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Meckern kann jeder

Wir schaffen uns unsere Umwelt vor allem durch Reden. Unsere Stimmung wird vor allem dadurch „bestimmt“, worüber wir reden. Es braucht dafür keine groß angelegten Untersuchungen. Jeder kann sich selbst ein Bild machen.

Ich stehe auf dem Bahnsteig, sitze in der Straßenbahn oder warte an der Einkaufskasse in der Schlange. Da wird geredet. Häufig höre ich unfreiwillig den Gesprächen zu. Im Laden sind sie eher face-to-face, in der Bahn auch oft per Handy. Meist kann ich mich nicht entziehen, diesen Gesprächen zuzuhören. Ich höre weg und doch hin. Was sind die Themen, die die Menschen bewegen? Um was geht es ihnen? Da werden Infos ausgetauscht oder Verabredungen terminiert, Fragen gestellt. Oft geht es aber auch um Klatsch. Die Nachbarin hat wieder mal den Müll nicht richtig entsorgt, die Straße ist immer noch nicht repariert oder die Baustelle besteht jetzt schon drei Wochen und nichts geht voran. Es wird geschimpft, gemeckert, bewertet. Keiner schimpft über sich selber, bewertet auch nicht sein Handeln, sondern es geht immer um andere. Um andere Situationen, um andere Menschen, die nicht so sind wie wir sie gerne hätten. Aus dem Blick von außen wird genörgelt, manchmal ohne großes Hintergrundwissen. In der Art, wie die Menschen sich in dieser „Meckerei“ verstehen, wird aber auch so etwas wie Genugtuung deutlich. So, als hätten sie sich jetzt etwas Wichtiges von der Seele gesprochen und dann sind sie sich auch noch einig. Ich will den Klatsch nicht verdammen. Jedes gute Kabarett lebt davon, aber muss er unseren Alltag so stark bestimmen?

Was ist das Motiv für solche Gespräche, die immer das in den Fokus rücken, was nicht in Ordnung ist und vor allem bei anderen? Ich frage mich oft, was uns Menschen dazu bewegt, mehr auf das zu schauen, was andere machen, als darauf, was ich selber zustande bringen kann. Wo sitzt die Wurzel für das Motiv?

Auch die Nachrichten spielen mir jeden Tag Informationen auf den Bildschirm von unbewältigten Situationen wie Krieg, Hunger, Konflikten in den Parteien, Naturkatastrophen. Es wird nie Thema, in welchem wunderbaren Land wir leben. Ein Land ohne Krieg seit 72 Jahren, mit hoher Lebensqualität, Pressefreiheit, gleichen Rechten für Männer und Frauen, einer Arbeitslosenrate, die so gering ist wie nie zuvor. Selbst die Ärmsten der Armen können in unserem Land überleben. Niemand muss verhungern, erfrieren oder bei Krankheit unbehandelt bleiben. Ist das nicht eine große Errungenschaft? Die Migranten wissen das, denn sie wollen fast alle nach Deutschland. Natürlich kann ich immer auf das schauen, was noch nicht oder nicht mehr in Ordnung ist. Mache ich mich damit nicht unzufrieden? Oder liegt diese Unzufriedenheit in unserem Leben in uns so tief verborgen, dass wir sie über dieses Meckern und Bewerten der anderen loswerden müssen?

Der Motor für solche Gespräche ist doch, dass die Welt besser sein könnte, wenn die anderen nicht soviel Fehler machen würden. Ich muss mich doch dann deshalb mit den anderen auseinandersetzen, weil sie mir etwas vorenthalten, was sie nicht erbringen.

Wenn ich mich aber nicht von anderen abhängig mache und mich nicht abhalten lasse, meinen möglichen Beitrag für das Gelingen meines Lebens und damit auch zum Wohle der Allgemeinheit zu leisten, kann ich meine Zufriedenheit zu einem großen Maß selbst bestimmen. Ich gebe damit meinen Begabungen einen Platz, für die ich in dieses Leben gestellt bin. Natürlich bleibt das nicht ohne Folgen. Dafür muss ich dann auch die Verantwortung übernehmen. Damit ändert sich mein Blick, denn ich sehe nicht was die anderen mir vorenthalten, was sie eigentlich machen müssten, sondern wo ich gemeinsam mit anderen ein Ziel verfolgen kann.


Kategorie: Verstehen

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