Lebensmodelle
Durch die Emanzipation der Frauen müssen sich Paare mit einer Dynamik auseinandersetzen, die von beiden Seiten viel verlangt. Für Männer ist es fast selbstverständlich gewesen, dass sie sich in ihrem Beruf verwirklichen und, wenn sie das Richtige gewählt haben, auch Zustimmung und Bestätigung erleben. Sie sind die Ernährer, auch wegen des oft höheren Verdienstes. Noch vor fünfzig Jahren war es in vielen Fällen üblich, dass die Frau ihm dafür den Rücken durch die Hausarbeit und die Kindererziehung freigehalten hat. Männer mussten damals ihre Einwilligung geben, wenn Frauen arbeiten wollten. Die damals gängige Norm: „wenn Männer die Berufstätigkeit der Frauen unterstützen, sind sie nicht in der Lage die Familie zu ernähren“ berührte das Selbstwertgefühl der Männer, so dass oft nur ledige Frauen oder diejenigen, die einen höheren akademischen Abschluss hatten, ihren Beruf ausüben konnten. Oder deren Männer sich nicht an dem Gerede der Nachbarn und Stammtischbrüder störten. Dieses Lebensmodell funktioniert schon länger nicht mehr. Frauen sind selbstbewusster geworden. Sie haben Ambitionen, sich in der Gesellschaft mit ihren Kompetenzen einzubringen. Da braucht es eine andere Verteilung der häuslichen Aufgaben. Das geht nicht immer ohne Spannungen.
Jeder braucht etwas Eigenes
Männer gehen nach wie vor davon aus, dass die Frauen, auch wenn sie berufstätig sind, für sie, die Kinder und den Haushalt verantwortlich sind, denn sie haben von ihren Müttern erlebt, dass diese den häuslichen Hintergrund sichern und der Job der Frauen, auf den inzwischen viele Familien angewiesen sind, zwar als willkommener Nebenverdienst gesehen wird, der aber nicht dazu führen darf, dass die ureigenen Aufgaben zu Hause vernachlässigt werden. Das führt zwangsläufig zu Spannungen und auch zu Konflikten, denn heute sind fast alle Frauen gut ausgebildet und verfügen über Kompetenzen, die in unserer Arbeitswelt wie in den Ehrenämtern gefragt sind. Frauen sehen die Notwendigkeit, sich auch außerhalb der eigenen vier Wände zu verwirklichen, und auch Karriere zu machen. Deshalb zeigt der Film ein ernstzunehmendes Problem auf.
Das erlebt auch Agnes. Beim Besuch der Tafel, wo sie Lebensmittel aus dem Supermarkt vorbeibringt, lernt sie eine Frau kennen, die sich dort mit „Herzblut“ engagiert. Sie will bei der Tafel als Mitarbeiterin einsteigen, denn sie findet diese Arbeit, die Armen und Bedürftigen mit Lebensmitteln zu versorgen als eine dringende Aufgabe. Sie spürt eine innere Verantwortung, sich zu beteiligen. Es ist eine Aufgabe, für die sie sich selbstbestimmt und mit Freude entscheidet, die aber dazu führt, dass sie nicht mehr zu jeder Zeit für die pubertierende Tochter und den Ehemann verfügbar ist, sie auch manchen, früher selbstverständlichen Aufgaben zu Hause nicht mehr nachkommen kann. Sie hat etwas Eigenes, zu dem sie sich hingezogen und für das sie sich verpflichtet fühlt. Das ist für alle Beteiligten ungewohnt. Damit gerät die Familie in die Krise.
