„Es war doch gestern alles noch in Ordnung“
Unverhofft, manchmal schleichend tauchen Ereignisse im Alterungsprozess auf, an die niemand so recht denken mag. Wer glaubt schon, dass er selbst von einer schweren Krankheit betroffen sein wird, wer denkt darüber nach, ob ihn Demenz treffen kann? Dem entziehen wir uns mit der Annahme: Das trifft doch nur die anderen. Auch die Kinder wollen sich oft nicht damit auseinandersetzen, was aus Mama oder Papa in höherem Alter einmal werden könnte. Vielleicht liegt diese Frage im Untergrund und bohrt manchmal, setzt dann auch Unruhe in Gang, jedoch der Alltag mit seinen vielen Herausforderungen verdrängt sie meist.
Plötzlich ist es da
Meist ohne Vorbereitung schliddern wir im Alter in eine hilfsbedürftige Situation. Das kann ein Unfall, ein Schlaganfall, Herzinfarkt, eine Krebserkrankung oder auch Demenz sein. Diese macht sich schleichend bemerkbar, bis sie dann richtig „ausbricht“. Das ist nicht nur eine Herausforderung für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Söhne und Töchter. Die Generation zwischen fünfzig und sechzig wird jetzt mit den Gebrechen ihrer Eltern konfrontiert. Da entsteht erst einmal eine große Unsicherheit, wie mit der Situation umzugehen ist. Diese Generation steigt zum Teil aus dem Arbeitsprozess aus, Viele sind jedoch noch berufstätig und verfügen nicht über größere Zeitressourcen. Oft wohnen sie auch nicht in der Nähe der Eltern. Sie müssen dann das meiste aus der Ferne regeln. Wenn die Eltern selbst nicht früh genug Vorsorge getroffen haben, wie sie sich ihr Alter organisieren wollen, wenn sie krank werden, dann müssen die Kinder die Entscheidungen treffen, die eigentlich Sache der Eltern gewesen wäre. Diese Herausforderungen üben Druck aus und können auch ein schlechtes Gewissen machen.
In dem Buch „Alte Eltern“ erzählt Volker Kitz sehr anschaulich und einfühlsam, wie er die Begleitung seines dement werdenden Vaters erlebt. Er schildert die Herausforderungen, die Überforderung, die Ängste, Belastungen wie die wenigen Augenblicke des Glücks, wenn der Vater aus seinem Schweigen auftaucht. Er sieht und erlebt den inneren Kampf seines Vaters, seine Hilflosigkeit und auch seine „Sturheit“. Das hinterlässt in ihm oft auch schlechtes Gewissen, denn er kann nicht rund um die Uhr bei ihm sein. Manchmal ist er so fertig, dass er selbst Abstand braucht, um die Situation überhaupt aus- und durchzuhalten. Irgendwann wird es für ihn so überfordernd, dass er seinen Vater in eine „Residenz“ in seiner Nähe bringen muss. Dieser Schritt ist für beide Seiten eine emotionale Belastung.
Jeden Tag, wenn er seinen Vater besucht, beobachtet er Veränderungen an ihm, es wird nicht mehr besser, irgendwann erkennt er, dass es kein Zurück mehr gibt. In den Anfängen machte er sich noch Hoffnung, in die Normalität zurückkehren zu können. Die Normalität ist jetzt die Demenz. Das ist schwer zu akzeptieren. Auch die Auseinandersetzung mit der Patientenverfügung, die irgendwann relevant wird, macht ihm mehrfach zu schaffen. Kann und will er die Entscheidung für den letzten Schritt treffen?
Irgendwann ereilt den Vater eine Lungenentzündung, die in der Kombination mit Demenz und Schluckstörungen „nicht ungewöhnlich“ ist. Sie leitet meist die letzte Phase ein.
Der Autor, der zeitgleich mit der Betreuung seines Vaters dieses Buch schreibt, lässt die Leser direkt an den persönlichen Erfahrungen teilhaben. Er schreibt aus der Ich-Perspektive, die dem Leser viel Nähe zu dem Geschehen ermöglicht. Im letzten Teil des Buches zieht er nochmal Bilanz, schaut auf den Prozess, auf das was ihm möglich oder auch nicht möglich war.
Ein „wunderbares“ Buch, einfühlsam geschrieben. Um sich mit der Erkrankung „Demenz“ oder „Alzheimer“ zu beschäftigen ist dieses Buch ein guter Begleiter. Eigentlich sollte jeder, nicht nur diejenigen die „Alte Eltern“ haben, sondern die alten Eltern selbst, dieses Buch gelesen haben.
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