Mangel ist Chance
Mit der Perspektive auf mein Älterwerden spüre ich, dass mir Corona nicht nur etwas entzieht, sondern auch Chancen eröffnet. Der Mangel an vielen Möglichkeiten birgt, wenn ich genau hinsehe, auch etwas Neues in sich. Mit dem Weniger in der Corona-Zeit auf vielen Ebenen des Konsums, der Beziehungen, der Reisen und Unternehmungen habe ich inzwischen die Erfahrung gemacht: Mein Leben bleibt lebendig und liebenswert, wenngleich so manches nicht mehr vorkommt. In Gesprächen in meinem Freundeskreis erlebe ich öfter, dass die Einschränkungen durch Corona sogar als angenehm erlebt werden. Es gibt weniger Druck und größere innere Freiheit. Die fehlenden Anregungen sind willkommen, weil sie dem täglichen Leben zu einem ruhigeren Fluss verhelfen. Auch die Tatsache, dass die Einzelnen seltener zum Einkaufsbummel aufbrechen, scheint eine innere Veränderung gegenüber dem Konsum in Gang zu setzen. Konsum um des Konsums willen ist plötzlich nicht mehr so reizvoll. Zieht eine einfachere Grundhaltung in unser Leben ein? Ein Leben ohne die bisher gewohnte Fülle, das auch oft unnötig viel Arbeit und Druck verursacht hat. Entsteht vielleicht sogar eine größere innere Freiheit, wenn ich mich von materiellen Dingen unabhängiger mache? Es sind ja nur vergängliche Güter von kurzer Lebensdauer, die mir nicht die Sicherheit geben, dass ich mich damit überlebe. Ich habe die Chance, in Nachhaltiges zu investieren, das mir in Zukunft helfen kann, mit anderen existentielleren Verlusten barmherzig umzugehen.
Loslassen können
Auf jeden von uns kommt über kurz oder lang eine Zeit zu, in der wir von Dingen, von Menschen und manchmal auch von eigenen Fähigkeiten Abschied nehmen müssen. Auf körperliche oder geistige Einschränkungen wie auch auf den Verlust von Freunden oder Partnern sind wir meist nicht vorbereitet. Auch die Situation, dass ich als älterer Mensch beruflich nicht mehr so mitmischen kann, zwingt mich, meinen Platz in dieser Gesellschaft neu zu definieren. Ich bin in diesem Arbeitsleben nur noch begrenzt gefragt. Auf der anderen Seite befreit es mich aber auch, denn ich kann die Verantwortung zur Gestaltung unserer Gesellschaft der nächsten Generation überlassen. Wenn ich wirklich großherzig loslassen kann, bin ich manchmal auch von den Jungen als Berater*in gefragt. Je unabhängiger sie sich von unserer Generation fühlen, desto eher greifen sie auf unsere Erfahrungen freiwillig zurück. Loslassen ist nicht nur Verlust, sondern auch Freiheit.
Freiheit für das Wichtige
Je realistischer ich mein Älterwerden anschaue, desto mehr registriere ich, dass ich mich auf der letzten Wegstrecke meines Lebens befinde. Wie soll sie aussehen, was kann ich noch gestalten, wie viel Spielraum habe ich?
Solange ich gesund bin, spüre ich noch viel Energie und Gestaltungswille. Ich kann noch kreativ mit meiner Zeit umgehen. Das ändert sich schlagartig dann, wenn ich nicht mehr alles kann. Kommt dieser Zeitpunkt, bin ich auf andere verwiesen, die mir bei meinen Lebensvollzügen helfen. Da entstehen dann automatisch auch längere Strecken des Alleinseins. Alleinsein, in das mich auch Corona versetzt hat, ohne dass ich mir das aussuchen konnte. Das war schwierig auszuhalten. Ich habe es zuerst nur als Einschränkung erlebt. Alleinsein heißt aber nicht automatisch, einsam zu sein, denn aus dem Alleinsein folgert nicht logisch Einsamkeit. Einsam fühle ich mich, wenn ich mich von allem abgekoppelt habe. Dieses Gefühl entsteht, wenn ich mich nicht mehr mit der Welt, den Menschen, der Natur und auch nicht mehr mit Gott verbunden fühle. „Alleine sein können“ hat eine andere Qualität. Corona hat mir gezeigt, dass ich das lernen kann.
Alleinsein verspricht neue Werterfahrungen
Das Alleinsein auszuhalten, macht stark. Oft sind Menschen, die gut alleine leben können eine Stütze für andere, die sich ohne einen Menschen an ihrer Seite schwertun. Mich im Alleinsein aushalten zu können, hilft mir immer mehr zu inneren, spirituellen Werten vorzudringen. Sie sind es, die mir den Weg zu meinem Lebensende ebnen. Aber nicht nur für den Weg, sondern auch für den letzten Augenblick, den ich dann auch alleine gehen muss. Denn selbst wenn mich Menschen begleiten, muss ich den Gang ins Jenseits selbst gehen. Denn da geht keiner mit.
Da entstehen automatisch Fragen. Kann ich mich vertrauensvoll auf diesen letzten Weg einlassen? Habe ich das Loslassen eingeübt? Ist bis dahin mein Haus bestellt, damit ich nicht noch Unerledigtes rumliegen habe? Kann ich mich von allem Irdischen trennen, für das ich in meinem Leben viel gearbeitet habe? Corona nimmt mir nicht Lebenszeit, sondern ermöglicht mir freie Räume, damit ich in Ruhe und Enthaltsamkeit einen tieferen Blick in meine irdische Existenz werfen kann und mich auch damit auseinandersetze, was da auf mich zukommt.
Buchtipp: Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen
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Wie bereite ich mich vor?
Wenn mein Körper sein Leben aushaucht, wird mein Ich einen neuen Ort finden. Das zeigen inzwischen die vielen Berichte von Nahtoderfahrungen. Fast alle Betroffenen beschreiben, dass sie eine starke Erfahrung von Liebe gemacht haben.
Wenn ich davon ausgehe, dass mit meinem Sterben mein Leben nicht einfach abbricht, sondern ich in ein neues Leben eintrete, dann gehe ich ohne alle meine Errungenschaften, ohne Besitz, ohne Vitamin B. Ich muss alles hier auf Erden zurücklassen. Ich gehe mit meiner Person, meinem Charakter, meiner Liebesfähigkeit. Ist Corona nicht eine wunderbare Chance zur Vorbereitung auf das, was da kommt? Bin ich liebesfähig genug, um mit der Liebe, die mich aufnehmen will, umzugehen?
Ich muss mich nicht mehr an materielle Dinge hängen und fühle mich trotzdem wohl in meiner Haut. Ich muss nicht mehr etwas festhalten, nur weil ich es haben muss. Ist das nicht ein erster wuchtiger Schritt, damit ich auch den letzten Schritt meines Lebens in Würde gehen kann? Wenn ich Corona unter diesem Blick betrachte, schenkt mir das kleine Virus bessere Bedingungen, mich auf die Wege im Alter, die ich gehen soll, einzulassen.
All dies gilt nicht nur für die ältere Generation. Corona bietet auch für die nachwachsenden Generationen die Möglichkeiten, über die Intensität ihres Lebens nachzudenken und Schwerpunkte zu setzen. Wie viele junge Menschen wurden vor Corona von Burnout aus der Bahn geworfen, weil einfach zu viel an Einflüssen, Anforderungen und Zwänge von außen nicht mehr zu verkraften waren.
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