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Corona – Training für einen ökologischen Lebensstil

Wir sind in einer großen Umbruchzeit. Corona zeigt uns, dass wir zu einschneidenden Änderungen in der Lage sind. Die Änderung bezüglich der Umweltproblematik ist schon lange überfällig, aber um die wirkliche Bedrohtheit unserer biologischen Existenz einzusehen, braucht es anscheinend so etwas wie eine Pandemie.

Corona geht möglicherweise als ein Wendepunkt in die Geschichte ein, denn so wie vorher wird es in unserer Konsumgesellschaft wohl nicht weitergehen. Wenn wir den Klimakollaps verhindern wollen, müssen wir jetzt handeln. Die Quarantäne hat gezeigt, dass wir das hinbekommen könnten, aber nicht so einfach:
Es geht nicht darum, unsere Ansprüche an ein „gutes Leben“ zu lassen, sondern darum, wie wir mit dem übermäßigen Konsum auf allen Lebensebenen umgehen, mit dem nicht nur unsere Wirtschaft und Industrie, sondern jeder einzelne Konsument und Autofahrer maßgeblich an der Vernichtung unserer Lebensgrundlage beteiligt ist. Dafür müssen wir uns die scheinbare Unausweichlichkeit des Konsums näher ansehen.

Der Konsum füllt eine Leerstelle in uns

Mir ist aufgefallen, dass der Konsum in uns etwas füllt, was ich als Leerstelle bezeichnen würde. Wenn ich mir Dinge anschaffe, die ich nicht notwendigerweise brauche, muss ich mich doch fragen, weshalb ich das tue. Es ist doch eigentlich unnötig. Aber weshalb verzichte ich nicht darauf? Was ist da in mir los, dass ich etwas kaufe oder nutze, was nicht notwendig ist? Ich könnte auch anders. Corona zeigt es mir ja gerade. Das geht ja nicht nur mir so, sondern vielen anderen auch. Wenn wir genau hinschauen, dann füllen wir mit unserem Konsum eine Leerstelle in unserem Leben aus.
Diese Lücke in uns können wir auch Unzufriedenheit, Langeweile, Trägheit, etwas Gelten-Wollen, sich verwöhnen lassen, etwas erleben nennen. Der Drang nach einem neuen Kleid, obwohl wir bereits fünf im Kleiderschrank haben, nach einem neuen, noch größeren Auto, obwohl die letzte Anschaffung erst 6 Jahre zurückliegt, einer weiteren Fernreise im Jahr sollen uns mehr gute Gefühle einspielen. Aber genau das passiert ja nur begrenzt. Denn gut von der einen Reise zurück, wird schon nach der nächsten Ausschau gehalten. Das gilt auch für Mode, für Autos, wie für Events. Das hat die Wirtschaft schon lange erkannt, denn unsere Konsumgesellschaft lebt von unseren Gefühlen, nämlich  dazuzugehören, sie lebt von unserer Mitmachfreude, von unserer Lust auf Neues, von unserem Geltungsdrang, aber auch von unserer Angst, zu kurz zu kommen wie von der angestauten Unzufriedenheit. Diese Leerstellen wollen gefüllt werden, damit wir uns mehr Zufriedenheit einspielen. Denn wenn wir aus dem Konsumzwang aussteigen, müssen wir unsere Leerstelle mit etwas Anderem füllen. Außerdem geraten wir schnell ins „Aus“, weil wir nicht mehr „mitspielen“. Wir brauchen dann schon neue Motive, um kein Defizitgefühl zu entwickeln. Denn Defizite machen anfällig für die Versuchungen der Werbung.
In einer Studie aus den 70er Jahren hat man herausgefunden, dass der Montag der Tag ist, an dem, insbesondere Frauen, sich etwas Gutes tun, etwas Schönes für sich einkaufen, Geld für sich ausgeben. Die Gründe liegen im Wochenende, das anscheinend für viele von ihnen darin bestand und vielleicht auch immer noch besteht, allen Bedürfnissen in der Familie gerecht zu werden. Das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, hat dann den Impuls für den Konsum ausgelöst. Die unzufriedene Leerestelle in uns scheint uns geradezu zu zwingen, zu konsumieren, wegzufahren, uns etwas zu leisten, was die anderen auf uns aufmerksam macht.  
Wenn wir die Erfahrungen von Corona als Chance sehen, dass wir viel weniger brauchen, dann ist das auch eine Chance für unsere Umwelt.

