Wir biegen uns die Welt zurecht
In vielen Tests, Studien und Experimenten mit unterschiedlichen Gruppen hat der Autor bestimmte Verhaltensmuster getestet. Seine Beobachtungen machen deutlich, wie anfällig wir für egoistisches Verhalten sind. Wir scheinen eher auf unseren Vorteil zu achten, als auf das Gemeinwohl Rücksicht zu nehmen. Da wir immer beides sind, gut und böse, egoistisch und altruistisch, zugewandt und ablehnend, wahrheitsliebend oder auch die Wahrheit verschleiernd, stehen wir ständig vor der Entscheidung, welcher Seite in uns wir den Zugschlag erteilen. Wenn keiner zusieht, das eigene Handeln nicht von anderen begutachtet wird oder keine Konsequenzen zu erwarten sind, scheint die Verführung ziemlich groß, ohne Blick auf das Gemeinwohl nach dem eigenen Vorteil zu handeln. „Es weiß, sieht oder hört ja keiner“. So z.B. wenn bestimmte Angaben in der Steuererklärung unterschlagen werden, der Müll nicht getrennt wird oder Frauen durch Drogen zum Sex gezwungen werden. Um nur einige Beispiele zu nennen, die in unserem Alltag vorkommen. Aber auch in der Arbeitswelt gibt es Deals, die sich an dem Gemeinwohl vorbei schmuggeln.
Abgaben sparen
Wer kennt nicht jemand, der ohne Skrupel schwarz arbeitet oder schwarz arbeiten lässt, um Versicherungsabgaben zu sparen? Eigentlich ist das von beiden Seiten ziemlich egoistisch und genauer betrachtet ein Betrug an der Allgemeinheit. Da wird oft nicht weiter nachgedacht, welche langfristigen Folgen das hat, denn da fließen weder die Einzahlung in die Kranken- und Rentenkasse noch die Steuer an das Finanzamt ab. Im Krankheits- oder Rentenfall trifft es dann wieder die Allgemeinheit, die zur Kasse gebeten wird. Häufig wird Unterschlagung als Kavaliersdelikt verbucht, um sich nicht mit schlechtem Gewissen zu belasten, mit Worten wie: „Die Steuer frisst sowieso schon so viel auf“. Dieses Beispiel ist nur eines von Vielen, die aufzeigen, mit welchen Mechanismen wir die „geraden“ Wege unterlaufen, ohne die Folgen für das Gemeinwohl zu berücksichtigen.
Wir scheinen uns unsere Welt zurecht zu biegen, damit sie für uns passt, erzählen Geschichten über uns, die nur die halbe Wahrheit abbilden, wir schauen anscheinend häufiger an der Not anderer vorbei, wenn es ans „Eingemachte“ geht. Auch wollen wir bei Problemen oft nicht so viel wissen, um uns nicht schuldig fühlen zu müssen. Wir erinnern uns lieber an das, von dem wir über uns „Gutes“ erzählen können. Das, was unangenehm erlebt wird, drängen wir aus unserem Bewusstsein. Wir haben offensichtlich viele Tricks auf Lager, mit denen wir die unsozialen Anteile unseres Handelns vor uns und anderen rechtfertigen.
Kooperation ist Voraussetzung für gelingende Gemeinschaft
Nicht nur für Familien, sondern auch für Gruppen, Gremien, Unternehmen und Vereine ist die Fähigkeit zur Kooperation eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg. Deshalb sind altruistische Verhaltensweisen notwendig, um dem egoistischen Trieb in uns nicht ganz zu verfallen. „Gutes“ tun ist eine Entscheidung aus einer Haltung heraus, denn wir stehen immer in der Spannung zwischen den eigenen und den Interessen anderer. Das ist ein fundamentaler Zielkonflikt, auf den wir nicht nur im Privaten, sondern auch in der Gesellschaft reagieren müssen. Das gilt auch für Unternehmen, Vereine und Institutionen. Sind wir in der Lage, eigene Interessen für das Gemeinwohl zurück zu stellen?
