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Inkluse auf Zeit

Das Jahr 2020 hat mich, wie viele andere, die alleine leben, in die Isolation getrieben. Ich habe gelebt wie eine Einsiedlerin, fast wie eine Inkluse. Warum ist das aber nicht zu meiner Lebensform geworden?

Meine Namenspatronin war eine Inkluse

Inkluse heißt nämlich: „Eingeschlossene“- sich ganz aus dem Zusammenleben mit anderen Menschen zurückzuziehen. Sie leben in einer Ummauerung, verbringen die Tage mit Meditation, Gebet und Einkehr, um Gott näher zu kommen. Jutta von Sponheim war eine der bekanntesten Inklusen. Sie wurde in Sponheim 1092 geboren und starb 1136. Mit ihrem 8. Lebensjahr erhielt sie ihren Ordensschleier, um so in einer klösterlichen Gemeinschaft lesen und schreiben zu lernen.
Sie zog aus eigenen Stücken mit 20 Jahren in eine Klause neben der Klosterkirche auf dem Disibodenberg, wo sie als Inkluse die Erziehung und die Unterrichtung der 14-jährigen Hildegard von Bingen wie auch von zwei weiteren jungen Mädchen übernahm. Jutta lebte mit ihren Zöglingen abgeschieden von der Welt.
Aus dieser Lebensform entstand neben dem bereits existierenden Männerkloster ein benediktinischer Frauenkonvent. Jutta von Sponheim leitete den Konvent aus ihrer Klause heraus. Nach dem Tod von Jutta übernahm Hildegard von Bingen die Leitung.

Bedeutung von Namen

Namen sind ja nicht Schall und Rauch, sondern haben eine Bedeutung, beinhalten vielleicht sogar einen Auftrag. Deshalb kam mir schon früher manchmal der Gedanke, ob für mich ein ähnliches Leben auch Inkluse zu werden, vorgezeichnet ist. Näher zu Gott - mehr Distanz zur Welt.
Das Jahr 2020 spielte mir Erfahrungen ein, die mich in die Nähe von Einsiedlerinnen rückte. Zurückgezogenheit, Stille, wenig Kontakte. Aber ich bin keine Inkluse geworden. Ich habe mich nicht aus meinen Beziehungen, den Verpflichtungen, meiner Arbeit in der Welt zurückgezogen. Mit den digitalen Medien, vor allem mit Video- und Skypegesprächen, kann ich die Verbindungen aufrechterhalten. Aber es sind doch Inkluse - Erfahrungen.

Beziehungen, die nicht abbrechen

Damit sich das Jahr 2020 nicht nur mit den Einschränkungen, den leeren Zeiten, den fehlenden Kontakten, dem Gefühl, verloren zu gehen, in mir festsetzt, will ich den Fokus darauf richten, was mich weitergebracht hat. Erstaunlicherweise haben sich einige Beziehungen viel intensiver, dichter entwickelt als vor Corona. Sie haben sich noch einmal anders bewährt. Sie halten die fehlende körperliche Nähe aus, ohne zu zerbrechen. Das beruhigt, denn es scheint auch so etwas wie eine unsichtbare Verbindungsschnur zu geben. Unterstützt wird das durch mediale Kontakte, regelmäßige Termine zum Onlinespielen, eine gute Tagesstruktur durch Online- Yoga und eine neue Walkingpartnerin. Auch werden mir die Einkäufe in den Supermärkten abgenommen, damit ich mich nicht gefährde. Ein Gefühl, aufgehoben zu sein auch in einer Zeit, die Kontakte unterbindet. Was ich sehr unterstützend erlebe ist die Solidarität der vielen anderen, die sich mit mir an die strikten Coronaregeln halten. Ich bin nicht alleine mit meiner Vorsicht, auch andere nehmen dieses Virus von Anfang an sehr ernst. Diese Solidargemeinschaft hat mich gestärkt, durchzuhalten und dieses Virus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, auch wenn es in meinem Umfeld Menschen gibt, die das anders einschätzten.

