Tiere leben mit

Tiere aus der freien Natur gehörten zum Lebensraum in meiner Kindheit. Igel überwinterten bei uns im Keller, Mäuse wurden in Terrarien gezüchtet, verletzten Raben wurden die Flügel gestutzt und gesund gepflegt und Katzen hatten einen großen Spielraum zur Entfaltung.

Auch in meinem Garten gehören die Tiere dazu. Es gibt da Wildschweine, die ziemlich dreist sein können. Sie haben mir vor Jahren den Rasen durchgewühlt. Warum müssen sie sich unbedingt in meinem Garten tummeln? Der angrenzende Wald ist groß genug. Es gibt auch Rehe, die über zwei Meter hohe Zäune springen und besonders gerne die Rosenknospen abknabbern oder das frische Grün an meinem Apfelbäumchen. Auch sie brauchen nicht unbedingt in meinen Feinkostladen. Für sie hält das angrenzende Siebengebirge genug Nahrung vor. Gegen die Wildschweine haben wir Moniereisen in die Erde gebracht und für die Rehe den Zaun höher gezogen. Sie haben jetzt keine Chance mehr. Manchmal stehen sie mir mit ihren braunen Rehaugen auf der anderen Seite des Zauns gegenüber. Ihr Blick rührt mich. Sie können nicht mehr über den Zaun. Aber ich kann mit ihnen reden, ohne dass sie gleich verschwinden.

Die Vögel und Mäuse als Mitbewohner

Viele Vogelarten leben auf dem Grundstück. Leider kann ich sie nicht gut an ihrem Gesang erkennen. Meisen, Spatzen, Krähen, Rotkehlchen, Elstern und Spechte kann ich unterscheiden. Im letzten Sommer begleitete mich ein kleines Rotkehlchen bei meiner Arbeit. Es flog immer vor mir zwitschernd hin und her. Setzte sich dann keinen Meter von mir entfernt auf einen Stuhl und unterhielt mich mit seinem Gesang. Ich konnte sogar mit ihm reden, ohne dass es wegflog. Anschließend belohnte es sich mit den Würmern, die es aus dem frisch umgegrabenen Boden pickte. Wahrscheinlich hat es nur gewartet bis ich fertig wurde. So wäscht eine Hand die andere.
Mäuse gibt es natürlich auch genug auf dem Grund. Es gibt Feld- und Waldmäuse, aber auch Wühlmäuse. Sie graben ziemlich große Löcher und ziehen Gänge unter dem Boden, unterirdische Tunnel. Wenn man zufällig darauf tritt, gibt die Erde unter einem nach. Der Rasen wird etwas hubbelig. In meinem Gemüsegarten kann es vorkommen, dass ich den Lauch nur noch an den oberen Blättern aus dem Boden ziehe, weil von unten alles abgefressen ist.

Auch Wühlmäusen müssen Grenzen gesetzt werden  

Von den Wurzeln meines gelben Johannisbeerbäumchens, das sehr ertragreich war, haben sie sich eine ganze Weile ernährt. Irgendwann zog ich nur noch den Stamm aus der Erde. Sie sind lästig, gefräßig, vernichten die Pflanzen von unten her, ziemlich heimtückisch, denn es dauert eine Weile, bis man merkt, dass sie daran rumknabbern. Soll ich sie mit allen Mitteln bekämpfen? Ich kenne diese Versuchung auch aus meiner beruflichen Arbeit, schwierige Leute raus zu drängen, sie los zu werden. Sie sind lästig wie Wühlmäuse. Meine Arbeit wäre ohne sie viel einfacher, aber gleichzeitig fordern sie mich auch heraus, klug zu handeln, mich nicht unterkriegen zu lassen, aber sie auch nicht einfach vor die Tür zu setzen. Ich weiß, dass jeder Rausschmiss aus einer Gruppe das Problem nicht löst, sondern der Platz dessen sofort neu besetzt wird. So ist es auch bei den Wühlmäusen. Es sind genügend da, die in die schon gegrabenen Gänge nachrücken würden. Der Kampf würde kein Ende nehmen. Es ist besser, ich arrangiere mich mit denen, die schon da sind. Ich muss mir also etwas einfallen lassen, wie ich mit ihnen umgehe.
Rausschmiss ist keine Lösung. Aber ich kann ihnen auch nicht das Feld  einfach überlassen. Es geht um Auseinandersetzung. Es geht darum, die Schwierigkeit zu benennen, zu einer Klärung und zu einer Vereinbarung zu kommen. In meiner Arbeit ist das die Konfliktbearbeitung, in der es darum geht, jedem mit seinem Anliegen und seinem Charakter Gehör zu verschaffen und mit ihm seinen Platz auszuhandeln. Gruppen, die schwierige Teilnehmer ausgrenzen und Konflikte nicht bereinigen, geraten in eine sterile, unlebendige Gemengelage.

Ich möchte keinen sterilen, leblosen Garten.

Ich nehme kein Gift, sondern Brennnesseln, die ich zu einem Sud mit Wasser ansetze, der nach 3 Tagen wie Gülle stinkt. Diesen schütte ich in die Gänge der Wühlmäuse, um ihnen ihre Grenzen aufzuzeigen. Denn Wühlmäuse sind geruchsempfindlich Wenn der Sud nicht hilft, pflanze ich noch Knoblauch. Den mögen sie noch weniger. Ich töte sie nicht, vertreibe sie aber aus dem Bereich, in dem ich sie nicht haben will. Nebenan ist viel Platz.

Ginge ich in einen persönlichen Kampf mit den Wühlmäusen, dann kostete mich das zu viel Energie und würde meinen Garten zerstören, weil ich ihn vergifte. Das Gleichgewicht würde ins Wanken kommen, denn es gibt Katzen, die im Garten jagen, Igel, die sich auf dem Grundstück wohlfühlen, Kröten und Ringelnattern, die mir das Ungeziefer fernhalten, Maulwürfe, die auch die Gänge der Wühlmäuse nutzen, sie alle wären von einer Vernichtungsaktion bedroht. Außerdem waren die Wühlmäuse schon vor mir auf diesem Land. Jeder hat ein Lebensrecht und Anspruch auf einen Platz in dieser Welt, auch Wühlmäuse. Wo nehme ich das Recht her, es ihnen streitig zu machen? 



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