Foto: hoinsehen.net J.M.

Verletzte Gefühle führen Beziehungen in die Krise

Das Alleinsein im Coronajahr hat nicht nur mir deutlich gemacht, wie lebensnotwendig, wie existentiell Beziehungen für mein seelisches Gleichgewicht sind. Sie haben mich durchgetragen. Beziehungen kommen jedoch auch in eine Krise.

Auf was ruhen verlässliche Beziehungen:

Bin ich verlässlich vernetzt, spüre ich die Akzeptanz meiner Person, kann ich mich vertrauensvoll auf andere einlassen und auch mal Auszeiten durchstehen, ohne dass gleich alles zusammen bricht. Gelingende Beziehungen sind jedoch nicht selbstverständlich. Sie brauchen Investition. In der zurückliegenden Betrachtung meiner gelungenen, aber auch misslungenen Beziehungen kann ich einige Bedingungen ableiten, die für das Gelingen ausschlaggebend sind.
Es gibt ein Grundgefühl, das für jede Beziehung bedeutend ist. Ich brauche das uneingeschränkte Gefühl, dass ich in meiner ganz eigenen Art einzigartig und etwas Besonderes für die anderen bin. Das gilt für alle Seiten. Jeder muss spüren können, dass er wertgeschätzt wird mit dem, was er, was sie in die Beziehungen einbringen kann. Auch brauche ich einen eigenen konkurrenzfreien Platz, der mir selbstverständlich zugestanden wird, den ich mir nicht ständig erkämpfen oder verteidigen muss.
Kann ich in meinen Beziehungen spüren, dass ich für den anderen etwas Besonderes bin, ihm etwas bedeute, nicht einfach auswechselbar bin? Ist meine Person für den anderen eine Bereicherung? Kann ich Wertschätzung erfahren, erleben wie auch geben? Gibt es einen achtvollen Umgangston?
Hinzu kommt noch eine Dimension, die schwer zu fassen ist. Es geht um die Intensität, mit der ich mich auf die Beziehung einlasse und gleichzeitig den anderen in mein Leben eintreten lasse. Bin ich wirklich in der Beziehung „drin“? Denn nur so wird meine Beziehung zu meinem Leben. Es ist mein Leben, das ich mit meinen Beziehungen gestalte und ausdrücke. Erst wenn ich mich persönlich in die Beziehung investiere, kann diese gedeihen. Wenn einer sich selbst ausgrenzt oder ausgegrenzt wird, ist das Gefüge nicht mehr im Gleichgewicht. Eine ausgeglichene lebendige Beziehung braucht ein Grundvertrauen, das nur gedeihen kann, wenn ich mich in die Beziehung wirklich einklinke. Erst dann entsteht ein Gefühl von Geborgenheit, von Heimat, ein Raum, der mich mit den anderen direkt verbindet, in dem sich das Leben wärmer und geschützter anfühlt.

Der Anfang ist nicht schwer

Der Anfang von Paar- oder Freundesbeziehungen ist oft ganz einfach, weil für alle alles neu ist. Großes Interesse aneinander, gemeinsame Erfahrungen, in denen das persönliche Kennenlernen sich vertieft. Es wächst eine Bereicherung für das Leben aller. Ich habe mit den anderen etwas vor. Je mehr sie mich an ihrem Leben, an ihrem Erleben und ihren inneren Bewegungen teilhaben lassen, desto offener kann auch ich sie in mein Leben lassen. Ich spüre, ob ich mich in dieser Beziehung wohlfühlen kann, ob ich dazu gehöre, geachtet bin. Ob ich so sein darf, wie ich bin, ob ich die Akzeptanz für meine Person erhalte, ob ich den anderen etwas bedeute. Für Paare sieht das nicht viel anders aus. Allerdings spielt da am Beginn die sexuelle Anziehung, die Faszination der anderen Person noch eine wichtige Rolle, die dann auch dazu führen kann, dass die Schmetterlinge im Bauch erst einmal den Verstand aussetzen lassen.

