Es geht immer um Werte

Mir ist im Rückblick deutlich geworden, wie Werte meinen Lebensweg gesteuert haben. Mir war das nicht immer bewusst, dass ich Werten folge, wenn ich in Entscheidungssituationen die Vor- und Nachteile abwäge. Mir wird rückschauend auch deutlich, welche stabilisierende Funktion Werte haben.

Werte bestimmen meine Entscheidungen

Ganz anschaulich und geradezu fühlbar wurde mir das, als es um die Frage ging, ob ich im Angesicht unserer Klimakrise meine geliebten Yogaferien mit gutem Gewissen weiter in Südfrankreich verbringen kann. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile spürte ich: „wenn ich die Krise ernst nehme, muss ich Konsequenzen ziehen. Ich kann einen winzigen Teil dazu beitragen, die Natur und unser Klima zu stabilisieren, wenn ich von Flugreisen Abschied nehme. Meine persönlichen Erlebniswerte, am Atlantik mit dem wunderbaren Meerwasser, den Wellen und den mir liebgewordenen Menschen meine Yogaferien zu verbringen, haben dem Wert der Mitverantwortung für die Gesundung des Klimas nicht standgehalten. Bestimmten Werten zu folgen, eine Wertepriorität zu setzen schließen manchmal wie in diesem Fall andere Werte aus. Das bedeutet persönlicher Verzicht für einen höheren Wert. Das kann weh tun. 

Entscheidungen, die ich treffen musste

Auch bei der Frage, wie ich im Alter leben will, haben Werte eine entscheidende Rolle gespielt. In der Abwägung wurde klar, wenn ich mich für ein betreutes Wohnen entscheide, muss ich mich von meiner schönen großen Wohnung mit weitem Blick und meinem urwüchsigen Garten, der mir ans Herz gewachsen ist, verabschieden. Ich muss mich von der langjährigen Nachbarschaft trennen, die gewohnte Umgebung verlassen. Was ich aber gewinne, hat Mehrwert, der mir die Entscheidung möglich gemacht hat. Ein Umzug in ein Augustinum mit seinen vielen Möglichkeiten wird mein Leben im Alter nicht schmälern, sondern bereichern. Ich kann Kulturangebote ohne große Wege im Haus selbst dann in Anspruch nehmen, wenn ich einmal körperlich beeinträchtigt bin. Es existieren viele, von den Bewohner:innen selbstorganisierte Gruppen mit unterschiedlichen Themen, bei denen ich mitmachen kann. Ich kann neue Beziehungen mit Menschen knüpfen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie ich selbst. Durch den Umzug in das Augustinum verliere ich nicht meine Unabhängigkeit, sondern kann in einem anregenden, gleichzeitig geschützten Umfeld selbstbestimmt mein Leben weiter frei gestalten. Auch erfolgt die medizinische Versorgung mit Pflegekräften aus dem eigenen Haus, die falls ich Pflegefall werde, mich in meiner Wohnung versorgen. Wichtig für meine Entscheidung war auch, dass mein bisheriges soziales Netz sich langsam auflöst. Wir werden älter und Besuche beschwerlicher. Ich schneide mich aber durch den Umzug in das nahegelegene Wohnstift nicht aus dem Netz heraus. In der Abwägung der Vor- und Nachteile haben sich viele Werte gezeigt, die für eine gute Entscheidung sprechen. In dieser Entscheidung bündeln sich Werte, die für mich wichtig sind, die mir anscheinend auch immer wieder in Entscheidungssituationen die Richtung weisen.
Auch in meinem Garten geht es mir um den wertschätzenden Umgang mit den Pflanzen und Tieren. Deshalb kommt bei mir kein Kunstdünger noch Unkrautvernichter oder Gift gegen Wühlmäuse in den Einsatz. Die Vielfalt der Pflanzen und Tiere auf meinem Grund wird dazu beitragen, dass es immer wieder zum Ausgleich kommen kann. Dieser Wert „Ausgleich ermöglichen“ braucht wie alle Werte die Beständigkeit, den langen Atem, damit sie auch wirksam werden können.

Beziehung braucht mehr als Sympathie

Wenn ich mich verlässlich an Werten orientiere, bin ich für andere einschätzbar. Ich werde berechenbar in meiner Einstellung gegenüber bestimmten Lebensfragen. Das eröffnet anderen Klarheit und Sicherheit für den Umgang mit mir. Sollen Beziehungen tragfähig werden, brauchen sie einen verlässlichen Werteuntergrund. Besonders stabil haben sich bei mir die Beziehungen erwiesen, in denen es einen zentralen Wertekonsens gibt, in denen auch die persönliche Weiterentwicklung als Wert unterstützt, Konflikte wertschätzend angegangen und geklärt werden. Beruhen Beziehungen nur auf Sympathie, zerbrechen sie leicht am ersten Konflikt. Das zeigt sich an den Partnerschaften, die früh auseinandergehen. Es scheint so, als signalisiere der Verlust an Sympathie den Partnern, dass man doch falsch gewählt hat und sich daher trennen muss.

Werte, um sich selbst treu zu bleiben

Wenn ich mir und meinen Werten treu bleibe, entsteht in mir so etwas wie ein Kompass, der mir meistens die richtige Richtung weist. Ich kann dem Ziel vertrauensvoll folgen. Es scheint so als würde die Orientierung an Werten auch einen bestimmten Menschen aus mir machen. Will ich dieser Mensch werden? Entscheiden sie auch über den Wert meiner Person? Auf jeden Fall helfen sie mir dabei, mir selbst zu trauen und meiner Richtung treu zu bleiben. Sie stabilisieren mich im täglichen Einerlei wie auch bei wichtigen Entscheidungen, damit ich den Weg einschlage, der nicht in Beliebigkeit, sondern zur Verlässlichkeit führt. Sie unterstützen mich dabei, auch Gegenwind zu ertragen, Widerstand zu leisten, wenn Werte verletzt werden.

Reaktion auf Wertverletzung

Bei allem „mir treu zu bleiben“ geht es auch darum, zu registrieren und zu reagieren, wenn andere in meinem Umfeld Werte verletzen. Wenn ich selbst betroffen bin oder in meiner Gegenwart bemerke, dass es um Missachtung, Entwertung oder Verletzung der persönlichen Würde von anderen, um Vernichtung unserer Lebensgrundlagen in der Natur oder um fremdes Eigentum geht, mit dem nicht wertschätzend umgegangen wird, muss ich handeln. Unsere demokratische Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass es Reaktionen auf Wertverletzungen gibt. Sei es in der Umwelt, im Zwischenmenschlichen wie im persönlichen Umfeld. Dulde ich in meinem Umfeld gravierende Werteübertretung, führt das zu einer Werteunsicherheit. Es ist dann nicht mehr klar, wo ich stehe und was erlaubt oder nicht erlaubt, was wertschätzend oder wertverletzend ist. Diese Unsicherheit trägt dann dazu bei, dass ohne schlechtes Gewissen Werte einfach unbeachtet bleiben dürfen. Wenn Werte missachtet werden, braucht es Konsequenzen. Gibt es keine adäquaten Reaktionen auf Wertverletzungen, entsteht die Botschaft: “das ist erlaubt“. Nichts hält dann davon ab, wie der Ukrainekrieg im Großen zeigt, die nächste Grenze zu überschreiten.  

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Kategorie: Verstehen

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