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Konsumfreie Zeit

Sechs Wochen Corona Quarantäne – gefühlte Ewigkeit. Für uns Risikogruppen wird es noch lange dauern, bis wir in anderes Fahrwasser kommen. Die Stille, die fehlenden Kontakte, wie der Konsum - Entzug setzen aber auch tiefere, existentielle Gedanken in mir und anderen frei.

Wie wir leben

Mit dem Umräumen des Kleiderschrankes hat es begonnen. Ich habe, wie viele andere auch, die Winterbekleidung gegen die Sommersachen ausgetauscht. Ich wusste immer schon, dass ich viel zu viel Schuhe, Hosen, T-Shirts in meinen Schränken, und Schubladen habe, aber noch nie habe ich mich in meiner Lebensweise so angefragt gefühlt. Das ist seit einigen Wochen anders. Ich habe von allem viel zu viel. Was für die Kleidung gilt zeigt sich auch in anderen Bereichen meines Lebens. Ein ziemlich banales Beispiel: Ich habe genügend Ohrringe aber falle immer mal wieder darauf rein mir neue zu kaufen. Dabei kann ich doch nur jeweils ein Paar tragen. Mein Auto, mit dem ich fast täglich unterwegs war, steht jetzt seit Wochen in der Garage, weil ich im Augenblick ausschließlich mit dem Fahrrad fahre. „Geht doch“. 
Auch auf den Straßen lässt es sich sicherer mit dem Rad fahren, denn die Autos parken an den Straßenrändern, wer weiß wie viele noch in den Garagen stehen. Für Home-office braucht man kein Auto. Die Luft ist so klar, die Emissionswerte haben sich auch bereits verändert und wenn ich im Garten bin, höre ich nur die Vögel singen, denn keine Flugzeuge unterbrechen lärmend alle Viertelstunde diese Idylle. Die Malediven oder Seychellen, Mallorca oder die Kanaren sind gerade nicht verfügbar. Das Lebensgefühl unter Corona ist ein anderes geworden. Es ist stiller. Die Ruhe erlaubt mir mich mit meiner Lebensweise auseinander zu setzen.

Anderen geht es auch so

Wenn ich mit Freunden telefoniere, dann gibt es mit vielen von ihnen Übereinstimmung darüber, dass wir mit viel weniger auskommen können, als wir haben. Die Gespräche machen auch deutlich, was wir wirklich brauchen, nämlich die persönlichen Begegnungen. Die Gespräche von Angesicht zu Angesicht. Lebensnotwendig ist nicht der Konsum jeglicher Art. Wir brauchen nicht ständig etwas Neues oder permanent Unterhaltung um uns herum. Wir müssen auch nicht mehr so oft zum Essen in Restaurants gehen, denn wir kochen gerade wieder selbst und dazu noch viel gesünder. Die Ruhe in dieser Krise tut sehr vielen gut, denn der ständige Druck, noch hier und da etwas zu erledigen, fällt gerade weg. Einige sagen sogar, dass sie diese Zeit „genießen“. Sie erfreuen sich an der erwachenden Natur, den Gerüchen, die sie jetzt viel intensiver wahrnehmen. Sie schätzen die Muse die sich einstellt, wenn die Hektik wegfällt. Die Gärten werden auf Vordermann gebracht. Sie sind so gepflegt wie selten in den Jahren zuvor. Ich beobachte auch, dass die Familien mit ihren Kindern wieder im Wald unterwegs sind. Vielleicht kommen wir ja so auch der Natur wieder näher.
Was machen wir nur falsch, dass es Corona geben muss, um zu einem neuen Lebensgefühl zu kommen?

Corona öffnet die Augen

Corona zeigt mir die Grenzen auf, an die wir mit unserem globalen Leben, unserem ausufernden Konsum, unseren weltweiten Flug- und Schiffsreisen stoßen. Mit unserem Anspruch an Luxus, an den wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnt haben, sind uns viele Nachteile unseres Lebensstils nicht aufgefallen oder wir wollten sie nicht wahrhaben. Wenn wir aber so weiter machen wie bisher, die Natur missachten, was wir augenscheinlich seit Jahrzehnten tun, schaffen wir uns noch viel schwerwiegendere Probleme, als die, die Corona im Augenblick macht. Sie werden sich im ökologischen Desaster zeigen, mit dem wir unsere Lebensgrundlage vernichten. Die Bedingungen für die nächsten Generationen, gesund aufzuwachsen oder überhaupt zu überleben, sind bereits jetzt schon gefährdet. Wir brauchen einen realistischen, gründlichen Blick auf unser Ökosystem, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen können. Dort muss jetzt nämlich investiert werden. Dafür braucht es Mut, denn es ist nicht die Autoindustrie, die uns und unseren Nachkommen das Leben retten wird, sondern die Natur, die uns atmen lässt, wenn wir uns mehr um sie bemühen. Es kann wirtschaftlich nicht immer weiter, höher, größer gedacht werden, damit noch mehr Geld erwirtschaftet wird, sondern wir brauchen mutige Investitionen für einen funktionierenden Naturschutz, der dann auch uns Menschen das Leben sichert.