Das Vorbild der Älteren ist gefragt

Wenn ich meine Generation anschaue, dann sind wir spätestens jetzt gefragt, unseren Lebensstil neu zu betrachten. Um welche Werte geht es uns „Alten“? Wie schauen wir auf diese Zeit und unsere Lebensweise? Welche Vorbildfunktion haben wir für die, die nach uns kommen? Alle diese Fragen tauchen jetzt in mir auf, in einer Krise, in der wir in die Passivität gedrängt sind. Da müssten wir doch noch unzufriedener werden. Seltsamerweise passiert das im Augenblick nicht mit mir, weil Corona es mir leicht macht, jetzt schon meinen Lebensstil zu ändern. Meine Leerstelle fülle ich gerade mit besonderer Aufmerksamkeit für meinen Garten, mit Yoga, womit ich meinen Tag strukturiere, wie mit dem Nachdenken, das dem Schreiben vorausgeht. Im Austausch mit Freunden erlebe ich, dass ich mit diesen Überlegungen nicht alleine bin, sondern sie auch über ihren Lebensstil nachdenken. In ihnen bewegt sich etwas Ähnliches. Meiner Ansicht nach zeigt das, dass unsere Art zu leben, endgültig in Frage steht. Sie fühlen es wie ich, dass es mit weniger auch gut geht. Mit diesem Wissen können wir für unsere Umwelt viel erreichen, und selbst sogar zufriedener werden.

Sich neu auf den Weg machen

Corona bildet wahrscheinlich den Abschluss einer sehr erfreulichen Epoche der Bundesrepublik, in der wir Älteren fast unser ganzes Leben aufbauen konnten. Unsere Eltern, danach auch wir, haben in den letzten siebzig Jahren mitgeholfen, dass sich unser Land aus den Trümmern des Krieges wie ein Phönix aus der Asche erheben konnte. Wir haben uns angestrengt, um viel zu erreichen. Das ist uns auch weitestgehend gelungen. Wir haben einen Lebensstandard entwickelt, der weit über dem Durchschnitt anderer Länder liegt. Auch verfügen wir über die vielen Vorteile einer Demokratie, über ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungssystem, Pressefreiheit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, freie Berufswahl, Wahlberechtigung, soziale Absicherung, die weltweit in diesem Ausmaß nicht selbstverständlich sind. Wir leben auf einem hohen Niveau. Ich bin sehr froh, in diesem demokratischen Deutschland zu leben, in dem sich jeder individuell entwickeln und verwirklichen kann und gleichzeitig viele Absicherungen unser Leben stützen. Diese besonderen Werte sind aber nicht selbstverständlich. Wir verdanken sie unseren Bemühungen wie den Politikern, die mit ihren Entscheidungen unsere Freiheit bewahren, auch wenn es gerade wieder Bewegungen gibt, die sich in ihrer persönlichen Freiheit durch die Regulierungen während Corona eingegrenzt fühlen.
Bei allem Wohlstand, den wir erreicht haben, mit dem wir uns vieles im Lebensalltag gönnen können, unter anderem große, sichere Autos zu fahren, weltweit zu verreisen, sind uns aber enorme Fehler unterlaufen. Wir haben nicht früh genug darauf geachtet und daraus Konsequenzen gezogen, welche Folgen unser Fortschrittsdenken, unsere luxuriösen Ansprüche für die Biosphäre haben. Wir haben die Natur ausgebeutet.
Wir stehen kurz vor einem Klimakollaps, der unsere Lebensgrundlage und die der nächsten Generationen infrage stellt. Der Naturschutz, wie auch die Sorge um unser Klima brauchen jetzt die Priorität. Es bedarf größerer Aufmerksamkeit dafür, die auch zu mehr Investitionen führen muss. Es kann nicht sein, dass wir durch unser Konsumverhalten die unterstützen, die weiter an der Zerstörung unseres Lebensraumes beteiligt sind, wie nur ein Beispiel zeigt, die Luxusliner, die als Dreckschleudern über die Meere schippern.