Freundschaften

Meine Freundschaften sind inzwischen viele Jahre gewachsen. Nicht alle Kreise haben sich als tragfähig erwiesen, aber diejenigen, mit denen ich auch durch schwierige Phasen gehen konnte, sind enger zusammen gewachsen und ein unschätzbarer Wert für meine soziale Beheimatung. Es gibt ein Interesse aneinander, wir genießen das Zusammensein, weil wir bei jedem Treffen den gemeinsamen geistigen „Schatz“, der sich in den vielen Jahren angesammelt hat, vermehren. Im Laufe der Zeit ändern sich die Themen mit den Ereignissen, die uns entgegenkommen. Wir werden gemeinsam älter, können uns über die Form, wie wir alt werden wollen, verständigen, ohne in Streit zu geraten. Die Begegnungen haben Gehalt, sind ehrlich und tiefgründig. In den Gesprächen geht es nicht um das, was andere machen, es geht nicht um Klatsch, sondern um das, was uns bewegt, was gerade mit jedem Einzelnen passiert, wie wir das Leben erfahren. Es geht oft auch um seelische Unterstützung, denn jeder von uns kennt leidvolle Erfahrungen, die wir versuchen mit zu tragen. Wir teilen Leid, Not, Angst, Schmerz aber auch die Freude, damit verteilen wir auch die Lasten. Das stärkt uns gegenseitig. Für Paarbeziehungen gelten diese Bedingungen gleichermaßen.

Unsere Anliegen sind ähnlich

Es scheint so, dass es auch ein gemeinsames Grundanliegen gibt, wenn sich Beziehungen bewähren. In einer meiner Gruppen war es am Anfang die Erziehung der Kinder, sie durch unseren Austausch als Mütter in ihrer Entwicklung optimal zu fördern. In einem anderen Grüppchen hat der Sport oder Erfahrungen in der Arbeit das Interesse aneinander geweckt. Diese ersten gemeinsamen Herausforderungen verändern sich aber mit der Zeit. Die Kinder werden groß, wir werden älter. Wenn wir uns entwickeln, verändern und verschieben sich auch die Themen, jedoch nicht unbedingt das Anliegen, zusammen zu sein. Das gilt nicht nur für Freundschaften, sondern auch für Paare. Bei ihnen steht am Beginn oft erst das enge Beisammensein im Vordergrund, dann die gemeinsamen Aufgaben wie den Aufbau der beruflichen Karriere, Hausbau, Kindererziehung, aber auch die Pflege der sozialen Kontakte. Später geht es wieder mehr darum, was diese Erwachsenen, wenn ihre Kinder flügge werden, noch miteinander vorhaben, und dann, wie sie gemeinsam alt werden wollen. So wie sich Paare neu definieren, sich neue Inhalte geben müssen, brauchen auch Freundschaften neue Themen, neue Erfahrungsfelder. Der Zeitpunkt, wann sich etwas ändern muss, ist oft nicht so klar zu erkennen. Wenn ich einen guten Zugang zu meiner Wahrnehmung und meinen Gefühlen habe, spüre ich, wann etwas Neues anklopft. Im Beruf wie in Beziehungen reicht nämlich nicht das Nötige, weil es nur dazu beiträgt, dass der Status Quo erhalten, aber Innovation auf der Strecke bleibt. Ich muss schon 10% mehr investieren, damit sich die Lebendigkeit erneuert, neue Perspektiven und Projekte möglich werden, die Beziehung nicht in einen alltäglichen Trott verfällt. Wenn sich allerdings dieser ankündigt, stellen sich oft Fragen.
Gibt es noch gemeinsame Interessen? Investiert sich jeder noch mit seiner Person? Was trage ich dazu beitragen, dass die Beziehungen nur noch so dahin „tröpfeln“? Lohnt sich noch die Zeit, die ich mit den anderen verbringe? Fühl ich mich überhaupt noch wohl in dieser Gemeinschaft? Solche Fragen tauchen ab und an im Prozess von Beziehungen auf. Bin ich aufmerksam dafür, wenn sich bei anderen Frust einstellt, spüre ich, wenn ich selbst unzufrieden werde? Kriege ich mit, wenn es kriselt?