Neue Schwerpunkte setzen

Die Erfahrungen jetzt in dieser Krisenzeit signalisieren mir, dass wir andere Schwerpunkte in unserem Leben setzen müssen. Ich selbst kann im Kleinen meinen Beitrag dazu leisten, wenn jeder seine Lebensweise ökologischer ausrichtet, entsteht etwas Großes. Vor allem unser Wirtschaftssystem muss sich „grünere“ Ziele setzen.
Mit weniger Konsum kann ich auch sparen. Wenn ich auf mein Konto schaue, dann bin ich ganz erstaunt, wie wenig ich in den sechs Wochen ausgegeben habe. Da sind nur die laufenden fixen Kosten und ein bisschen was für das tägliche Leben. Keine größeren Anschaffungen, keine sinnlosen Ausgaben, weil ich vielleicht gerade darauf Lust hatte, keine Reisebuchungen. Nein, ich storniere sogar gerade auch die Reisen im Herbst 2020, denn ich rechne für meine Risikogruppe mit einer längeren Pause. So schön das Reisen auch ist, auch das kann in diesem Ausmaß, wie vor Corona nicht mehr weitergehen. Ich arrangiere mich damit, weil ich spüre, dass ich mich nicht mehr vom Konsum domestizieren lassen will.

Woher kommt das gute Gefühl?

Ich spüre, dass mich allein dieser Gedanke, dass ich auf einigen Komfort verzichten kann, schon in eine Freiheit setzt, die mich durchatmen lässt. Ich will nicht mehr die Sklavin des Konsums sein. Ich muss nicht jeden Mode - Trend mitmachen, jedes Reiseangebot durchforsten, um noch etwas zu entdecken, was ich nicht kenne. Ich brauche nicht alle paar Jahre ein neues Auto, muss nicht auf allen „Hochzeiten“ tanzen. Die Wirtschaft verlangt von uns zwar Konsum, weil sie behauptet ansonsten Arbeitslosigkeit zu produzieren, aber sie macht uns damit auch unfrei. Sie macht uns zu abhängigen Marionetten. Die Unfreiheit besteht darin, dass ich mich danach richten muss, was gerade „in“ ist, damit ich dem Gefühl entgehe, etwas zu verpassen. Ich muss mich auf dem aktuellen Stand halten, um mithalten zu können, um dem Anspruch der auch von außen auf mich zukommt, gerecht zu werden. Damit verlieren wir immer mehr den Blick dafür, was wir für unser Leben wirklich brauchen. Der Konsumzwang, der ja durch die Werbung wie durch die Maßstäbe, die sich über die Gespräche und auch durch Bemerkungen anderer oft ganz unbewusst einschleichen, lässt mich manchmal vergessen, dass ich meine Freiheit ausschalte, wenn ich mir von außen Bedürfnisse einreden lasse.
Wir brauchen auch eine andere Ausrichtung in unserem Land, damit unsere Kinder eine Zukunft haben. Wenn ich durchschaue, wie die Konsumkultur mich an meiner Freiheit vorbei steuert, fällt es mir sogar leicht, „Nein“ zum ausufernden Konsum zu sagen. Wenn ich mit weniger auskomme, wenn ich asketischer und damit sogar gesünder lebe, bin ich auch weniger abhängig von den Trends. Mir wächst die Freiheit zu, die mir neue Möglichkeiten für ein nachhaltigeres Leben eröffnet. Mit diesem Geschenk der Freiheit kann ich produktiver mit meinen Bedürfnissen umgehen. Ich kann mich entscheiden dort zu investieren, wo es um nachhaltige Ökologie geht. Wenn wir als Konsumenten nicht mehr mitspielen, dann muss sich auch unsere Wirtschaft umstellen.

Umdenken

Wir können in vielen Dingen nicht mehr zurück, aber wir können uns vergewissern, wo wir nicht mehr im Einklang mit der Natur leben, denn sie ist unsere Lebensgrundlage. Missachten wir sie, ist auch unser Leben und das der nächsten Generationen gefährdet. Das kann dann auch mit Geld nicht mehr repariert werden. Wenn ich aufmerksam in die Natur schaue, dann spüre ich das Leiden der Bäume, den Durst der Pflanzen, die Vergiftung der Erde, obwohl das Frühjahr gerade jetzt alles wieder so schön grün wachsen lässt. Trügerische Schönheit, wenn ich nämlich in die abgeholzten Wälder schaue, die durch Trockenheit und Borkenkäfer verwüstet sind, wird mir das Herz ziemlich schwer.

Mehr mit der Natur leben

Mir ist klar, dass ich mein Leben noch mehr naturnah und damit auch gesünder ausrichten will. Das gilt nicht nur für reduziertes Autofahren, sondern auch für meine Ernährung, wie für meine Reisen etc... Mein Garten bietet sich im Sommer für Vieles an. Er ist groß genug für Freunde, wenn Besuche wieder möglich sind, für die verschiedenen Lebewesen, die sich darin tummeln, für Bäume, die Sauerstoff spenden und für ökologisch angebautes Gemüse, mit dem ich mich und auch andere versorgen kann.
Ein kleiner Gartenteich, der mir in der Zeit der Krise neu geschenkt wurde, ermöglicht in Zukunft auch den Vögeln, den Fröschen sowie den Ringelnattern erweiterten Lebensraum. Im Umfeld meines Gartens sehe ich viel Brachland das verwildert. Eigentlich bietet es sich an, von Familien bewirtschaftet zu werden. Sie könnten sich dort ihr eigenes kleines Refugium auch für ihre Wochenenden schaffen, Gemüse ziehen, Bäume pflanzen Blumen aussäen, mit den Kindern die Natur näher erforschen und sogar Ferien dort verbringen. Erholsame Zeit im eigenen kleinen Paradies oder Abenteuergarten.
Ein Garten, und wenn es nur ein kleiner Schrebergarten ist, lässt uns zur Ruhe kommen. Wir können einen winzigen Beitrag aus eigener Kraft für eine gesunde Natur leisten. Gärten schenken uns auch die Möglichkeit, ausgeglichener und gesünder zu leben.  

Zu Covid 19 überholt den Menschen


Kategorie: Analysiert

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