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Millennials: Unendliche Freiheiten, aber keine Sicherheit

Millennials haben in jedem Lebensbereich eine riesige Auswahl. Wir könnten eigentlich alles machen: Aber wir wissen meist gar nicht, was sich lohnt, und erst recht nicht auf Dauer: Was soll ich eigentlich mit meinem Leben machen, wenigstens in den nächsten fünf oder zehn Jahren: beruflich – privat – partnerschaftlich?

Welche Ausbildung lohnt sich?

Wir stehen vor der Situation, dass es nur noch ganz wenige längerfristige Berufskarrieren gibt, von lebenslang ausübbaren Berufen ganz zu schweigen. Wir sind häufig sehr gut ausgebildet, weil unsere Eltern und Großeltern großen Wert auf Bildung gelegt haben. Die oft noch stabilen Berufsbilder unserer Eltern, erst recht der Großeltern, haben sich verflüchtigt. Nicht Stabilität, sondern Wechsel, Wandelbarkeit und Mobilität scheinen die neuen Ideale geworden zu sein. Nicht nur beruflich. Wir ahnen, dass längerfristige Entscheidungen uns glücklich oder glücklicher machen würden. Deshalb haben wir große Schwierigkeiten, uns zu entscheiden.

Wenn ich diese oder jene Ausbildung mache, habe ich dann auch noch in zehn Jahren etwas davon? Kann ich davon leben? Kann ich möglicherweise eine Familie ernähren, wenn ich eine gründe? Soll ich überhaupt eine Familie gründen? Wie soll mein Lebensentwurf aussehen? Single, Partnerschaft, etwas dazwischen? Was kann, und vor allem soll ich mit meinem Leben machen? Stiftet dieser Job denn Sinn? Erfüllt mich diese Beziehung?

Ökonomische Zwänge gegen Sehnsüchte

Uns fehlen die Instrumente, existenziellen Fragen und Sehnsüchten nachzugehen. Ökonomische Zwänge dominieren und sind viel stärker als unsere Sehnsüchte, verdecken unsere Fragen nach Sinn und so etwas wie „Berufung“ für unser Leben. Die Konsequenz: Flexibilität ist zum Ideal geworden. Wir könnten alles machen, also versuchen wir genau das. Wir wechseln häufig den Studienplatz, haben Schwierigkeiten, uns an Partnerinnen oder Partner zu binden, beenden Beziehungen, brechen Studiengänge ab, wechseln den Ausbildungsplatz, den Arbeitsplatz.

Befristung als Basis für Lebensplanung

Stellen sind sowieso fast immer grundlos befristet. Warum eigentlich? Wollen die Unternehmen keinen dauerhaften Nachwuchs? Glauben sie ernsthaft, dass in zwei Jahren wie von Geisterhand plötzlich noch kompetentere, noch besser gebildete Leute auf den Markt geschwemmt werden und ausgerechnet ihrem sterbenden Unternehmen die Tür einrennen? Oder wissen sie im Grunde, dass ihre derzeitige Arbeitsweise, ihre Unternehmensphilosophie und die Werte, für die sie stehen, nicht mehr tragfähig sind? Fragen auch an die Kirchen.

In zwei Jahren könnte es für manche Unternehmen schon finanziell den Bach runtergegangen sein, weil die Motivation der Mitarbeiter unter den nicht mehr tragfähigen Arbeits- und Umgangsweisen gelitten hat. Der nötige Umsatz kann dann vielleicht nicht mehr erwirtschaftet werden. Die Zweijahresverträge können dann gar nicht verlängert werden. Oder die Leute gehen schon viel früher wieder, weil sie enttäuscht sind, verprellt wurden von der Art und Weise wie gearbeitet, wie mit uns umgegangen wird, mit den Gefühlen von Ungenügen und Minderwertigkeit, die die Älteren uns Jüngeren zu oft vermitteln.

