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Das Gottesbild der Kindheit ablegen

In manchen Begegnungen spüre ich so ein mitleidiges Lächeln oder ein genervtes Desinteresse, wenn das Gespräch auf den Glauben an Gott kommt. Was steht hinter dieser Reaktion und wie kann ich sie verstehen:

Sie geben mir zu verstehen, dass ich mit diesem Glauben dem heutigen intellektuellen Anspruch an die Deutung der Welt nicht gerecht werde. Für sie ist Glaube eine kindliche Vorstellung, die Erwachsenen nicht mehr ansteht und deshalb abgelegt werden muss. In ihren Augen hat die Wissenschaft die Religion überflüssig gemacht. Die Entwicklungspsychologie liefert Erklärungen, warum Erwachsene den Kinderglauben hinter sich lassen müssen. 

Die Aufmerksamkeit für „etwas Größeres“ ist schon früh im Kind verankert

Das Kleinkind, das seine Welt schrittweise erobert, entwickelt in der magischen Phase zwischen drei und fünf Jahren bereits eine Ahnung, dass es etwas Geheimnisvolles in der Welt geben muss. Weil es aber noch nicht abstrakt denken kann, konkretisiert es das, was es nicht versteht. Da wird die Vorstellung von Gott ganz konkret. Das Kind gibt ihm ein Gesicht. Gott wird damit zu einer realen Person, mit einer bestimmten Gestalt, die Einfluss auf sein Leben nimmt. In der kindlichen Vorstellung besitzt Gott viele Eigenschaften, die ihm damit auch Macht über seine Geschöpfe geben. In die magische Phase fällt auch das Warum–Fragealter, das für so manchen Erwachsenen eine Herausforderung darstellt, weil viele Fragen nicht konkret zu beantworten sind. Das Kind sucht aber nach Erklärungen für seine Beobachtungen, die es verstehen kann. Eltern kennen die bohrenden Fragen von Kindern in diesem Alter, in dem es alles hinterfragt.
Wenn die Erklärungen zu abstrakt sind, muss sich das Kind eigene Übersetzungen schaffen, damit es die Welt um sich herum verstehen kann. Seine Fähigkeit in dieser Phase des magischen Denkens ermöglicht ihm, sich zu den Fragen und Antworten eigene Vorstellungen auszudenken. Da entsteht auch eine bestimmte Ahnung und Gestalt von Gott und seinem Wirken. Die Bilder, die sich das Kind macht, können sehr unterschiedlich sein. Ist der Einfluss von außen eher so, dass das Kind spürt, dass Gott für die Eltern als Erziehungspartner für Wohlverhalten benutzt wird, erlebt es ihn als denjenigen, der für Vergehen wie für Ungehorsam bestraft. Entwickelt das Kind ein solches Gottesbild, bleibt das nicht ohne Folgen, denn die Prägung im Kleinkindalter wirkt in den Tiefenschichten und bleibt manchmal bis ins hohe Alter erhalten.

Gott wird zum Verhandlungspartner

Mit zunehmendem Alter versteht das Kind immer mehr von der Welt. Ab dem Schulalter kann es abstrahieren. Dann besetzt Gott einen neuen Platz in seinem Handeln. Im besten Falle benutzt es ihn als Mitstreiter, als Verbündeten, der ihm zur Seite steht, wenn es in Gefahr kommt. Hat es allerdings den strafenden Gott verinnerlicht, kann es Angst vor seinen Reaktionen entwickeln. Auch dann setzt sich das Kind neu in Beziehung zu Gott. Zur Verhandlung steht alles, was dem Kind Angst macht oder unangenehm ist, was mit der Hilfe Gottes bewältigt werden soll.  Dafür ist es bereit, Gott entgegen zu kommen und sich angemessen zu verhalten oder ihm sogar etwas zu schenken, an Zeit, an Taschengeld etc. Diese Phase dauert nur wenige Jahre, bis die Abhängigkeit von diesem allmächtigen Gott zu eng wird.  Davon muss sich der Jugendliche befreien.

Entdeckung der Freiheit in der Pubertät

Spätestens in der Pubertät, wenn das Unabhängigkeitsstreben bestimmend wird, werden viele Pflichten und vor allem der Gehorsam lästig. Eltern und auch Gott, der ja im gleichen Fahrwasser wie die Eltern schwimmt, werden als zu einflussreich, zu mächtig erlebt. Jetzt wird es Zeit, sich dagegen aufzulehnen, um das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Da hat Gott gerade mal ausgedient. Diese Krise der Pubertät, die das Gehirn des Jugendlichen neu sortiert, erleben viele Eltern als anstrengend und manchmal auch als sehr bedrohlich. Sie spüren, dass ihr Einfluss schwindet. Es ist die Zeit, in der die jungen Menschen ihre Identität ohne den Einfluss von Autoritäten neu suchen. Diese Suche findet seltener mit Erwachsenen statt, sondern eher in der Jugendgruppe, in der Freundesclique und mittlerweile auch im Netz bei Instagram oder Facebook. Je nachdem, wie sich diese Gruppierung versteht, findet der Einzelne dort seine neue Prägung. Sie suchen Gleichgesinnte, diejenigen, die so denken wie sie, die das ablehnen, was sie selbst auch nicht wollen. Dort finden sie Selbstbestätigung in dieser schwierigen Umbruchzeit, in der das Selbstwertgefühl oft im Keller sitzt. Sie können sich Anregungen und Mut für ihr eigenes Leben holen, sich mit anderen verbünden. Gott hat in dieser Krise meist keine guten Karten, es sei denn die Jugendlichen bewegen sich in einer Jugendgruppe oder Freundesclique, die sich auch mit dem auseinandersetzen, was Sinn im Leben ausmacht, wie Freiheit zu verstehen ist, welche Perspektiven die Einzelnen verfolgen, wie man Gott im eigenen Leben verstehen kann. Das alte Gottesbild jedenfalls trägt nicht mehr über diese Krise hinaus.

Man muss diesen Gott erst einmal ablehnen.

Die Pubertät ist nicht nur eine Zeit der Krise, sondern auch der Wandlung. Sie vollzieht sich nicht nur physisch und psychisch, sondern auch spirituell. Das alte Gottesbild wird über Bord geworfen. Diesen Gott müssen sie ablehnen und sich davon befreien, weil sie in der Konfrontation mit ihm spüren, dass er etwas von ihnen will, was sie als Beschneidung ihrer Freiheit erleben. Sie sind jetzt erwachsen und wollen über ihr Leben selbst bestimmen, ohne dass sie sich auch noch einem Gott gegenüber verantworten müssen. Allerdings ist diese Loslösung nicht so einfach, denn je stärker Eltern ihnen einen Gott, der sie bestimmen will, vorgehalten haben, desto länger brauchen sie, um sich von diesem Gottesbild zu lösen. Das schaffen sie lockerer, wenn sie sich mit denen zusammentun, die ihn gerade genauso ablehnen oder sich bereits sicher sind, dass es Gott nicht geben kann. Sie können auch Gleichgesinnte suchen, für die Gott nicht mehr Thema wird, sondern die eigene Machbarkeit. Würden sie sich weiter mit diesem Gott beschäftigen, müssten sie sich immer wieder mit der Frage konfrontiert fühlen, welche Rolle er in dieser Welt spielt.

Erwachsenwerden ohne die Gottesfrage

Wer sich in diesem Denken eingerichtet hat, findet erst einmal nicht so leicht wieder einen Zugang zu einem neuen, anderen Gott, der ja größer sein muss als die Vorstellung, die in der Kindheit entwickelt wurde. Es gibt genügend Fragen, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn man in das Erwachsenenleben eintritt. Dabei erscheint die Frage, ob es Gott gibt, als unnötig und sogar als hinderlich, um mit den neuen Herausforderungen fertig zu werden. Viele wollen damit auch die Gottesfrage ein für alle Mal als erledigt betrachten.
Aus den hier beschriebenen Entwicklungsschritten, die auch von Fritz Oser empirisch verifiziert wurden, wird ersichtlich, dass im Übergang zum Erwachsenenalter das kindliche Gottesbild verlassen werden muss. Wenn wieder eine Beziehung zu Gott gesucht wird, kann der Einzelne nicht zum Gottesbild der Kindheit zurückkehren, sondern ein neues suchen. Das erklärt auch die krtische und oft süffisante  Reaktion von Skeptikern und Atheisten, wenn sie mit einem Gottesbild konfrontiert werden, das dem ihrer Kindheit entspricht. Das haben sie ja mühsam abgelegt. 
Wie ein neuer Zugang zur Gottesfrage sich auftut, wird in einem nächsten Beitrag Thema.

Zur Entwicklung des Gottesbildes hat Fritz Oser geforscht. Er hat die zwei Stufen in der Entwicklung des kindlichen Gottesbildes und die Konkurrenz zwischen menschlicher Freiheit und Gottes Bestimmungsmacht herausgearbeitet, die für die westliche Kultur zu beobachten ist. Die Entwicklung des Gottesbildes bei Fritz Oser


Kategorie: Verstehen

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