Weniger Lasten für die Reise nach Corona Foto: hinsehen.net E.B.

Yes we can

Die Auswirkungen der Pandemie machen nicht nur mich nachdenklich. Was wird sie hinterlassen? Welchen Schaden wird sie anrichten aber auch welche positiven Veränderungen können folgen? Gilt nach Corona: Yes we can?

 

Ich spüre, wie fragil mein und unser aller Leben ist. Mir wird auch deutlich, wie sehr wir mit unserem Wirtschaftssystem abhängig sind von anderen. Wir können froh sein, wenn uns die Quarantäne vor den tödlichen Folgen des Virus schützt, ohne dass zu viel zerbricht.

Vor Corona habe ich mich selbst auf Trab gehalten

Mein Lebensgefühl vor Corona war lockerer, unbeschwerter, sorgloser und auch von vielen Unternehmungen, Begegnungen, Verabredungen, Terminen geprägt. Es war immer etwas los und wehe im Terminkalender waren mal Tage ohne „Etwas“. Da keimte gleich das Gefühl auf, durch das soziale Netz zu fallen, etwas Wichtiges zu verpassen, verloren zu gehen. Manchmal waren aber diese Termine auch zu dicht aufeinander oder mehrere an einem Tag, so dass sie mir auch schon mal zu viel wurden. Mal ruhig im Sessel zu sitzen und nichts zu tun, war mir eher fremd. Es ist auch heute noch ungewohnt. Bücher lesen habe ich mir nur gestattet, wenn es Fachbücher waren. Romane galten für mich als Zeitverschwendung.
Mindestens einmal am Tag war ich mit dem Auto unterwegs zum Einkaufen oder für andere Erledigungen. Mit meinen Lebensmittelvorräten hätte ich jederzeit 10 Personen verköstigen können. Die Reiseprospekte wurden von mir intensiv gelesen, um vielleicht ein neues Wellnesshotel zu entdecken, denn ab und an musste ich auch mal von hier weg. Mir neue Erfahrungen einspielen.
Es waren meistens Dinge außen, mit denen ich mein Leben anreicherte. Da gab es natürlich auch Geplantes wie Coaching, Einsätze in der Notfallseelsorge, Singen im Chor, Treffen zum Frühstück, wöchentliches Yoga, Besuche bei Ärzten oder in der Sauna. Ich hatte mein Leben so organisiert, damit ja nicht zu viel Leerlauf in die Tage einkehren konnte. Es sollte sich lebendig anfühlen.
Ich könnte noch vieles andere hinzufügen.

Corona hat mich von Vielem abgeschnitten

Mit Corona verändert sich mein Lebensgefühl tiefgreifend. Es fährt mich fast auf Null zurück. Es wirft mich auf mich selbst. Meine Umtriebigkeit hatte mir viel Lebendigkeit eingespielt, viele Anregungen von außen ermöglicht, die jetzt aus mir selbst, Telefonaten oder Büchern erwachen müssen. Da gibt es keine Verabredungen mehr, kein Einkaufen, keine Arztbesuche, keine Yogagruppe, kein Chor, keine Spielegruppe, keine Gespräche von face to face, keine liebevolle Umarmung. Es bleiben nur das digitale Lächeln und Küsschen, die mich die Nähe zu anderen spüren lassen.
Eine gebuchte Romreise ist abgesagt, auch die Begegnung mit einer Gruppe lieber Menschen in der Provence fällt aus. Gemeinsame Wanderungen fallen weg. Meine Einsätze in der Notfallseelsorge muss ich aussetzen, weil ich zur Risikogruppe gehöre.
Ich habe alle Termine für die nächsten Monate gestrichen. Das klingt sehr hart. Aber da gibt es auch eine andere Seite in mir.

Zeit für die Seele

Nicht nur mein Körper ist in Quarantäne, sondern auch meine Seele muss lernen mit dem Alleinsein umzugehen. Sie ruft nach Aufmerksamkeit, nach Beachtung. Sie ist vielleicht bei allem Trubel viel zu kurz gekommen. Habe ich sie je gefragt ob es ihr in mir gefällt, wie es ihr mit mir geht? Jetzt ist sie mal an erster Stelle, denn sie meldet sich jeden Tag. Sie lässt mich spüren, wie es ihr geht. Sie zwingt mich, mein Leben neu anzuschauen, mich damit zu beschäftigen, wie ich lebe und ob das so gut ist. Sie macht mich aufmerksam und sensibel dafür, was ich ändern sollte. Das klingt so ernsthaft, wenig lustbetont, aber seltsamerweise fühle ich mich, obwohl auf mich geworfen, nicht einsam, sondern mit meinem Zustand mit vielen anderen Menschen tiefer verbunden als je zuvor.
Corona zwingt mich, innerlicher zu werden. Die Lebendigkeit nicht mehr außen zu suchen, sondern in meiner Seele zu entdecken. Ich soll in mir den Ruhepol finden, um im Gleichgewicht zu leben, auch wenn alles nicht mehr so ist wie vorher.

