Es geht um Ausgleich
Die Natur sichert ganz verlässlich unsere Lebensgrundlage. Ohne sie sind wir nicht überlebensfähig. Wie lange hält sie das noch durch? Erschrecken wir nicht manchmal bis ins Mark, wenn wieder mal ein Giftskandal aufgedeckt wird? Wir spüren Angst und Sorge um unsere Gesundheit. Da wird deutlich, wie sehr wir auf eine gesunde Natur angewiesen sind. Heute geht es darum, dass die Natur nicht nur unser Leben, sondern auch das der nächsten Generationen noch sichert. Das kann gelingen, wenn wir nicht nur Nehmen. So wie eine Beziehung unter Menschen nicht dauerhaft sein kann, wenn Geben und Nehmen aus dem Gleichgewicht geraten. Die Pflanzenwelt braucht von uns etwas zurück, damit die Ausbeutung ein Ende hat.
Achtsamkeit - den Pflanzen und Tieren ihren Platz geben
Es geht darum, etwas oder jemanden zu „achten“. Wenn ich etwas achte, spüre ich, dass das, was ich achte, etwas Wertvolles ist. Ich möchte es nicht verlieren. Es verdient meine Aufmerksamkeit, meine Hinwendung. Dann stehe ich in einer Beziehung zu meinem Gegenüber ob Mensch oder Natur. Beziehung heißt unter Menschen, dass jedem ein eigener Platz eingeräumt wird, der ihm freiwillig von den anderen zugestanden wird, um so Achtung zu erleben. Dieser eigene Platz gibt damit jedem die Möglichkeit, sich aufgehoben zu fühlen, gewollt zu sein, Zuwendung zu erfahren. Der Platz inmitten anderer, zeigt die Möglichkeiten wie die Grenzen für jeden auf. Wenn aufeinander „geachtet“ wird, ist auf jedem Platz eine gesunde Entwicklung möglich. Achtsamkeit heißt auch, dass ich nicht nur die Zuwendung der anderen in Anspruch nehmen darf, sondern selbst etwas geben muss. Erst so entsteht Ausgleich. Wer sich zum Außenseiter oder nur Mitläufer macht oder gemacht wird, kann sich in einer solchen Beziehung nicht wohl fühlen und sich damit auch nicht weiter entwickeln.
Dieses Verständnis von Beziehung kann ich auch auf die Beziehung zur Natur übertragen. Jede Pflanze, jedes Tier kann nur so gut gedeihen, wie es den Platz einnehmen kann, der seine Lebensgrundlage sichert. Das gilt sowohl für gezüchtete, wie für wilde Pflanzen und Tiere. In meiner Beziehung zu meinem Garten verstehe ich mich als diejenige, die der Vielfalt der Pflanzen ihren Platz sichert, diejenigen zusammenkommen lässt, die sich gut miteinander vertragen und sich so im Wachsen unterstützen. Ich kann sie beobachten, wässern und das Wildkraut zurückdrängen, damit sie sich gesund entwickeln. Das Wildkraut in den Beeten wird gejätet, denn es würde mir die Kulturpflanzen ersticken. Das Jätegut muss ich nicht vernichten. Es kommt in den Kompost, wo es sich in wunderbare dunkle fruchtbare Erde verwandelt. Ein Jahr später wird sie dann auf die Beete zurückgebracht. Ich nutze das was „stört“, um es zu verzaubern. In den natürlichen Prozess in meinem Garten greife ich nur ein, wenn die Pflanzen nicht mehr richtig wachsen. Ich bringe dann entweder den Kompost auf die Beete, Urgesteinsmehl, Hornspäne oder selbst angesetzte Brennnesseljauche. Ich vermeide künstlichen Dünger genauso wie Herbizide, denn sie haben negative Folgen.