Auseinandersetzungen nicht scheuen
Das ist nur eine Konstellation, wie Krisen in Beziehungen entstehen, wenn einer aus dem gewohnten Alltag neue Wege einschlägt, um eigene Kompetenzen und die persönliche Weiterentwicklung zu betreiben. Das muss nicht nur das Beispiel der nicht berufstätigen Hausfrau sein, die plötzlich etwas Neues will. Krisen können auch in Paarbeziehungen entstehen, in denen beide von Anbeginn an ihr Eigenes beruflich oder ehrenamtlich verfolgen und ihre häuslichen Aufgaben einvernehmlich geregelt haben. Da braucht nur einer von beiden beruflich versetzt zu werden oder bekommt eine neue verantwortlichere Aufgabe angeboten, für die abzusehen ist, dass nicht mehr so viel gemeinsame Zeit zur Verfügung steht. Gibt es dazu Gespräche? Kann der andere das unterstützen?
Fehlt die Akzeptanz des Partners dafür, entstehen Spannungen, die sich nicht einfach so wieder auflösen. Sie verschärfen sich, wenn sie nicht wahrgenommen und durch Aussprachen bearbeitet werden. Jedes „gute“ Gespräch, in dem zugehört wird, was den Partner beschäftigt, bietet die Chance zu erfahren, welche Wünsche und Vorstellungen er an sein Leben hat. Der Partner oder die Partnerin kann sich damit anfreunden und vielleicht sogar selbst motiviert werden, etwas für sich zu tun, sich selbst weiter zu entwickeln. Beziehungen erleben damit eine neue Lebendigkeit, wenn jeder vom anderen für die eigene Entwicklung Unterstützung findet. Solche Beziehungen strahlen etwas aus, Freunde sind mit ihnen gerne zusammen, weil auch sie von dem Potential dieser Energie profitieren. Entwicklungsfreudigkeit in einer Beziehung, in der jeder etwas Eigenes verfolgen kann und Unterstützung durch den anderen genießt, ist vermutlich eine gute Voraussetzung dafür, dass die Beziehung nicht im Einerlei versandet. Denn beide bereichern mit dem, was sie außerhalb machen, ihre Beziehung innen, wenn sie die Gespräche in ihrer freien Zeit dafür nutzen. Auch solche Beziehungen sind nicht frei von Spannungen. Ohne gegenseitigen Austausch, der dem anderen hilft mitzugehen, führen zu Konflikten. Jede Wegkreuzung, also jede neue Herausforderung, die der Beruf, das Ehrenamt oder das eigene Hobby mit sich bringen, zeigt die nächste Entwicklungsstufe an. Geht der Partner weiter mit oder verweigert er oder sie die Zustimmung?
Nicht aufhören
Wer für Entwicklung offen ist, kann sie bis ins hohe Alter verfolgen. Auch Senioren brauchen noch Perspektiven, mit denen sie sich lebendig halten. Sie verfügen über wertvolle Erfahrungen, über Interessen und Kompetenzen, mit denen sie ihre Zeit im Alter auf ganz eigene und auch spannende Weise füllen können, damit die Zweierbeziehung lebendig bleibt. Die eigene Entwicklung im Alter weiter zu betreiben, hilft auch dabei, sich nicht zu sehr vom Partner oder der Partnerin abhängig zu fühlen. Denn wenn dann einer irgendwann alleine zurückbleibt, geht nicht alles mit dem anderen verloren. Da bleibt noch etwas Eigenes, das die Person auch durch die Trauerzeit stärken kann.
Allerdings gibt es auch solche Lebenskonzepte, in denen Paare die Lösung darin sehen, keine Entwicklung zu betreiben, um so den Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen. Auseinandersetzung ist aber das Salz in der Suppe, welche auch den Geschmack in der Beziehung verändern kann. Deshalb hilft ein bisschen Mut, sich zu den eigenen Vorstellungen und Wünschen zu bekennen, sich aufzurappeln sie auch zu verwirklichen. Ein ganz neuer Schwung kann die Beziehung auffrischen.
Partner können froh sein, wenn immer einer die Kraft aufbringt, die eigene Entwicklung zu betreiben und damit dem anderen den Weg für das Seine öffnet.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!