Arbeit stiftet immer weniger Sinn

Der alte Glaube, dass man nur etwas wert ist, wenn man klassische Erwerbsarbeit leistet, ist noch in unseren Köpfen und irgendwie glauben wir das auch noch. Auch wenn wir mehr und mehr merken, dass das wohl nicht stimmen kann. Aber die richtigen Alternativen fehlen noch.
Durch die zunehmende Robotisierung und Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche stiftet Arbeit immer weniger Sinn, wir identifizieren uns immer weniger mit dem, was wir tun. Maschinen und künstliche Intelligenzen nehmen uns die Arbeit zunehmend ab, und sie nehmen sie auch weg, nicht nur technisch. Was bleibt, wenn Künstliche Intelligenz uns alles abnimmt? Doch eigentlich nur Bildung! Und wie läuft die landläufig ab: Mit langen Vorträgen von Experten und ein paar wenigen Nachfragen.

Bildung – aber nicht so

Ich setze mich aber nicht in einen 45- bis 90-Minuten-Vortrag, an den sich aus dem Publikum noch 5-10 Fragen, ergänzende Kurzreferate, empörte Kommentare oder emotional vorgetragene Lebensgeschichten anschließen. Wo die Einladung zu so einer Veranstaltung mich überhaupt erreicht. Uns muss man online abholen. Warum sollten wir Jungen uns an die Kommunikations- und Denkmuster der Älteren anpassen? Uns erreichen keine gedruckten Jahresprogramme per Post.
Schon im Studium konnte und wollte ich dieser Art von Bildungsveranstaltung nicht folgen. Warum sollte ich das jetzt tun? Wieso fängt man nicht bei den Fragen und den Erfahrungen des Publikums an? Das Referat, die Expertise kann man doch vorher im Internet zugänglich machen. Aus den Social Media sind junge Leute das gewöhnt. „Schreibt Eure Fragen zu dem Thema in die Kommentare!“ – „Kommentiert unter diesem Video Eure Fragen, die beantworte ich dann im nächsten Video!“

Direkte Kommunikation ist nicht out

Wir brauchen aber echte, analoge Begegnung, Austausch mit ähnlich Tickenden, aus unserer Generation und Gefühlslage. Das Internet verhilft nicht zu besserer Kommunikation. Es gibt keine Energien, sondern raubt sie. Ich sitze vor dem Computer und warte, dass meine E-Mail beantwortet wird. Ich formuliere umständlich und zeitraubend eine lange Nachricht, die trotz neurotisch penibler Formulierungen vom Empfänger trotzdem missverstanden werden wird. Statt einmal anzurufen. Ich habe Angst, dass der Anruf mich Zeit und Energie kostet und meine Idee infrage stellt. Dass ich diskutieren und meine Ideen infrage stellen lassen muss. Ein inhaltlicher Anruf würde mein Zeitkonzept, meine Planung durcheinanderbringen.

Wenn ich mich aber mal kreativ mit Leuten zusammensetze, bekomme ich auch Energien. Dazu muss mich aber regelmäßig ein achtzigjähriger Kollege vom Bildschirm wegholen und zu sich einladen. Er will wissen, wie wir Jungen ticken, hat meistens Ideen, die drei Schritte voraus sind, er will meine Potenziale fördern. Ohne ihn wäre dieser Text nicht entstanden. Aus den Treffen mit ihm nehme ich meistens Energie und Kreativität mit. Er sorgt auch dafür, dass ich ein paar Mal die Woche an die wichtigen Dinge denke, er ruft mich an und will Neues entwickeln. Keine umständlichen, langen Gremiensitzungen, sondern Projekte gleich anpacken.

Zu viele Möglichkeiten hindern Verantwortung

Es ist in gewisser Weise ein Privileg unserer Generation, sehr viele Freiheiten zu haben. Gleichzeitig fällt es uns schwer, die Verantwortung für unser eigenes Leben immer mehr selbst zu schultern, als es vielleicht früher nötig war bzw. als in den meisten Fällen früher überhaupt möglich war. Wir werden zu immer weniger gezwungen, aber tappen in die Falle des ewigen Hinterfragens von allem. Alles ist nur Provisorium, denn alles könnte auch anders gehen. Wir sind digitalisiert, globalisiert und alles ist möglich.

