Der Frankfurter Dom verschwindet zwischen den Geldtürmen; Foto: hinsehen.net E.B.

Religion verabschiedet sich aus der Nach-Nach-Moderne

Kirche mit ihren Themen verschwindet aus der Öffentlichkeit. Da die Kirchen keine Antwort finden, muss sich eigentlich die Gesellschaft fragen, ob sie ohne Religion die Herausforderungen meistern will. Dazu ein Rückblick auf die letzte große Reformbewegung, die Achtundsechziger. Was hat sie mit der Religion gemacht:

Religion gibt es, weil die Welt nicht so ist, wie wir sie uns wünschen. Deshalb verspricht sie Erlösung und ein besseres Leben in einer Welt, in die der Mensch durch den Tod Zutritt erhält. Wenn es um diese Welt geht, dann hat die Religion diese Welt auch nicht lebenswert gemacht hat, sondern mit den Konfessionskriegen, so im Nahen Osten bis heute, selbst zu den Übeln massiv beigetragen hat. Deshalb hat die Moderne einen anderen Weg eingeschlagen. Sie hat die Verbesserung der Welt entschieden selbst in die eigene Hand genommen und mit Medizin, Technik, der allgemeinen Schulpflicht und freiem Unternehmertum die Verhältnisse radikal geändert. Der letzte große Anlauf zu einer grundlegenden Befriedung des menschlichen Zusammenlebens war der Marxismus, der in der Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre auch im Westen große Hoffnungen weckte.

Die Wissenschaft hat die Religion auf das Rationale reduziert

Das, was in fast allen Bereichen zu erheblichen Verbesserungen geführt hat, ist die Wissenschaft. Selbst die Probleme, die durch die Moderne selbst hervorgebracht wurden, die ökologische Krise wie die rasante Verbreitung eines Virus im Gefolge der Globalisierung, werden der Wissenschaft anvertraut und nicht der Religion. Das hat die Theologie und in ihrem Gefolge die die Kirchen dazu gebracht, die Glaubenswelt wissenschafts-konform aller Inhalte zu entkleiden, die nicht in das naturwissenschaftliche Weltbild passen, also die Wundererzählungen, die Aussagen über Jesus, die ihn als religiösen Heroen darstellen, die Bilder für die himmlische Existenz, die im Barock noch in die Decken der Kirchen gemalt wurden. Auch die Liturgie wurde nüchtern, der Weihrauch war einmal ganz abschafft, die Chöre verloren an Wertschätzung, so dass dem Gemeindegesang der Rückhalt fehlt. Alles musste vor dem Verstand seine Existenzberechtigung beweisen. Wer aber alles mit dem Verstand erklären will, bekommt nur Verstand und keine Frömmigkeit mehr. Das wird an einer Veränderung deutlich: Früher haben die Menschen den Gottesdienst mitgefeiert, ohne viel zu verstehen, auch weil die Texte für die Messe in lateinischer Sprache verfasst waren. Das musste geändert werden, jedoch haben die Erklärung der Messe und die deutsche Fassung der Texte nicht die Beteiligung gebracht, die man erwartet hatte. Etwas ist verloren gegangen und müsste dringend wieder entdeckt werden.

Das Wirklichkeitsverständnis der Kultur bestimmt, was an der Religion „wirklich“ ist

Am Islam kann vielleicht einfacher deutlich gemacht werden, wie das Wirklichkeitsverständnis einer Kultur auch die religiöse Vorstellungswelt bestimmt. Die Methode nämlich, das Christentum auf die gängige Rationalität zurückzuführen, hat schon der Koran angewandt. Er spricht über die gleichen Personen wie die Bibel, so über Abraham und Moses, über Maria und Jesus und nimmt für sich in Anspruch, die Fehler in der Bibel zu bereinigen, und das in einem entscheidenden Punkt. Auch wenn es im Koran nicht wörtlich zu lesen ist, gehen die muslimischen Theologen davon aus, dass Allah Jesus vor dem Kreuzestod gerettet hat und jemand anderes anstelle von Jesus hingerichtet wurde. Da Jesus dann eines normalen Todes gestorben ist, entfällt mit der Kreuzigung für die Muslime auch seine Auferstehung von den Toten. Christliche Bibelwissenschaftler sind nicht ganz zu weit gegangen. Sie haben jedoch die Auferstehung Jesu nicht mehr in den überraschenden Begegnungen Jesu mit Maria v. Magdala und dann mit seinen Jüngern gesehen, sondern als nachträgliche Reflexion seiner Anhänger. Auch durch die Lektüre der jüdischen Bibel seien sie zu der Überzeugung gekommen, dass Gott Jesus nicht im Tod lassen konnte und deshalb auferwecken musste. Also wieder Rationalität. So spricht Robert Bultmann davon, dass Jesus in den Glauben der Christen auferstanden sei.
Es steht also das Wirklichkeitsverständnis für das, was ich erkennen kann. Für die Achtundsechziger müssen Physik und Religion gleicherweise dem Verstand durchsichtig sein. Für die Religion heißt das, dass sie vor dem Gericht des Verstandes bestehen können muss. Dieses Wirklichkeitsverständnis fndet auch in der Architektur seine Darstellung. ie Rationalität der Religionsgemeinschaften kommt einem in der Nüchternheit ihrer Kirchen entgegen. Es sind nicht filigrane gotische Maßwerke, noch die Welten, die in die Decken und Wände der barocken Kirchen gemalt sind, sondern massive Betonmauern, die gar nicht so wetterfest sind, sondern wegen des Stickoxyds schon nach wenigen Jahrzehnten saniert werden müssen.

Religion neu entwerfen

Die Früchte der Achtundsechziger sind nicht mehr als vertrocknete Pflaumen. Dabei hatten sie erwartet, wenn all die Restriktionen und moralischen Einschränkungen ihrer Großelterngeneration wegfallen würden, ein neuer, bunter, lebendiger Katholizismus hervorsprießen müsste. Tausend Blumen sollten wachsen. Warum bringt der Boden, den die Achtundsechziger für eine neue Aussaat von Quecke, Brennnessel und anderem Unkraut befreit haben, keine neuen Pflanzen hervor. Glyphosat steht für das, was auch mit dem geistigen Humus gemacht wurde: Die biologischen Abläufe in den Pfalnzen zum Erliegen bringen, damit das nur noch das eine, z.B. der Weizen wächst. Denn wenn Religion auf das reduziert wird, was der menschliche Verstand durch seine Prüfstrecken durchlaufen lässt, wird der Samen der Blumen ausgesiebt, auf denen Schmetterlinge sich niederlassen würden. Die Menschen finden auf den Weihnachtmärkten mehr Weihnachten als in den Kirchen. Es reichen nicht Reformen, Religion braucht neue Böden. Diejenigen, die sich bereits aufgemacht haben, Religion nicht in dem bisherigen geistigen Gehäuse zu praktizieren, finden Altes und werden auch Neues entwickeln. In einem weiteren Beitrag soll gezeigt werden, wie die Post-post-modenre Welt ganz neue Perspektiven für eine gelebte Religion eröffnet.

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Kategorie: Analysiert

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