Test legen unsere Motive frei
An eindrücklichen Tests werden die Hintergründe deutlich. Der Autor beleuchtet schonungslos unser Fehlverhalten. Zwar können wir nicht davon ausgehen, dass wir immer richtig und prosozial handeln, aber bei allen Entscheidungen steht die Frage im Raum, wieviel Ehrlichkeit, Vertrauen und Empathie vermittle ich, vermitteln Eltern, Lehrer und Ausbilder, Führungskräfte, Politiker durch ihr Handeln. Zu diesen Fragen hat Armin Falk viele Studien entwickelt, durchgeführt und ausgewertet. Es geht dabei um moralisches Handeln, es geht um Fairness, Neid, Geiz. Er zeigt an vielen Beispielen, wie Motivation in Demotivation kippt und welchen Einfluss Rache und Demütigung auf die Gesundheit der Mitarbeitenden hat. Was geschieht z.B., wenn Führungskräfte die Verantwortung auf externe Unternehmensberater verlagern und mit deren Expertisen sie ihre Entscheidung begründen, wenn sie Mitarbeiter*innen entlassen. An vielen Beispielen werden die Ergebnisse aufgezeigt und die Testverläufe beschrieben.
Wie kann eine prosoziale Gesellschaft wachsen?
Der Autor versucht auch Lösungsansätze aufzuzeigen, wie eine prosoziale Gesellschaft im Kleinen wie im Großen wachsen kann. Die Transparenz der Mechanismen, wie Entscheidungen gefällt werden und welche psychischen Dispositionen zum sozialen oder egoistischen Handeln „verführen“ sind Voraussetzungen, um Verstehen zu gewinnen und Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. Auch die Vorbildfunktion von Eltern, Lehrern, Ausbildern ist nicht zu unterschätzen, denn die Werthaltung, die Kinder und Jugendliche früh erfahren, prägen langfristig ihr Verhalten.
Einige Spielregeln müssen eingehalten werden
Allerdings tragen nicht nur die Entscheidungen, die jeder für sich persönlich auf seinem Wertehintergrund trifft, zum gelingenden Zusammenleben bei, sondern auch ein Regelwerk, an das sich die Menschen halten müssen, damit Gemeinschaft funktioniert. Wenn Einsicht und Freiwilligkeit nicht weiterhelfen, dann muss reguliert werden, um Schaden abzuwenden und Konflikte zu minimieren. Regeln, die transparent sind und die wir einsehen können. Allerdings funktionieren Regelwerke meist nur, wenn sie auch von Werten gestützt sind. Ohne Werthaltung nützen auch Regeln nur begrenzt. Würden wir nur durch Regeln gezwungen, ethisch zu handeln, wäre ein riesiges Aufgebot an Polizei notwendig. Das allerdings kann in meinen Augen dazu führen, dass wir uns irgendwann in einem Wald von Gesetzen und Regeln wiederfinden, mit denen wir den Blick und die Freiheit auf unsere eigene moralische Instanz in uns und die christlichen Werte, die uns eigentlich den richtigen Weg weisen, immer mehr verlieren. Zur Veränderung von Verhalten braucht es laut Autor vielleicht wieder den Blick auf das, was grundsätzlich als gut oder böse bezeichnet werden kann. Er bezieht sich dabei auch auf Kant, der allerdings mit den Mächten der Hölle agiert hat. „Wer nicht pariert, schmort in der Hölle“. Diese Angst vor der Verdammnis greift in unserem Kulturkreis nicht mehr. Um den Unterschied von Gut und Böse zu markieren eignen sich unsere christlichen Werte, denen wir konsequent folgen können, denn sie sind verlässlich. Meiner Ansicht nach ist der Verlust, an eine höhere Kraft zu glauben, die für uns ein „gutes“ Leben will, aber auch in die Verantwortung nimmt, mit verantwortlich für die Beeinträchtigungen, die sich dann im Egoismus zeigen. Der Autor endet mit der Bemerkung von Erich Kästner:
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Armin Falk; Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein; 2022, Siedler-Verlag, 336 S. € 24.-
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!