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Multikulti – und doch sind alle Äpfel rund

Unser Land ist bunt geworden. Wenn ich 70 Jahre zurückschaue, dann kann ich mich nicht erinnern, damals live einen Menschen mit dunkler Hautfarbe in meinem Umfeld gesehen zu haben. Allenfalls als Knecht Ruprecht, und der war mit Kohle geschwärzt.

Es gab auch nur evangelisch, katholisch oder noch jüdisch. Wer nicht getauft war, zählte sowieso in unserer Gesellschaft nicht. Ungetaufte Heidenkinder gab es, meines Wissens nach, auch nur wenige. An Muslime kann ich mich nicht erinnern. Seitdem hat unser Land einen großen Wandel vollzogen. Mit den ersten Fremdarbeitern aus Italien und Spanien konnte ich zum ersten Mal anders aussehende Gesichter auf den Straßen sehen. Das ist für die folgenden Generationen vollkommen normal. Meine Kinder und Enkelkinder wurden und werden mit vielen Nationen groß. In den Schulen der Großstädte gibt es oft sogar mehr Kinder ausländischer Herkunft als deutsche. Da sind so viele Nationen abgebildet, dass man fast kein Land auf der Welt ausschließen kann. Auch mit den Migranten hat sich unser Land nochmal mehr vervielfältigt. Die Bilder auf den Straßen haben sich verändert. Auch existieren inzwischen die unterschiedlichsten Zugänge zu den verschiedenen Religionen. Multikulti eben.

Anders denken lernen

Wenn sich das Land, in dem ich beheimatet bin, ändert, globaler wird, dann liegt es für mich auf der Hand, dass auch ich mich verändern muss. Ich muss und kann lernen, größer, weltweiter, über Grenzen hinaus zu denken. Für die Jungen ist der Umgang mit anderen Nationen fast selbstverständlich geworden, auch durch die vielen Reisen ins Ausland. In meiner Generation gibt es da schon noch innere Hürden. Ich beobachte mich nämlich dabei, dass ich manchmal im eigenen Land fremdle, mich ziemlich zusammenreißen muss, wenn mir Afrikaner, Siks, Türken oder einfach fremdartig aussehende Menschen in einer größeren Ansammlung auf der Straße begegnen. Das macht mir erst einmal ein mulmiges Gefühl. Es braucht schon meinen inneren Willen, um tatsächliche Akzeptanz in mir herzustellen, dass diese Menschen hier ankommen, sich niederlassen dürfen. Denn es geht um Integration. Es geht um Menschenwürde, Menschlichkeit für diejenigen, die unter unmenschlichen Bedingungen leben mussten. Wenn sie den Weg hierher gefunden haben, wir ihnen Asyl gewähren, dann geht ein Zusammenleben aber auch nur, wenn diese Menschen unsere Kultur kennenlernen und akzeptieren, aber auch ich mehr über ihre Kultur erfahre, damit Kompromisse gefunden werden, wie ein Zusammenleben aussehen kann, wie unsere Freiheit gesichert bleibt, wie meine Würde als Frau geachtet wird. Aber auch diejenigen, die in unser Land kommen, können nicht einfach ihren kulturellen Hintergrund zurücklassen. Da braucht es Austausch, Verständigung und Toleranz. Im religiösen Bereich gibt es viele Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten. Für ein friedliches Zusammenleben braucht es die Sprache und die Kenntnis voneinander. Das beginnt schon im Kindergarten und ist deshalb eine Aufgabe in den Tagesstätten wie in den Schulen, die Verständigung zu fördern. Das Bilderbuch von Christine Hubka schafft einen interkulturellen und interreligiösen Sprung.    

„Und doch sind alle Äpfel rund“

Jojo und sein Kater Abraxas leben in einer multikulti Familie. Da ist alles vertreten: evangelisch, katholisch, ausgetreten, muslimisch, jüdisch, orthodox. Jojo hat viele Fragen an die unterschiedlichen Religionen und ihre Praxis.
In den Dialogen, die Jojo mit Oma, Opa und seinem Kater Abraxas führt, greift die Autorin seine drängenden Fragen auf. Sie lässt Jojo aus seinen Beobachtungen in der Familie erzählen. Da geht es um die Verschiedenheit beim Beten, um Kopfbedeckungen bei Männern und Frauen, um Essens- und Fastengewohnheiten und um den Begriff koscher, um das Kreuz in Kirchen oder die fehlenden Bilder in Moscheen. Auch die verschiedenen Beerdigungsrituale kommen nicht zu kurz. Worte wie Caritas, Diakonie, Ohel Rahel und Karima werden für Jojo endlich anschaulicher. Ebenso finden die Bezeichnungen für die unterschiedliche Literatur wie Bibel, Tanach und Koran eine für Kinder verständliche Erklärung.

Religionsverstehen für Kindergarten und Grundschule

Die Autorin und Theologin Christine Hubka verfolgt mit diesem Bilderbuch einen integrativen, interkulturellen und interreligiösen Ansatz. Sie erzählt in einfachen Worten, greift die wichtigen Unterschiede auf, beschreibt aber auch die Gemeinsamkeiten, die gemeinsame Wurzel, aus der die Religionen sich entwickelt haben. Ein Bilderbuch, das in einer einfühlsamen Weise von der Grafik-Designerin Agi Ofner illustriert ist. Die Darstellungen sprechen sowohl in der Farbgestaltung als auch in der Art der Zeichnungen kleine wie große Leser*innen an. Dieses Buch kann Eltern unterstützen, ihren Kindern einen integrativen Zugang zu unserer Multikultigesellschaft zu vermitteln. Darüberhinaus bietet es Chancen, im Kindergarten und der Grundschule die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kulturen zu verdeutlichen und die interreligiöse Verständigung zu fördern.

Weshalb die Autorin den Titel mit den Äpfeln gewählt hat, ist für mich nicht so ganz verständlich, denn weder haben die verschiedenen Religionen etwas mit Äpfeln zu tun, noch sind sie rund. Da wäre die Assoziation mit den drei heiligen Königen vielleicht schon eher passend, denn einer davon war Afrikaner.

Christine Hubka: Und doch sind alle Äpfel rund …: Was Judentum, Christentum und Islam gemeinsam haben. Eine besondere Familiengeschichte, 2021, 32 S. Tyrolia Innsbruck, € 16,95.


Kategorie: Gelesen

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