Eine Aufgabe für jeden Einzelnen

Das ist eine große Aufgabe nicht nur für die Politiker, sondern für jeden von uns. Aber insbesondere für unsere Rentnergeneration, die finanziell gut versorgt ist, über größere Zeit-Ressourcen verfügt als die Jungen, die gerade dabei sind ihre Kinder groß zu bekommen und dabei noch unsere Rente erwirtschaften. Wir „Alten“ sind mit unserem Lebensstil angefragt, ein anderes Leben vorzuleben. Fragen wir uns, welches Vorbild wir abgeben, wenn wir die Leerstellen in uns weiter mit Konsum füllen. Wir stehen in der Verantwortung, wenigstens jetzt das zu tun, was in unseren Möglichkeiten liegt. Das kann auch ein neuer Schwerpunkt für unsere Leerstelle werden, denn wenn sich unser Verhalten, zumindest auf dem Reisesektor, als größte Konsumgruppe ändert, hat das auch Auswirkungen auf andere. Wir können nämlich diejenigen sein, die mit den umweltbewussten Jungen daran arbeiten, dass der Missbrauch an der Natur aufhört.

Was füllt die Lücke bei weniger Konsum?

Corona hat uns gezeigt, dass wir mit weniger Konsum auskommen, dass wir einfacher leben können, dass wir uns ohne Kreuzfahrtschiffe oder Reisen auf die Malediven erholen, die Hose und die Jacke vielleicht auch noch einen weiteren Sommer tragen können, ohne dass uns Schaden zuwächst. Der Verzicht auf viele Auto- und Schifffahrten sowie Flüge in den letzten Wochen lässt sogar schon Erholungsphasen der Pflanzenwelt erkennen.
Es geht nicht darum, alles abzuschaffen, sondern bewusster ökologisch zu leben. Wir können doch einfach das Auto manchmal stehen lassen, die Wellnessangebote statt in Thailand auch hier im Land nutzen, beim Einkaufen kritischer auf die Produktherkunft achten. Wir können uns auch fragen, ob wir das eine oder andere überhaupt brauchen. Spüren wir den Drang zu Konsum in uns, können wir uns fragen: Welches schlechte Gefühl will ich gerade damit überdecken?

Wir brauchen Rückgrat

Nicht alle wollen ein einfacheres Leben im Alter führen. Solche Aussagen, wenn es darum geht, die mehrfachen Reisen im Jahr zu rechtfertigen: „das haben wir uns doch verdient“ zeigen mir, dass wir eine Belohnung suchen. Als hätte das zurückliegende Leben uns nicht schon reichlich belohnt. Jetzt geht es mehr darum, unsere Kapazitäten für die nächste Generation einzusetzen.
Wenn ich mich für ein Leben mit einem größeren ökologischen Bewusstsein entscheide, ändert sich mein Lebensstil. Die Entscheidung zum nachhaltigen Leben, um damit auch der nächsten Generation eine gute Lebensgrundlage zu ermöglichen, muss ich ernst meinen, damit ich standhaft bleibe, nicht „umfalle“ aber auch, um mich gegen Widerstände, oder ein geringschätzendes Lächeln zu behaupten.

Was nehme ich mir vor?

Ich gehöre zu der Hochrisikogruppe. Das hat zur Folge, dass ich nicht  zum Einkaufen gehe, meine Reisebuchungen sowieso in Frage stehen, ich meine Kontakte gerade nur digital pflegen kann. Das macht es mir leichter, jetzt schon die Konsequenzen aus meinen Erfahrungen zu ziehen. Ich habe bereits entschieden, dass ich, so oft es geht, auf das Auto verzichte, dass ich beim Einkaufen noch mehr auf regional und ökologisch achte, in meinem Garten weiter mein ökologisches Gemüse selbst anbaue. Ich denke darüber nach, meine Reiselust weitestgehend einzuschränken. Meine Leerstelle, die auch ich oft mit kleinen Kurzreisen gefüllt habe, wird sich in diesem Sommer schon deshalb nicht mehr so auftun, weil ich viel mehr Zeit in meinen Garten investiere, der mir mit seiner Lebendigkeit viel Zufriedenheit ermöglicht. Ich vermisse natürlich die hautnahen, menschlichen Begegnungen, in denen ich mich aufgehoben fühle. Ich bin deshalb froh, wenn ich irgendwann wieder Freunde einladen kann. Ich freue mich auf die anregenden Gespräche, die Vertiefung meiner Beziehungen, das Lachen, das sich mit dem Konzert der Vögel vermischt, auf ein intensiveres Leben.


Kategorie: Verstehen

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