Konflikte sind erst leise

Es gehört zur normalen Dynamik in Beziehungen, dass die Wellen auch mal hochschlagen. Es wird hitzig diskutiert oder es gibt auch schon mal zunehmenden Ärger, der dann hochkocht. Diese Stimmungsschwankungen sind dann nicht gefährlich, wenn sie auch wieder kurzfristig befriedet werden, wenn sie in ein generelles Wohlwollen eingebettet sind. Kann ich aber mit dem anderen nicht mehr reden, verliere ich die Freude daran, von mir noch etwas zu investieren. Spüre ich Missachtung im Zusammensein, fühle ich mich nicht mehr wertgeschätzt, sind das schon heftige Anzeichen für einen Konflikt.
In Familien können wir an den Kindern oft beobachten, dass es Konkurrenzkämpfe gibt, weil sich der eine oder die andere vernachlässigt oder ungerecht behandelt fühlt, weil Neid auf den Bruder oder die Schwester entsteht. Das Gleichgewicht ist gestört. In Freundesgruppen kann schnell passieren, dass sich einzelne Cliquen abspalten, wenn sich Unzufriedenheit, die sich nicht offen artikuliert, im Untergrund breitmacht. Begegnungen werden vermieden, Treffen schlafen ein.
Bei Paaren wird der Alltag zunehmend nüchtern, die Sprache kühl, wenn nicht aggressiv. Das Interesse aneinander schwindet. Dann ändert sich der Umgangston und die Lust an gemeinsamen Unternehmungen geht verloren. Oft wird auch der Konflikt in der sexuellen Verweigerung ausagiert. Man geht sich immer mehr aus dem Weg, indem einer länger in der Arbeit bleibt.
Wenn das geschieht, haben sich bereits Konflikte die Wege durch die Seele gebahnt. Sie sehen aus wie die Gänge der Borkenkäfer unter der Rinde der Baumstämme. Will ich den befallenen Baumstamm noch retten, muss ich handeln. Will ich den Konflikt nicht in eine schwer zu bearbeitende Krise hineinlaufen lassen, die Eskalation vermeiden, ist es jetzt höchste Zeit, sich um das zu kümmern, was gerade nicht mehr funktioniert. Dabei ist oft die „Sache“, das Vergehen selbst nicht das größte Problem, sondern die verletzten Gefühle.

Verletzte Gefühle führen in den Konflikt

Konflikte entstehen, wenn Gefühle verletzt werden. Im Konflikt geht es weniger um die Sache selbst, sondern mehr um den Verlust von Vertrauen, von Wertschätzung, sich missachtet, ausgegrenzt zu fühlen. Die eigentliche Sache, die zum Konflikt führte, ist ja sowieso meist nicht mehr rückgängig zu machen, es ist geschehen. Mit dem Geschehen werden Gefühle verletzt. Im Umgang mit dem Konflikt geht es deshalb um die Anerkennung der Verletzungen. Es geht darum anzuerkennen, dass Vertrauen missbraucht, Aburteilungen ausgesprochen wurden, der andere sich hintergangen, missachtet, ausgebootet oder missbraucht fühlt. Es fehlte an Wertschätzung und würdevollem Umgang. Alle diese Gefühle brennen in der Seele und fiebern nach Akzeptanz. Ich will mit diesen Gefühlen verstanden werden. Erst wenn der andere bereit ist, anzuerkennen, dass er Missachtung, gezeigt, Misstrauen gesät, mehr genommen als gegeben hat, können sich Partner wie Freunde wieder aneinander annähern. Dann sind Versöhnung und Vergebung möglich. Werden verletzte Gefühle nicht thematisiert oder ernst genommen, verhärten sich die Fronten. Ein Gespräch, das zur Aussöhnung führen soll, ist dann kaum möglich. Verzeihung und Versöhnung sind aber die notwendigen Grundbedingungen für notwendige Vereinbarungen, damit die Beziehung sich neu ausrichten kann.

Link Unbearbeitete Konflikte münden in Krisen


Kategorie: Analysiert

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang