Foto: Jutta Mügge

Wofür bin ich auf der Welt?

„Wofür sind wir auf dieser Erde". Diese Frage hörte ich in einer Predigt. Sie verfolgt mich seit dieser Zeit. Schwere Kost. Ich denke viel darüber nach. Warum bin ich hier auf der Erde? Warum gerade in diesem Jahrhundert? Was bringe ich mit in diese Welt? Was verwirkliche ich hier?

Mein Leben wie jedes andere auch muss ja irgendeinen Sinn, einen Nutzen für diese Welt haben. Ich werde als unvollkommenes hilfloses Wesen geboren, bin jahrelang abhängig von anderen Menschen und soll mich zu einem verantwortlich handelnden und für andere sorgenden Menschen entwickeln.
Ist die Anstrengung dieser Existenz ausreichend gewürdigt, wenn sie in den Milliarden Jahren dieses Universums nur für die Dauer eines Blitzes aufleuchtet und dann wieder untergeht? Es kann doch nicht sein, dass wir all die Mühen mit dem täglichen Auf und Ab durchstehen müssen, nur um dann im Nichts zu verschwinden. Bei diesen Mühen sind natürlich auch schöne und erfreuliche Momente dabei, aber der größte Teil des Lebens besteht doch aus Anstrengung.

Weshalb muss ich mich denn so anstrengen?

Da muss es doch noch mehr geben, was meine Mühen unbedingt erfordert. Ich finde es bei dem, was mir für meinen Lebensweg mitgegeben ist. Wenn jeder Mensch einzigartig, mit einmaligen Gaben und Talenten ausgestattet ist, dann liegt in dieser Ausgangssituation schon ein Hinweis. Nämlich mit der eigenen Person die Welt zu bereichern und weiter zu entwickeln. Unsere Gaben und Talente sind es, die während unserer Lebenszeit zur Gestaltung dieser Erde beitragen. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter. Hinter meinen Gaben und Talenten spüre ich auch so etwas wie einen Auftrag, aus ihnen etwas zu machen. Sie nicht liegen zu lassen. Ich kann mich nicht aus diesem Auftrag verabschieden, ohne als Konsequenz mit Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben einzuhandeln. Denn wenn ich meine Talente nicht entfalte fehlt etwas, in meinem Leben. Ich nehme mir Entwicklungsmöglichkeiten und enthalte anderen etwas vor. Denn meine Talente habe ich nicht nur für mich, sondern mehr eigentlich für andere, ihnen etwas zu ermöglichen. Meine Begabungen lenken mich auf meine Lebensaufgabe. Wenn ich sie einbringe, werde ich für andere wichtig manchmal sogar unentbehrlich.

Der Lebensauftrag der anderen erfordert meinen Beitrag

Unseren einzigartigen Lebensauftrag setzen wir nicht in einem einsamen Raum um, sondern mit vielen anderen gemeinsam. Auch sie haben einen Ruf, einen Lebensauftrag, mit dem sie nicht alleine unterwegs sind. Sie üben diesen als Lehrer, Arzt, als Architekt, Handwerker, als Politiker aus. So wie ich die anderen brauchen, brauchen sie mich. Zusammen bauen wir an einer Gesellschaft, für die es eine Idee gibt, eine Vision von Zusammenleben. Damit die Begabungen aller für das gemeinsame Ziel zusammen spielen, braucht es nicht nur eine Idee, sondern auch einen Geist der Kooperation. In jedem Team, für jedes Vorhaben ist ein Geist spürbar. Wir können ihn spüren, ob er zum Gelingen beiträgt oder sich destruktiv zeigt. Einen guten Geist kann ich daran erkennen, ob er die Entfaltung des Einzelnen unterstützt, die Freiheit des Einzelnen wahrt, ob er zusammenführt und sich als lebensförderlich zeigt. Spüre ich einen guten Geist, kann ich ihm folgen und fühle mich in etwas Größerem eingebunden. Ich gehöre dazu. Ich werde in die Verantwortung genommen. Das setzt bei mir Energie frei. Ich bin mit meinem Anteil gefragt, gewollt.

Wer will die Entfaltung meiner Talente?

Die einen können mich wollen, weil sie meine Talente wertschätzen, die anderen mich ablehnen, weil sie vielleicht mit mir konkurrieren müssen. Das kann ich nicht beeinflussen. Ich habe es nicht in der Hand. Weil ich bei den anderen nie sicher sein kann, ob sie meine Entwicklung unterstützen, muss es noch etwas Größeres geben, was die Verwirklichung meiner Talente und damit meine Freiheit unbedingt will. Etwas, das nicht durch Menschen beeinflussbar ist. Es muss etwas sein, das mein Leben unbedingt will und nicht mit mir in Konkurrenz treten muss. Denn gäbe es dieses Größere nicht wäre ich nur auf die Menschen verwiesen und angewiesen. Ich brauche die anderen und sie mich. Aber es wäre fatal, wenn die Verwirklichung meiner Lebensaufgabe nur vom Menschen abhängen würde. Wäre das so dann müssten wir alle nur „gut“ miteinander sein uns gegenseitig wollen und fördern. Das sind wir aber nicht. Unser Charakter hat zwei Seiten wie bei einer Münze. Auf der einen Seite der Medaille liegen unsere Gaben, Talente, unsere hilfreichen charakterlichen Fähigkeiten, da liegen Zuwendung, Empathie, Liebe, die Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit. Da wo wir sie ins Spiel bringen, führen sie zu Gemeinschaft und damit zum Nutzen anderer. Aber da gibt es noch mehr in uns. Denn auf der anderen Seite der Münze lagern unsere Charakterschwächen, unsere Schattenseiten. Sie kleben an der Unterseite im Dunkeln. Das sind Neid, Hass, Machtmissbrauch, Unmäßigkeit, Ängstlichkeit, Trägheit, Geiz, Stolz, Rivalität. Sie sind es, die aus dem Dunkeln kommen und zuschlagen. Mit ihnen versperren wir nicht nur den anderen, sondern auch selbst den Weg.
Wären wir nur auf die anderen angewiesen, wären unsere Berufung, unsere Freiheit und unsere Würde nicht gesichert. Jeder könnte uns und wir könnten uns gegenseitig kaltstellen, uns die Zukunft verbauen, uns mobben und uns in einer Diktatur für vogelfrei erklären.

Selbst eine Krise lässt unsere Aufgabe nicht hinfällig werden. Das bedeutet doch, dass der Ruf uns zwar einen Auftrag für die Menschen gibt, aber nicht von den Menschen kommen kann. Er muss damit zusammenhängen, dass ich überhaupt mit diesen Gaben ins Leben gestellt worden bin. 



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