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Das Gewissen braucht den Verstand

Der Wille, der sich in unserem Leben rührt, sobald wir Ich sagen können, braucht mit zunehmender Entfaltung einen Unterstützer, damit er sich nicht rücksichtslos „die Bahn bricht“. Es ist das Gewissen, das sich im Willen artikuliert. Es reguliert den Wildwuchs des Willens und die Will-kür. Das Gewissen bildet sich durch die Reaktionen der Umwelt auf mein Verhalten aus.

Ich lerne im Laufe meiner Kindheit was Gut und Böse ist. Damit ich aber die Reaktionen auf mein Verhalten verstehe, brauche ich das Einfühlungsvermögen in den anderen Menschen und meinen Verstand.

Mein Verstand erkennt Zusammenhänge

Erst mit dem Verstehen kann sich mein Gewissen entfalten. Die von Jean Piaget beschriebene Entwicklung des Erkennens und Verstehens zeigt, dass es bis zum 9. Lebensjahr dauert bis die Verstehens-Potentiale in mir freigelegt sind. Dieser Prozess geht bis ins Alter weiter. Wir lernen mit jeder neuen Situation dazu.

Wenn ich z.B. als Pflegefall von Pflegekräften betreut werde, angewiesen bin auf ihre Hilfe, mich aber abweisend oder unwirsch verhalte, kann ich erleben, wie mein Verhalten auf die Motivation der mich Pflegenden wirkt. Kommen Sie gerne in mein Zimmer oder sind sie froh, wenn sie wieder gehen können? Mein Verstand registriert das, stellt Zusammenhänge her und kann daraus Konsequenzen ziehen.

Urteilsvermögen wächst

Ich erkenne Regeln, die das Zusammenleben ermöglichen, ob ich 5 Jahre alt bin oder 85. Entscheidend ist aber, ob ich die Reaktionen der anderen ernst nehme, oder ignoriere. Erst wenn ich die Reaktionen der anderen erlebe und für mich auch Konsequenzen ziehe, habe ich eine Chance, mich zu verändern. Irgendwann bin ich mit Urteilsvermögen ausgerüstet, um „Gut“ und „Böse“ zu unterscheiden, denn ich begreife das Für und Wider. Diese Unterscheidungsmöglichkeit ist die Grundlage für meine Urteilsfähigkeit und mein Gewissen.

Stufen der moralischen Entwicklung

Wie für die Entwicklung des Erkennens und Verstehens gibt es auch für die Dimension des Gewissens eine Abfolge von Stufen. Lawrence Kohlberg unterscheidet bis zu 7 Stufen der moralischen Entwicklung. Keine dieser Stufen kann übersprungen werden, aber nicht jeder erreicht die letzten Stufen.

Wille, Gewissen, Verstand

Mit meinem Willen, der durch den Verstand sein Ziel erhält und im Gewissen Gut und Böse unterscheidet, gestalte ich nicht nur mich und mein kleines individuelles Leben, sondern nehme auch Einfluss auf mein Umfeld, meine Familie, meine Freunde, meinen Beruf, die Gesellschaft. Ich übe sogar Einfluss auf die Politik und die Religion aus. Ich bin mit meiner ganzen Energie und mit meinen Potentialen in der Welt. Damit sich mein Wille nicht ohne Rückbindung auf den Weg macht, ich meinen Willen für das Gute einsetzen kann, brauche ich Unterscheidungskriterien. Diese Kriterien finde ich sowohl in meinem Gewissen als auch in den Werten, die mir im Leben wichtig sind.
Das mündet in die einfache Formel: „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu“ als Grundsatz für die Entwicklung ethischer Forderungen. Ich muss mich nur in den anderen versetzen, um zu erkennen, was von mir gefordert ist.

Dem Gewissen folgen oder das Gewissen ignorieren

Ich kann nämlich so oder so entscheiden. Ich kann meine Macht missbrauchen um Menschen zu manipulieren oder zu knechten, aber auch um andere zu unterstützen. Ich kann meine Intelligenz nutzen um Steuern zu hinterziehen, aber auch gewissenhaft meine Jahressteuer berechnen. Ich kann mein Wissen einsetzen um die Umwelt auszubeuten oder PKWs zu manipulieren, aber auch dafür nutzen das Gleichgewicht der Ökobilanz zu unterstützen. Ich kann meine Trägheit ausleben, indem ich auf Kosten der Gesellschaft lebe, mich aber auch überwinden und einer geregelten Arbeit nachgehen, um so meinen Beitrag zu dieser Gesellschaft zu leisten. Ich kann meinen Erfolg nutzen, um die Gesellschaft zu hintergehen, indem ich meine Gewinne ins Ausland verschiebe aber auch dafür, soziale Projekte zu unterstützen. Ich habe es in der Hand in welche Richtung ich mich orientieren will.

Der Verstand unterstützt meine Entscheidungen

Bei der Abwägung, wie ich mich entscheiden will, spielt natürlich mein Verstand eine lenkende Rolle. Ich bin nämlich mit meinem Verstand, mit meinen sozialen Fähigkeiten, meiner Urteilskraft und mit meinem Gewissen in der Welt. Je mehr ich verstehe, dass es auf mein Verhalten ankommt, ob sich das Gute entwickeln kann, desto entschlossener kann ich die Verantwortung für die Gestaltung meines Lebens sowie für das Zusammenleben mit anderen übernehmen.
Das kann ich nicht nur von Fall zu Fall entscheiden, sondern ich muss mein Gewissen mit langfristigen Zielen ausstatten. Dazu mehr im nächsten Beitrag:  Gewissen und umfassende Werte und Ziele


Kategorie: Verstehen

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