Foto: hinsehen.net E.B.

Worst Case – das Handy funktioniert nicht

Es ist Sonntag. Ich bin mit dem Rad unterwegs, habe gerade eine Nachricht auf meinem Handy über WhatsApp an eine Freundin geschrieben. Ich schicke sie ab. „Kein Netz“ steht oben links im Display. Ich denke: „ok, das kann passieren, geht aber sicher vorbei“. Normalerweise ist das ein Standortproblem, das sich löst, wenn ich weiter radle. Ich bin noch ganz ruhig.

 

Auch Zu Hause kein Netz

Jetzt werde ich stutzig. So lange war ich eigentlich noch nie ohne Netzverbindung. Ich fange an, unruhig zu werden, muss irgendetwas tun. Ich halte diese Ungewissheit nicht gut aus. Glücklicherweise funktioniert das WLAN
Ich schlage meinen Laptop auf, um nach meinem Anbieter im Internet zu suchen. Vielleicht erfahre ich, ob eine Störung gemeldet wird.  In den letzten Tagen war immer mal wieder von Störungen zu lesen. Also schicke ich eine Nachricht im Chat an meinen Anbieter.
Antwort: „die Bearbeitung ihres Problems kann einige Minuten dauern“. Es dauert, dauert, dauert. Der kleine Kreis in der Mitte des Bildschirms dreht sich und dreht sich, er sucht nach einer Verbindung. Nichts passiert. Ich sitze bereits 30 Minuten vor diesem Kasten, werde immer unruhiger und auch ärgerlich, versuche eine Hotline zu finden, die aber an Sonntagen nicht besetzt ist. Was nun?

Meine Gefühle spielen verrückt

Ich spüre, wie sich in mir ganz diffuse Gefühle breit machen. Ich werde immer nervöser, fühle mich hilflos diesem Medium ausgeliefert. Ach ,das ist doch nur Technik, sagt mir mein Kopf. Aber ich habe nächste Woche Termine, für die ich das Handy brauche. Die Unruhe wird größer.
Ich rede mit mir: „ es ist doch erst Sonntag, jetzt warte mal ab, außerdem bist du gut zu Hause zurück, wo du auch ein Festnetz hast. Es ist nichts Lebensbedrohliches, was gerade los ist. Also weshalb regst du dich so auf? Du wirst doch auch mal ohne dieses kleine Ding auskommen können!“
Eben nicht! Ist das nicht ernüchternd? Wenn ich mir Netzfreiheit selbst verordnet hätte, dann wäre das etwas anderes, aber so plötzlich und unerwartet  rausgeschmissen zu werden, macht mich verrückt.
Tief in meinem Innern bin ich angespannt, weil ich die Sorge habe, dass mit dem Gerät doch etwas Ernsteres sein könnte, ein Schaden, der nicht so schnell zu beheben ist und mich von meinen Verpflichtungen, die ich nächste Woche habe, abschneiden könnte.

Ohne Handy geht nichts

Ich denke darüber nach, was ich ohne Handy machen kann. Morgen habe ich Bereitschaftsdienst. Ohne Handy geht da nichts. Ich kann meinen Vereinbarungen nicht nachkommen, vielleicht sogar noch nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Für mich mit meinem Charakter, möglichst alles korrekt zu erledigen, ziemlich schlimm. Ich muss mich ablenken. Ich koche etwas.  

Horrorszenario – Daten weg

Da fällt mir auch noch ein, dass ja alle meine Daten auf diesem Gerät sind. Alle meine Telefonnummern, die ich früher noch auf Papier hatte, meine WhatsApp - Chats, meine Hörbücher, meine Bilder und persönlichen Notizen, alles was ich so am Tag benötige. Ich steigere mich so richtig hinein, dass möglicherweise alles verloren gehen könnte.
Was für ein schreckliches Gefühl! Es fühlt sich an, als würde mit dem Verlust der Daten auch meine Person verschwinden.
Wie komme ich aus diesem Gefühlswirrwarr wieder raus? Ich weiß ja eigentlich, dass meine ganzen Ängste unberechtigt sind. Meine Daten sind ja auch in der i-Cloud gespeichert, so dass eigentlich nichts weg sein kann.
Aber ich bin technisch so wenig versiert, dass ich gar nicht weiß, wie ich ohne mein Handy an die Daten in der Cloud komme. Das Gefühl der Abhängigkeit erhöht sich.

Technisch kompetent

Mit diesem Lebensgefühl stehe ich nicht alleine. Viele aus meiner Generation können zwar dieses Medium bedienen, aber wenn etwas nicht funktioniert, brauchen wir die Spezialisten, gute Beratungsshops, Söhne oder Töchter, die sich damit auskennen und uns helfen. Sie können es in Ordnung bringen, weil sie mehr davon verstehen als ich. Wie gut, dass es sie gibt.
Meine Kinder haben mir das Problem abgenommen, was mich sehr erleichtert.  Mit einem Ersatz Handy kann ich übergangsweise wieder über alle Daten verfügen. Meine Emotionen haben sich beruhigt. Letztlich war es ein Hardware Schaden. Das Gerät musste eingeschickt werden. Es war eine unnötige Aufregung. Sie hat mir gezeigt, dass ich mich von dem Gerät zu sehr abhängig gemacht habe. Das nächste Mal werde ich mich nicht so irritieren lassen.

 

 


Kategorie: Digitalisiert

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