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Warum ich schweigend bete

Ausdrücklich formulierte Bitten an Gott fallen unserem Autor schwer. „In der schweigenden Form des Betens gelingt es mir hin und wieder, meine innere Unruhe, meine Zerstreuung, meine Ängste an Gott abzugeben. Meine Gottesbeziehung, der Zugang zu ihm spiegelt sich in der Qualität meiner menschlichen Beziehungen und meinem Erleben in der Welt“, schreibt unser Autor. Der Beitrag ist aus einer digitalen Gesprächsreihe über Gebet und Gottesbilder entstanden.

Ich beneide Menschen, die ein einfaches, von Herzen kommendes Fürbitt-Gebet praktizieren. Gott um etwas zu bitten, fällt mir persönlich sehr schwer. Ich kann nur beten: „Bitte sei dabei“, um mir gegenwärtig zu machen, dass er da ist, um mich nicht allein zu fühlen. Meine – mit der großen Welt verglichen – kleinen Themen des Alltags scheinen mir zu klein gegenüber Gott. Meine Aufgaben und Schwierigkeiten meines persönlichen Lebens muss ich selbst in den Griff kriegen oder einen anderen Menschen um Hilfe bitten, sonst macht es keiner. Das ist bei mir so eingeimpft, ich muss es selbst schaffen.

Während ich das schreibe, fällt mir auf, dass mir auch oft Hilfe zuteilwird, mir gute Dinge passieren, bei denen ich nicht das Gefühl habe, sie selbst „gemacht“ zu haben. Irgendwie passieren sie. Dafür könnte ich dankbar sein und bin es manchmal auch. Oft denke oder fühle ich im Alltag aber auch: Gutes steht mir zu. Also ist es richtig, dass mir das passiert. Ich habe mich an anderen Stellen genügend angestrengt, also fließt mir dieses weitere Gute jetzt zu. Wenn Dinge nicht klappen, denke ich schließlich auch, dass es an mir lag. Da ist es nur logisch, dass die guten Dinge auch an mir, wenigstens meinem Charakter liegen. Mit Dank für das Gute, was mir passiert, tue ich mich generell leichter als mit Bitten. Zu sehr ist das Prinzip „Eigenverantwortung“ in mir drin, obwohl ich gerne Hilfe, Einladungen von Menschen annehme.

Meine Probleme: Zu klein oder zu groß für Gott?

Die größeren Probleme der Welt sind mir zu groß für das Bittgebet, zu abstrakt, von den Kriegen, dem Hunger, der Armut in der Welt, davon fühle ich mich entfernt, entfremdet von den Problemen der anderen, die weit weg sind. Warum sollte Gott sich dafür interessieren, was ich dazu denke, zu sagen habe?

Die Gottesdienst-Fürbitten klingen für mich meistens vorformuliert, nicht authentisch, oft monoton abgelesen oder schlecht vorgetragen. Sie sind mit merkwürdigen Standard-Antworten der Gemeinde versehen. Sie sind meinem Empfinden nach zudem an der falschen Stelle im Gottesdienst platziert. Nachdem der Priester lange alleine gepredigt hat bzw. das Glaubensbekenntnis gesprochen wurde. Wie passt das dahin?

Nachdem ich der Predigt zugehört habe, komme ich gedanklich nicht auf meine Anliegen oder Bitten. Und nochmal den vorgeschriebenen Bitten zuhören, kann ich dann auch nicht. Lange den Gedanken eines anderen zugehört habe ich ja gerade in der Predigt. Mit der Gemeinde verbindet mich auch zu wenig innerlich, als dass ich mich persönlich öffnen und meine persönlichen Bitten vortragen könnte, das wäre mir zu intim.

Gedanken- und Gefühlschaos

In kontemplativen Exerzitien-Tagen, im Schweigen, ist mir immer deutlicher geworden, dass gelingendes Beten für mich sehr wenig mit ausdrücklichen Worten zu tun hat, sondern für mich in der Übung besteht, mich innerlich und äußerlich auf den gegenwärtigen Moment auszurichten, so da zu sein, wie ich gerade bin. Das auf mich zukommen zu lassen, was sich, was Gott mir zeigen möchte. Ich muss dabei nichts sagen, nichts formulieren oder denken, mir keine Gedanken machen. Die kommen von allein und ich versuche nur, mich nicht in ihnen zu verlieren, sondern in der Wahrnehmung des Moments zu bleiben, in dem Gott schon da ist, auch wenn ich ihn nicht unbedingt spüre. Das gilt es, auszuhalten.

Darauf zu vertrauen, dass Gott mir durch mein Gedanken- und Gefühlschaos entgegenkommt, mich so wie Jesus Petrus aus dem See zieht. Vertrauen ist dabei für mich kein Gefühl, sondern eine innere Ausrichtung bzw. noch genauer: die Entscheidung, auf Gottes Präsenz zu vertrauen. Das kann ich mit ausdrücklichen Worten nur sehr begrenzt formulieren und hätte dann immer das Gefühl, zu wenig, zu viel oder das Falsche zu sagen.

Mein Charakter hat mit meinem Gebet zu tun

In der schweigenden Form des Betens gelingt es mir hin und wieder, meine innere Unruhe, meine Zerstreuung, meine Ängste an Gott abzugeben. Dieses Abgeben ist aber mehr eine innere Ausrichtung als ein ausdrücklich formuliertes Gebet über die Themen, um die es mir dann geht.  Ich würde gerne so ausdrücklich beten können, weil es mir vielleicht helfen würde, abzugeben. Aber ausdrücklich formuliertes Gebet hat für mich eine Intellektualität, die mir vor Gott zu anstrengend ist, ein hilfloser Versuch, zu formulieren, was Gott ja irgendwie sowieso schon weiß. Gerne würde ich zum Beispiel Gott auch ausdrücklich für schlechte oder schlimme Dinge anklagen können, die mir widerfahren oder vor denen ich Angst habe. Das fällt mir aber auch sehr schwer. Ich fühle mich selbst oder andere Menschen verantwortlich. In meiner Reflexion über das Beten kommt mir die Frage entgegen, inwiefern bzw. an welchen Stellen mein Zugang dazu oder meine Schwierigkeiten damit auch mit meinem Charakter, meiner Biographie zu tun haben, mit meiner Prägung, mit Verletzungen und Erfahrungen aus Beziehungen.

Meine Gottesbeziehung, der Zugang zu ihm spiegelt sich in der Qualität meiner menschlichen Beziehungen und meinem Erleben in der Welt. In den kontemplativen Exerzitien gibt es am Ende des Tages eine Messe, nachdem alle den Tag über gemeinsam geschwiegen und meditiert haben, schweigend den Tag zusammen verbracht haben. Die Messe beginnt mit einer Stille, in die hinein man persönlichen Dank für den Tag sprechen kann, auch laut und ausdrücklich. Damit kann ich ein wenig mehr anfangen als mit Bittgebet. Dazu gehört aber auch die meditative, intime Atmosphäre, der Raum, das Setting, der Rahmen dieser Tage.


Kategorie: hinsehen.net Digitalisiert Verstehen

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