Wenn alles möglich ist, müssen wir dann nicht auch alles machen, alles ausprobieren? Aber alles ist zuviel! Der Anspruch an mich selbst erschlägt mich, lähmt mich! Dann bleibe ich doch lieber bis mittags lethargisch und digitalisiert-depressiv im Bett liegen, mit dem Smartphone in der Hand.
Ich komme mir immer noch wie ein Student vor, mit ein paar Nebenjobs, aber ohne mich festgelegt zu haben, ohne wirklich im Arbeitsleben angekommen zu sein. Vielleicht will ich das auch gar nicht. Ich habe keine klare Ausrichtung, stattdessen 1.000 vereinzelte Projekte, in die ich je nach Tagesform unterschiedlich viel Energie investiere oder auch nicht. Wenn ich einen festen Auftrag habe, eine Deadline, Zeitdruck, dann kommt erfahrungsgemäß auch ein für mich und den Auftraggeber zufriedenstellendes Ergebnis heraus. Bis zum nächsten Projekt mit festgelegten Rahmenbedingungen plätschert mein Energie-, Arbeits- und Motivations-Haushalt dann wieder so vor sich hin. Von völliger Lethargie bis zu euphorischem Aktionismus ist alles dabei. Aber einen gleichmäßigen Mittelweg, den gibt es nich.

Unterscheidbar bleiben

Als Millennials sind wir Extremisten. Wir wollen hervorstechen, anders sein. Alle Lebensfelder sind nutzbar, um Identität und deren Design zu konstruieren. Wir bilden das ab, was Andreas Reckwitz eine „Gesellschaft der Singularitäten“ nennt, es gibt eine „Explosion des Besonderen“. Ich will mich von der Masse abheben, auffallen, mich durchsetzen, ins Gespräch kommen. Der nächste Auftraggeber könnte mich doch jetzt endlich wahrnehmen, und mir zum Durchbruch verhelfen.

Ich will wahrgenommen werden, möglichst viele Likes und Herzchen bekommen. Dafür bin ich schon zwei Marathons gelaufen, habe mich mit meinem Diabetes in aller Öffentlichkeit präsentiert. Jeder Teil von mir ist öffentlichkeitswürdig, wenn ich damit Aufmerksamkeit generieren kann. Aber ich bin Mitte der 1980er geboren. „Zu spät für einen gemütlichen Beamtenstatus, zu früh um ein Social Media Phänomen zu werden“ (@derLehnsherr auf Twitter)

Vom Kleinkram erstickt

Was soll der Tag denn schon bringen? Meist sind es doch vor allem langweilige, organisatorische Aufgaben. Miete bezahlen, Rechnungen schreiben, Steuererklärung machen. Dafür hat uns in 13 Jahren Schule und mehreren Jahren Uni niemand fit gemacht, keiner hat davor gewarnt. „Mach, was Du liebst, studiere, was Dich wirklich interessiert, dann bekommst Du später auch einen guten Job!“ Keiner hat gesagt: Schließ‘ möglichst früh eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, gib schon im Studium Steuererklärungen ab.

Ich habe keine Hobbies. Ich will nicht irgendetwas als Hobby machen, nur damit ich ein Hobby habe. Stattdessen bin ich dauerhaft online. An meinen Bildschirmen findet alles statt, mein ganzes Leben: Arbeit, Reisen buchen, Essen bestellen, Kommunikation mit der Freundin, mit der Familie; bis zu Netflix und Amazon Prime, also Unterhaltung.

Unsere Lebenswelt muss vorkommen

Politik und Kirchen können wir so gut wie nichts mehr abgewinnen. Wie den meisten gesellschaftlichen Akteuren und Institutionen scheinen sie sich nicht für uns zu interessieren. Es ist nach wie vor eine von-oben-herab-Mentalität. Klar, einige Politiker twittern, aber das Medium haben die meisten nicht verstanden. Das lineare Fernsehen, die klassische Zeitung, diese Medien konsumieren wir kaum noch. Auch Nachrichten werden immer uninteressanter für uns. Ich lese sie kaum noch.

Wer gibt uns das Gefühl, sich für unsere Bedürfnisse zu interessieren – für unsere Weise zu leben? Alle, die im Internet präsent sind und ernsthaft Geld verdienen wollen mit unseren Bedürfnissen: Konsum, Ernährung, Fitness, Entertainment und Werbung: Amazon, Netflix, Google, YouTube, Facebook und Instagram. In diesen Welten leben wir. Sie bestimmen unser Denken und Handeln.

Klicken zum Weiterlesen zu "Millennials", im Themen-Modul: "Millennials - die Generation Y verstehen"

 

 


Kategorie: hinsehen.net Verstehen

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