebensraum bietet.  

Neues Leben im Nest

Ein besonderer Moment des Zaubers der Natur ist die Entdeckung eines Amselnestes in der Hecke, in dem die Mutter mit dem braunen Gefieder drei Junge großzieht. Das schwarze Männchen und ein befreundetes weißes Albino–Amselmännchen mit ein paar schwarzen Federn beschützen die Brut, wenn die Mutter das Nest verlässt. Jeden Morgen, wenn ich meinen Rundgang durch den Garten mache, begrüße ich sie. Ich rede mit ihr, damit sie meine Stimme kennen lernt. Sie sitzt ganz ruhig in ihrem Nest, die Schnäbelchen der Kleinen schauen bereits an der Seite heraus. Es ist ein solches Geschenk, den Amseln, Blaumeisen, Kohlmeisen zusehen zu können, wie sie ihr Leben in meinem Garten gestalten, im Brunnen baden, aus ihm trinken, hin und her schauen, ob auch keine Gefahr droht. Sie sind ständig in Bewegung. Die jungen Kohlmeisen, die schon flügge sind, haben noch ziemlich flaumige Federn, sind aber schon sehr neugierig und unternehmungslustig.
Alles das geschieht in meinem Garten, in dem ich mich immer mehr als einen Teil dieser Natur erleben kann. Wenn ich da sitze, um mich auszuruhen, zu beten oder zu meditieren, spüre ich tiefes Vertrauen in die Ursprünglichkeit der Natur. Ich fühle mich mit ihr in einer großen Gemeinschaft, in der jeder seine spezifischen Aufgaben hat.

Wir tragen Verantwortung

Dirk Steffens - Naturwissenschaftler und Naturfilmer für die Dokumentationen „Faszination Erde“, sagte kürzlich in einer Talkshow: „Selbst die Wissenschaft sagt: „wir sind umgeben von Existenzen, die eine Innenwelt haben, die denken und fühlen. Wir sind nicht alleine auf dieser Erde. Wir sind mit ihnen eng verbunden. Sie sind unsere Lebensgrundlage“. Vernichten wir sie, vernichten wir uns.
Spüren wir das eigentlich noch, dass die Natur uns die Lebensbedingungen sichert? Ist mir das jeden Tag bewusst, wenn ich in meinem Garten arbeite? Denken die Bauern daran, wenn sie Glyphosat verwenden, dass sie die Artenvielfalt vernichten und damit unsere Lebensbedingungen zerstören? Achten wir beim Wandern darauf, dass wir unseren Müll vom Picknick wieder mitnehmen, damit der Wald frei bleibt von Plastik?

Der Schlüssel der Menschheit liegt in der Bewahrung der Artenvielfalt

Nur wenn ich dafür sorge, dass ich in meinem Garten kein Gift oder Kunstdünger verarbeite, kann ich mich aus ihm auch gesund ernähren. Das gilt nicht nur für die kleinen Gärten, sondern für unsere Landwirtschaft wie für die Wälder. Wenn das Gemüse und Getreide auf den Feldern wie die Bäume im Wald gesund wachsen, nur dann können auch wir gesund bleiben.
Weil wir so auf diese Natur angewiesen sind, braucht sie eine Lobby. Hat sie nicht auch das Recht auf Rechte, die wir einzuhalten haben? Naturgüter wie Flüsse, Berge, Wälder, Pflanzen, Tiere brauchen die gleichen Rechte wie wir Menschen. Verweigern wir ihnen diese, vernichten wir uns. Die Natur wird sich, wenn wir sie und damit uns zerstören wieder erholen. Sie kommt auch ohne Menschen zurecht. Das hat sie in Millionen von Jahren gezeigt. Wir sind es, die diese Natur existentiell brauchen. Sie ist das Gerüst auf dem wir Halt finden. Wenn wir den Ast, auf dem wir sitzen, absägen, fallen wir tief. Pandemien sind nicht zuletzt auch die Folge der Zerstörung der natürlichen Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Sie tauchen auf, wenn wir Menschen den Tieren das Recht verwehren unter gesunden Bedingungen zu leben. Das gilt auch für unsere Rinder und Geflügelzucht.
Seit mir dieses Wissen immer deutlicher vor Augen steht, lese ich Artikel dazu, sehe ich mir Fernsehsendungen an, die mich in diesem Denken weiter bringen. Nicht nur die Pandemie, sondern auch die Wissenschaft lenkt unseren Blick auf die Natur zurück. Nicht nur mit schönen Fotomotiven, sondern mit dem gezielten Blick auf unsere Gesundheit und damit auf unser Überleben. 

Dabei merke ich zugleich, dass sie genau das von uns fordert, was mir an mehr Erkenntnis durch die Coronakrise zugewachsen ist.

Warum keine Vorteil für einen ökologischen Lebensstil richtig überzeugt: Frieden mit der Natur materialistisch kaum möglich


Kategorie: Entdecken

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang