Vor zwei Jahren ist mein amerikanischer Großonkel Carl gestorben, mit 92. Heute lebt er immer noch, auf Facebook: „Happy Birthday in heaven, Grandpa!“ Verwandte und Freunde gratulieren ihm weiter zum Geburtstag, auf seiner Facebook-Timeline. Niemand hat sein Profil gelöscht. Zu seinem Geburtstag erinnert Facebook seine Freunde an ihn. Mein Onkel Carl lebt auf Facebook weiter. Schön irgendwie, könnte man sagen, er bleibt seinen Freunden in Erinnerung, auch nach seinem physischen Tod. Facebook weiß nicht, dass er gestorben ist. Die Daten, die über ihn bei Facebook stehen, halten ihn am Leben. Man kann bei Facebook melden, dass jemand gestorben ist. Man muss dann die Sterbeurkunde einreichen. Das Profil des Verstorbenen wird dann in eine Erinnerungsseite umgewandelt oder gelöscht. Das hat aber niemand gemacht.
Mein Großonkel war schon über 80, als er im Internet aktiv wurde. Auf seiner Facebook-Timeline stehen ein paar politische Statements – und eine Unmenge Fotos von ihm, die sein Neffe schon vor Jahren hochgeladen und Onkel Carls Profil darauf getagged hat.
Was bleibt von mir, wenn ich sterbe? Von mir sind sicher viel mehr Daten im Internet als von meinem Onkel Carl. Nicht nur Facebook, auch Google hat doch so viele Informationen über mich, die mich digital abbilden: Meine Texte, Likes, Kommentare, Fotos und Videos. Meine Profile bei Facebook, Youtube, LinkedIn, Twitter. Wenn ich tot bin, ist das noch alles online. Ist das Digitale eine Art neue Seele, die überlebt?
Meine Oma in Deutschland ist schon vor zwölf Jahren gestorben. Sie war nicht im Internet. Wenn ich sie google, finde ich sie nicht. Digital existiert sie nicht. Meine Mutter hat Fotos von ihr im Wohnzimmer, ich habe Postkarten von ihr aufgehoben in einer kleinen Kiste mit Erinnerungsstücken. Ein Poesiealbum aus ihrer Schulzeit haben wir nach ihrem Tod gefunden. Manche Menschen haben zu Lebzeiten ein Tagebuch geführt, Bücher geschrieben, Musik aufgenommen. Irgendwie bleiben sie in diesen Werken auch am Leben.
Bei Harry Potter spaltet der böse Zauberer Voldemort seine Seele in 7 Teile und legt sie in verschiedene Artefakte wie ein Tagebuch, einen Ring, ein Medaillon und so weiter. Er versteckt sie auf der ganzen Welt. Wenn nur ein Teil zerstört wird, stirbt er nicht. Die guten Zauberer, seine Gegner, müssen alle 7 Teile seiner Seele finden und zerstören, um ihn endgültig zu besiegen. Genauso ist meine Seele digital im Internet verstreut. Auch wenn eine Seite gelöscht wird, überlebt meine digitales Ich.
Wenn mein digitales Abbild, mein digitales Ich nach meinem Tod weiterlebt, kann man mich weiterhin googlen, Informationen über mich finden, sich ein Bild von mir machen. Das heißt, ich muss mein digitales Ich pflegen, sorgsam damit umgehen. Ich muss mich regelmäßig selbst googlen, positive Info über mich online stellen und auffindbar machen, um nach meinem Tod nicht schlecht auszusehen.
Zum Thema „digitaler Tod“ gibt es viele Ratgeber-Artikel im Internet. Was kann ich tun, um sicherzustellen, dass mein digitaler Nachlass in meinem Sinne verwaltet wird? „Sterben 2.0“ – Wenn Angehörige meine Zugangsdaten habe, ist es einfacher. Ich muss eben vorher festlegen, was meine Erben mit meinen Profilen machen sollen: Löschen oder weiter betreiben.
Wenn meine „digitale Seele“ auch nach meinem Tod weiterlebt, hat das eine andere Qualität als eine Postkarte von meiner Oma an mich. Ich hebe privat für mich einen Teil von ihr auf, kann mich an sie erinnern. Das digitale Ich gehört aber den Digitalgiganten: Facebook und Google haben meine Daten gespeichert. Auf Servern. Der Teil von mir, der mich überlebt, gehört Google, auch nach meinem Tod.
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