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Weihnachten zum Klingen bringen

Ich bin 10 Jahre alt. Unter dem großen Baum liegt auch mein Weihnachtsgeschenk. Dieses Jahr wird es etwas Besonderes sein. Ich habe so ein Gefühl. Aber ich muss mich gedulden. Wir machen Hausmusik, ich will natürlich auch meinen Part zum Klingen bringen.

Wir sind sechs Kinder - vier Jungs und zwei Mädchen. Wir bringen eine Stunde Programm auf die Beine. Ob ich so lange durchhalte. Ich konzentriere mich auf die Musik. Ich soll ja zeigen, was ich im Musikunterricht gelernt habe.

Erst das Weihnachtskonzert, dann die Bescherung. Das hat Tradition bei uns, denn jeder spielt ein Instrument. Wir spielen fast alle Weihnachtslieder durch, singen mit den Eltern. Jeder von uns führt noch ein Musikstück auf, das wir in der Musikstunde gelernt haben. Ich merke: Dieses Jahr dauert es mir zu lange.

Udo spielt die Geige, fast ohne Noten, er ist der musikalischste unter uns. Gerwin und Heide, die Zwillinge, spielen schon ziemlich anspruchsvoll vierhändig. Ihre Finger tanzen synchron über die Tasten. Immo, unser großer Bruder, spielt Akkordeon, ganz ordentlich, mit kaum einem Fehler. Hartmut, der Kleine klimpert auf einem Xylofon, bei ihm darf es noch etwas schief klingen. Ich spiele Flöte, nicht unbedingt so gut. Außerdem bin ich nicht ganz bei der Sache. Meine Blicke gehen immer öfter zu den Päckchen.

Die Zeit vergeht langsam, die Spannung wächst. Je näher das Ende abzusehen ist, desto öfter wandern meine Blicke zu den Geschenken unter dem Baum. Irgendwann kann ich nicht mehr   stillsitzen und rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Papa schaut mich streng an. Ich versuche wieder ruhig zu sitzen. Wir machen ja nicht ungern Hausmusik, aber lieber wäre mir wenn ich schon Geschenke auspacken dürfte.

Endlich das letzte Lied von der Geige. Wir sitzen ganz andächtig da. Mama klatscht in die Hände, Papa lächelt uns stolz zu und freut sich über seine musikalischen Kinder. Er lobt uns und ruft: „Jetzt wird es aber Zeit für die Bescherung“ und schickt uns aus dem Wohnzimmer. Papa und Mama wollen den Baum noch anzünden. Wir stehen gespannt wie 6 Flitzebögen vor der verschlossenen Wohnzimmertür.

Dann klingelt das Glöckchen. Mama und Papa öffnen das Weihnachtszimmer. Ein heller Schein kommt uns entgegen. Die Kerzen am Weihnachtsbaum sind angezündet, es ist so feierlich, dass wir erst einmal vorsichtig schauen. Tatsächlich, es ist mein Päckchen, das ich schon im Auge gehabt hatte. Wird sich mein Gefühl bestätigen. Ist tatsächlich etwas Besonderes drin? Damit hatte ich nicht gerechnet: Ein Pepitakleid mit Schleife. Ich bin fast aus dem Häuschen. Wie toll, mein aller erstes eigenes Kleid, das noch niemand getragen hat. Es ist nicht von Tante Maria umgearbeitet oder von der großen Schwester schon getragen, sondern für mich neu bestellt. Ich hatte schon so etwas vermutet, Mama hatte immer den Neckermannkatalog in der Adventszeit liegen. Natürlich muss ich es sofort anprobieren. Es passt super. Ich fühle mich jetzt wie die großen Geschwister, nicht mehr die Kleine. Wie dankbar bin ich meiner Mutter. Ich habe etwas Eigenes. Immer, wenn ich das Kleid anhatte, kam dieses besondere Gefühl zurück. 


Kategorie: Gesehen

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