Herbizide zerstören die Beziehung
Wenn ich z.B. mit Glyphosat, Round up, oder anderen Spritzmitteln und Giften eingreife, vernichte ich nicht nur das Wildkraut, die Blattläuse oder die Pilze, sondern vergifte auch den Boden. Mit Gifttabletten für Wühlmäuse greife ich in den Naturkreislauf so stark ein, dass ich die langfristigen Folgen gar nicht mehr selbst absehen kann, denn das Gift sickert mit den getöteten Tieren in den Boden und ins Wasser. Die Folgen sind nicht nur für Pflanzen wie für Kleintiere erheblich sondern auch für unsere Gesundheit. Der anscheinend unbedarfte, lockere Umgang mit Vernichtungs- und Düngemitteln, lässt bei mir die Vermutung zu, als könnten wir besser überleben, wenn wir das, was uns stört, einfach vernichten. Wenn wir unsere menschlichen Beziehungen anschauen, dann gibt es da auch immer Störfaktoren, für die ich den anderen nicht gleich vernichten muss, sondern daran wachsen kann. Ich kann genauer hinschauen, um welche Störfaktoren es geht. Welche Ursachen dahinterliegen, weshalb etwas gerade nicht funktioniert. Fehlt da eventuell das Gespräch, um zu einem Ausgleich zu kommen? „Buttert“ möglicherweise der eine oder die andere mehr in die Beziehung bzw. wird ausgebeutet, ohne dass darüber Gespräche stattfinden? Sind die Erwartungen an den anderen zu hoch?
Kommt nicht genug an Zuwendung zurück, was dann zu Störungen führt.
Achtsamkeit in den menschlichen Beziehungen wie im Verhältnis zur Natur, ob in der Landwirtschaft oder im eigenen Garten, ermöglicht Wachstum auf beiden Seiten.
Mit meinem Garten wachsen
Beziehungen sind dazu da, dass jeder wachsen kann. Schon als Kleinkind brauche ich die Nähe meiner Eltern, ein fruchtbares, warmherziges Umfeld, damit ich körperlich und seelisch gesund groß werde. Auch Beziehungen im Erwachsenenalter erschließen Sinndimensionen, wenn sie auf Wachstum angelegt sind. Dafür brauche ich ein wohlwollendes, aufmerksames Umfeld, das mir Bedingungen bereitstellt, um meine Gaben und Talente weiter zu entwickeln.
Genauso kann ich mit meinem Garten wachsen. Ich lerne jeden Tag neu von den Pflanzen, was ich ihnen ermöglichen muss, damit sie gut gedeihen. Wie ich mit der Erde umgehen kann, damit sie nicht ausgelaugt wird. Genaue Beobachtungen sind notwendig, damit ich erkennen kann, was funktioniert. Manchmal stellt mich mein Garten auch auf die Geduldsprobe, wenn das Saatgut nicht so schnell wächst wie ich es erwartet hatte, wenn kleine Waldmäuse nachts die Spitzen meiner sprießenden Bohnen abfressen, die Rehe die zarten Rosenknospen verspeisen oder die Wühlmäuse das saftige Fleisch aus der Kohlrabi herausholen und nur die Schale übriglassen. Das ärgert mich natürlich erst einmal, denn ich habe Arbeit und Mühe investiert. Manchmal schimpfe ich dann auch laut vor mich hin. Gleichzeitig denke ich dann aber auch, ein bisschen teilen ist nur gerecht, denn sie leben ja auch hier auf meinem Grund und Boden. Er gehört mir nicht allein, weshalb dann den Alleinanspruch stellen? Ich lerne mit dem Garten auch den sozialen Aspekt für die Beziehung zu den dort lebenden Lebewesen. Sie haben nicht nur ein Recht hier zu sein, sondern viele davon sind unentbehrlich für das Gleichgewicht im Garten. Der Garten erwartet von mir, mich kundig zu machen, wie Beete ökologisch angelegt oder Erntegut verarbeitet werden können. Deshalb bin ich oft im Internet unterwegs. Damit erweitert sich mein Wissen, meine Fähigkeiten, wie mein Verhalten. Ich wachse mit dem Garten wie auch der Garten mit mir. Er ist ein großes Geschenk das mich „nichts“ kostet, außer meiner Aufmerksamkeit und Zeit.
Jutta Mügge, Reagieren Pflanzen auf Menschen
Garten – fließendes Leben
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