Auch wenn mein Charakter von einem oder zwei Charakterzügen am deutlichsten bestimmt wird, bin ich nicht auf nur zwei Stränge reduziert. Ich habe viele lebendige Bewohner in mir, die mitmischen. Erst das Zusammenspiel dieser inneren Anteile macht mich aus. Dafür muss ich allerdings jedem Bewohner auch Raum geben.
Die Vielfalt macht lebendig
Wir haben zwar einen besonders starken Bewohner in uns, der uns leitet, der das Sagen hat, aber ohne die anderen Untermieter wären wir sehr unlebendig. Es ist die Mischung, die uns interessant macht.
Die Versuchung ist groß, dem starken Bewohner in unserem Haus zu viel Aufmerksamkeit zu schenken und die anderen nur „mitlaufen“ zu lassen. Er wird dann zu dem, der sich in uns mit großer Sicherheit bewegt, weiß wie alles geht, der sich auskennt. Diesen Bewohner haben wir über viele Jahre gut gepflegt. Geben wir ihm aber immer noch mehr Raum, können die anderen sich nicht entfalten. Wir werden einseitig und erhöhen damit das Risiko zu scheitern. Das soll an einem Charakterzug erklärt werden, der Menschen sympathisch macht und zugleich zum Scheitern führt, wenn ich ihn voll auslebe.
Der Helfer
Als Helfer engagiere ich mich für andere. Ich weiß, wo Not sitzt, ohne zu fragen. Ich bin immer da, springe ein, wenn jemand ausfällt, ich bin gefällig. Ich werde gefragt, ob ich etwas übernehme, weil ich ja schwer Nein sagen kann. Oft bin ich sogar sehr beliebt. Ich kann auch überall mitreden, gebe auch ungefragt Ratschläge, mische mich ein, kritisiere auch schon mal, was andre machen. Ich werde immer wichtiger. So gefragt ich auch bin, irgendwann ist es den anderen zu viel. Dann spüre ich, dass sich die anderen mehr und mehr zurückziehen. Das treibt mich nur noch mehr in meinen vorherrschenden Charakterzug: Ich tue noch mehr. Das hat aber zur Folge, dass Andere nicht mehr mitmachen. Irgendwann habe ich selbst so viel „an der Backe“, dass ich fast nicht mehr kann. Jetzt gibt es nicht nur die Gefahr, dass ich ausfalle, sondern ich habe schon länger den anderen die Möglichkeit genommen, ihre Begabungen einzubringen. Denn ich habe Felder besetzt, die andere gebraucht hätten, um in der Gruppe ihre Rolle einnehmen zu können. Ich verhindere regelrecht, dass andere mitmachen können.
Meine Stärke, Not zu sehen, zu helfen, zu wissen, wie das geht, hat nicht nur dazu geführt, dass ich mich selbst überlaste, sondern auch, dass die anderen mich ausgrenzen müssen. Sie wollen nicht, dass ich alles an mich ziehe, ihnen reinrede, ihnen den Platz wegnehme. Was ich ja eigentlich gar nicht beabsichtige, aber durch meinen Charakterzug, den ich voll auslebe, bewirke.
Wie kann ich mich als Helfertyp entwickeln
Als „Helfer“ bin ich mit meiner Aufmerksamkeit immer außerhalb meiner selbst. Ich schaue, wo ich helfen oder einen Rat geben kann, was ich jemandem mitgeben, wie ich anderen eine Freude bereiten kann. Meine Entwicklungschance liegt nicht darin, diese Fähigkeiten noch zu verstärken, sie sind bereits stark genug und werden mir nicht mehr abhanden kommen. Ich muss etwas bisher Ungewohntes lernen: Den Blick auf mich selbst zu lenken. Wie geht es meiner Seele? Kann ich gut mit mir alleine sein oder muss ich immer etwas für andere tun? Halte ich mich auch aus, wenn ich nichts für andere machen kann? Brauche ich so viel Bestätigung von außen? Ist mein Leben noch sinnvoll, wenn ich mich mehr um mich kümmere? Darf ich so egoistisch sein? Das klingt erst einmal egoistisch, ist es aber gerade für dieses Charaktermuster nicht, denn wenn ich mit mir selbst nicht zurecht komme, kann ich auch andere nicht darin unterstützen, dass sie Ihres entfalten können.
Der Helfer ist eines der neun Charaktermuster, die im Enneagramm beschrieben sind. Eine ganz andere Dynamik entwickelt derjenige, der sich zurückhält, mehr beobachtet und sich von den anderen oft nicht verstanden fühlt.
Ich bin anders: Die Besonderen
Ich bin kreativ, künstlerisch, melancholisch, eher ein wenig zurückgezogen. Eigentlich leide ich an dieser Welt. Es geht mir um Authentizität, ich will mich nicht verbiegen. Das Leben ist schwer. Es darf vor allem nicht gewöhnlich werden. Über meine kreative Ader und meinen besonderen seelischen Tiefgang kann ich den Schmerz über diese Welt als Künstler, Schauspieler, Clown oder Therapeut ausleben. Meiner verletzten Seele Ausdruck zu geben, andere in ihrem Leid zu verstehen, ist mein Anliegen. Ich bin viel mit mir beschäftigt. Auch habe ich oft den Eindruck, dass ich nicht verstanden werde. Dann bleibe ich in mir versunken, verliere den Kontakt nach außen, kann mich dann auch in eine schönere Welt wegträumen, mir das Leben einspielen, das ich gerne hätte. Damit schneide ich den Faden zu den anderen durch. Auf andere wirkt mein Verhalten nämlich eher hilflos und setzt deren Aktionismus in Gang. Sie tun das, von dem ich mich zurückgezogen habe, so dass das Leben immer mehr an mir vorbei läuft. Da ich mich schwer tue, mir von anderen helfen zu lassen, komme ich nicht „aus meiner Ecke heraus“. Ich bekomme die Ausstrahlung „Mir kann es auch niemand recht machen.“ Meine Stärke, mit der ich aktiv und kreativ die Welt mitgestalten könnte, führt mich ins Scheitern, wenn ich mich in mir verkrieche, vielleicht sogar depressiv werde, anstatt den Blick auf die Wirklichkeit zu lenken.
Wie kann ich aus meiner Ecke herauskommen?
Meine Gabe, mich viel in meiner Seele aufzuhalten, mich in eine andere, bessere Welt weg zu träumen, tiefe menschliche Prozesse gut zu verstehen, führen manchmal dazu, dass ich etwas weltfremd werde. Ich verliere dann den Bezug zur Realität. Da ich auch immer nach Außergewöhnlichem ausschaue, stelle ich besondere Ansprüche an meine Umwelt. Gelingt es mir, im normalen „gewöhnlichen“ Alltag meinen „außergewöhnlichen“ Beitrag zu leisten, bewege ich mich auf meiner Entwicklungsschiene. Ich muss mich der Realität, der Wirklichkeit stellen, mich nicht zurückhalten, sondern bei aller Gewöhnlichkeit meinen Beitrag einbringen.
Der „Helfer“ und der „Besondere“ repräsentieren zwei der neun Muster, die das Enneagramm beschreibt. Im Beitrag über die Kehrseite unserer Stärke waren bereits "der Macher“ und der „Wissende“ beschrieben“. Im nächsten Beitrag geht es um den „Perfektionisten“ und den „Unterhaltsamen“, zwei sehr gegensätzlich wirkende Charakter-Ausprägungen.
Links:
Ablehnung und Niederlagen sind die Kehrseite meiner Stärken:
Ich stolpere über meinen Charakter
Die Zimmer in meinem Seelenhaus
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