Adam Kraft, St. Lorenz Nürnberg, Foto: hinsehen.net E.B.

Seele wo bist Du hin?

„Sie sind ein „Herz und eine Seele,“ „sie fühlen sich seelenverwandt“, „der Ort ist seelenlos“, „du sprichst mir aus der Seele“, „an Allerseelen gedenken wir der Seelen der Verstorbenen“, „meinen Seelenfrieden finden“, „ein guter Seelenführer“. So viele und noch viel mehr Worte im Zusammenhang mit dem Begriff Seele existieren in unserem Duden.

Zu jedem dieser Wortprägungen kann ich mir und sicher viele andere auch etwas vorstellen, obgleich ich die Seele weder sehen, noch begreifen, noch hören kann. Ich stelle mir vor, dass sich in ihr die ganze Gefühlswelt meiner Erfahrungen speichert. Mein Erleben, meine Intuition, meine Ahnungen, mein Mitfühlen für andere und die Möglichkeit mich in Geschehnisse emotional hineinzuversetzen, meine Zuneigung und Liebe zu etwas oder jemandem. Für mich sitzen diese Qualitäten in meiner Seele. Damit wirkt sie sich direkt auf meine Persönlichkeit aus. Durch mein Mienenspiel und meine Körperbewegungen scheint sie durch mich durch. Sie zeigt sich dann in der Ausstrahlung meiner Person.
Für mich ist sie auch das „Organ“, mit dem ich die Schönheit der Welt, der Natur, der Kunst und der Musik wahrnehme. In meiner Seele finden sich meine Emotionen, die Offenheit für Transzendenz, die Fähigkeit zu glauben. In ihr lassen sich meine Lebensgeschichten emotional nieder, meine Erfahrungen werden mit ihren Empfindungen gespeichert, aufgehoben und bilden den Reichtum meines Innenlebens. Meine Seele prägt auch meine Einzigartigkeit in dieser Welt. Ich kann mit meiner Seele das spüren, was ich nicht sehen, riechen, schmecken noch anfassen kann. In meiner Seele gibt es viele Zimmer, die ich durchwandern kann und in denen ich dann wieder auf mich treffe. Sie ist wie ein großes „Schloss“, dessen Räume meine Lebendigkeit füllt. Diese Zimmer machen mich aus, lassen mich ein Unikat sein. Bei der Anwesenheit von Sterbenden kann ich erleben, wie die Seele nach dem letzten Atemzug den Körper verlässt. Sie ist es, die mich lebendig hält. Dieses Schloss wird ausführlicher beschrieben. Hier geht es zum Seelenhaus

Ist die Seele verloren gegangen?

Es scheint aber so, als hätte die Seele im akademischen Sprachgebrauch „ausgeseelt“, denn vor allem die Naturwissenschaft und selbst die Wissenschaft, die sie sogar im Namen führt, die Psyche, meinen, ohne die Seele den Menschen erklären zu können. Für mich ist ein Mensch ohne Seele ein seelenloses Gebäude, eine leere, kalte Hülle, der das innere Leben, die Lebendigkeit fehlt.  
Ein kleines Büchlein über „die Seele“ von Johanna Haberer hat mich neugierig gemacht. Ihre Ausführungen haben mir „aus der Seele gesprochen“. Ich fühle mich bestärkt. Johanna Haberer macht einen Streifzug zu Fundstellen über die Seele. Sie gibt ihrem Buch den Titel:

„Die Seele - Versuch einer Reanimation“.

Dieses kleine Büchlein, so könnte man von seinem Umfang her darauf schließen, es wäre mal eben schnell gelesen. Jedoch musste ich mich schon richtig einlesen, um die verschiedenen Sichtweisen zur Seele aus Religion, Philosophie und den Naturwissenschaften mit meinen eigenen Vorstellungen von der Seele in Verbindung zu bringen.
Die Autorin beschreibt den Verlust des Wortes „Seele“ in den naturwissenschaftlichen, den theologischen wie psychologischen Sprachräumen und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Einzigartigkeit des Individuums. Sie führt zur Würdigung der Seele zurück. Zu ihr, die jedem Menschen den ganz einzigartigen Ausdruck verleiht, damit er, damit sie in ihrer Einzigartigkeit erkennbar werden. Seele ist nicht sichtbar, nicht hörbar, noch greifbar, aber fühlbar. Auch wenn Philosophen, Psychologen und Wissenschaftler die Existenz einer Seele leugnen, scheint es doch so etwas wie Seele zu geben, denn sie ist in unserem Alltagssprachgebrauch in vielen Variationen verankert. Sie steht für das Innenleben, für die Träume, die Sehnsüchte, für den Wunsch nach Transzendenz. Johanna Haberer versucht die Seele als einen Begriff für das Ganze der Lebendigkeit zu sehen, die die Welt im Innern nach einem dynamischen Prinzip der Resonanz zusammenhält. Sie spürt den Worten nach wie: ein „Herz und eine Seele,“ „Seelenverwandtschaft“ „die Seele aus dem Leib schreien“, „aus tiefster Seele zustimmen“. In unserer Alltagssprache benutzen wir Seelenworte in verschiedenen Kontexten. Die technische und digitale Entwicklung nimmt jedoch zunehmend Einfluss auf unsere Sprache. Sie verwandelt diese, so dass sie sich vertechnisiert. Die künstliche Intelligenz, wie die Algorithmen, auf die viele Wissenschaftler die Zukunft bauen, versprechen in den Augen der Autorin zu viel, denn sie lassen die individuellen Erfahrungswerte der Menschen, das Erinnerungsvermögen mit seinem gefühlsintensiven Spektrum, die Intuition und die Weite der Gefühle, die wir als Menschen in Entscheidungen einfließen lassen, außen vor. Haberer zitiert einschlägige Philosophen, Psychologen, Neurowissenschaftler, die sich fast alle von dem Vorhandensein einer Seele distanzieren und gleichzeitig auch in die Distanz zur Transzendenz und zu Gott gehen. Seele, so die unausgesprochene Voraussetzung, findet im Gehirn statt. Der Glaube an die Optimierung von Daten und deren Einfluss auf Menschen scheinen eine neue „Datenreligion“ hervorzubringen, bis dahin, dass die Überwindung des Todes in der digitalen Zukunft als möglich erklärt wird. Für Haberer ist der Verlust von Seele als einem Begriff in unserem Wortschatz problematisch, weil ohne dieses Wort die existentielle Dimension des Menschen ausgeklammert wird. Auch in der Theologie scheint eine „Re-Animation“ notwendig zu sein. Verzichtet die Religion nämlich auf das Vorhandensein von Seele, „entkernt sie das Reden vom Menschen in den biblischen Schriften und schwächt das Verstehen der biblischen Texte“.

Die Ausklammerung der Seele aus unserem Wortschatz und damit aus unserem Bewusstsein wird der Sehnsucht nach Transzendenz, dem Sinn unseres Lebens näher zu kommen, sich in einer dritten Person ganz aufgehoben zu fühlen, aus der Seele zu sprechen, nicht mehr gerecht.

Das Buch versucht, die technische, funktionalistische Entwicklung einerseits zu verstehen, auch zu würdigen, andererseits aufzuzeigen, dass dies nicht auf Kosten der Seele gehen darf, weil sie dem Menschen eine andere Qualität eröffnet. Das unterfüttert die Autorin im letzten Teil des Buches mit Texten aus der Liturgie und aus dem reichen Schatz der Choräle.

 Johanna Haberer Seele -Versuch einer Reanimation, Claudius Verlag, München 2021, 152 S. € 16.-


Kategorie: Gelesen

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