Intensiver aber ruhiger leben

Ich spüre, dass die Reduktion auf das Wesentliche mir gut tut. Das Leben wird einfacher, gleichzeitig aber auch intensiver, weil ich viel bewusster wahrnehme und nicht mehr so umtriebig bin.

Weniger Konsum

Ich brauche nicht so viel, wie ich gedacht habe. Ich muss mich auch nicht so anstrengen. Mein Auto steht bereits seit zwei Wochen unbenutzt in der Garage, in meinem Kühlschrank ist es viel übersichtlicher geworden. Das macht kein schlechtes Gefühl.

Mich mit der Natur verbinden

Meinen Garten, den mir die Wildschweine vor Wochen umgruben, konnte ich in Ruhe wieder in die alte Form bringen. Dabei habe ich die Winterschäden ausgebessert und die Hecken geschnitten. Das schöne Frühlingswetter habe ich aber auch ohne Hektik und schlechtes Gewissen im Liegestuhl genossen, von wo ich die ersten Schmetterlinge, Bienen, Hummeln beobachten konnte. Eine Albino-Amsel lebt im Umfeld des Gartens. Wenn sie spürt, dass ich sie beobachte, setzt sie sich in besondere Pose. Wie ein Filmstar, der vor die Kamera tritt. Im Garten finde ich die Lebendigkeit, ich kann sie einatmen, um sie in mich aufzunehmen.

soziales Miteinander

Meine Einkäufe erledigen meine Lieben, so dass ich die Quarantäne einhalten kann. Die Hilfsbereitschaft tut gut. Die Telefonate mit Freunden und Freundinnen sind oft länger, die Gespräche dichter. Eine Videokonferenz mit der Familie hat dem Sonntag einen besonderen Kick, ein dichtes Gefühl der Zusammengehörigkeit gegeben. Manchmal sind zwar die Abende schwieriger zu gestalten, ich halte sie aber gut durch. Mit den Texten und den Musikstücken ganz unterschiedlicher Art, die über Videos weitergeleitet werden, spüre ich viel innere Verbundenheit und Verständnis mit wildfremden Menschen.

Digital aktiv

Die Möglichkeiten, uns auch ohne direkte Begegnung, über die Medien zu verständigen oder wenigstens zu signalisieren „wir sind da“, tut meiner Seele einfach gut. Inzwischen habe ich einige Romane als Hörbücher gehört. Die digitale Welt hat sich in diesen zwei Monaten gewaltig weiterentwickelt, so dass viele geschäftliche Begegnungen, wie private Verabredungen über Videokonferenzen möglich sind.

Klarheit der Luft

Der abendliche Sternenhimmel zeigt mir, wie sich innerhalb von zwei Monaten, die Luft verbessern kann. Mit meinem Verzicht auf das Autofahren, die Flugreisen, trage auch ich ein bisschen dazu bei.

Was will ich aus der Krise beibehalten

Die Krise wird mein Leben auch nach den Wochen der Isolierung verändern. Ich will keine großen Vorsätze niederschreiben, aber die bisherigen Erfahrungen aus der Coronakrise sitzen tief und ich hoffe, dass sie in meinem Verhalten nicht verloren gehen.  Ich will von den Vorteilen, die mir die Krise bietet, einiges in die Zeit danach hinüberretten. Ich bin mir sicher, dass ich mein Leben vereinfachen will. Ich will nicht alles ändern, aber die Erfahrung, dass ich mit viel weniger leben, viel ruhiger mein Leben gestalten kann, bestärkt mich darin, nicht wieder in die alte Geschäftigkeit einzutauchen. Den Einkauf kann ich einmal in der Woche erledigen, oder ich fahre mehrmals mit dem Rad. Ich muss nicht jeden Tag mit dem Auto unterwegs sein, das reduziert sowohl den Konsum wie auch den CO2-Ausstoß.


Kategorie: Verstehen

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