Garten vertreibt Einsamkeit

Für meinen Garten bin ich ganz besonders dankbar. Im Lockdown bin ich mit den Pflanzen und Tieren eine intensive Gemeinschaft eingegangen. Wenn ich mich darin aufhalte, kann ich Vieles außerhalb vergessen. Ich rede mit den Pflanzen, gehe alle Beete ab, um mich zu vergewissern, wie gesund die Sträucher sind. Ich beobachte meine kleinen Moderlieschen im Teich oder die dicke Kröte, die sich in der Sommerhitze darin abkühlt. Ich kann sogar im Garten auf meiner Liege einschlafen, mich dem Himmel überlassen. Viel Gutes ist in 2020 im Gemüsegarten gewachsenen, das hat mich darin bestärkt, dran zu bleiben, die Mühe des Gärtnerns auf mich zu nehmen und auch im neuen Jahr mein Gemüse selbst anzubauen. Es ist eine wertvolle Aufgabe, in der ich mich als nützlich erlebe, mit der ich zu ökologischem Gemüse beitrage. Die Ernte bringt viele Früchte, ernährt mich gesund, die Erde lässt oft mehr wachsen als ich selbst verbrauche, so dass ich mit anderen teilen kann. Auch das ist ein Aspekt, der mir immer wichtig ist, denn ein Garten wird erst zu einem wirklichen Garten, wenn ich ihn mit anderen teilen kann.

Möglichkeiten, die mir die Inkluse-Erfahrungen eröffnen

Wenn ich meine Erfahrungen genau betrachte, dann hat sich in diesen 9 Monaten, übrigens so lange, wie ein Kind von der Zeugung bis zur Geburt braucht, in mir einiges Neue eingenistet. Das zurückgezogene Leben hat mir gezeigt, dass das Alleinsein zwar manchmal schmerzhaft und trocken ist, aber ich auch erleben kann, dass Stille nicht schrecklich sein muss. Ich kann sie und mich darin aushalten, ohne gleich panisch zu reagieren. Ich kann mich in der Ruhe der Abgeschiedenheit intensiver mit meiner Lebensform, mit der Situation jetzt, wie mit den Perspektiven im Alter beschäftigen. Ich lerne, dass Stille nicht das Aus bedeutet. Das ist eine gute Erfahrung, denn wenn ich ein paar Jahre weiter in die Zukunft schaue, dann wird mir auch mit zunehmendem Alter das Alleinsein begegnen, mir Stunden und Tage einspielen, in denen ich nur für mich sein werde. Kann ich dann der Stille etwas Positives abgewinnen, zufrieden die Tage leben oder nörgeln, weil ich die Einsamkeit  nicht aushalte? Da kommen auch Erinnerungen aus der Vergangenheit an die Oberfläche, gute wie schwierige, mit denen ich lernen kann, umzugehen. Je eher ich mich darauf einlasse desto besser. Wenn ich in die spirituelle Tradition schaue, dann sind solche Zeiten der Abgeschiedenheit, der Weltferne, wie sie Jutta von Sponheim aus eigener Entscheidung gewählt hat, als auch meine jährlichen Exerzitien sowie die Inklusenzeit während Corona, die 40 Tage von Jesus in der Wüste oder der Marsch über Wochen auf dem Jakobsweg notwendige Zeiten, um innere Orientierung zu gewinnen, die sich nicht an den äußeren Anforderungen ausrichtet, sondern an dem eigenen Lebensauftrag. Dabei geht es auch darum, das Vertrauen in eigene Entscheidungen zu entwickeln, dass der gewählte Weg in mir etwas Neues bewirkt.

Druck loswerden

Meine umtriebige Art, viel unterwegs zu sein, möglichst jeden Tag etwas vorzuhaben, immer aktiv zu sein hat neue Akzente bekommen. Die vergangenen Monate haben mich mit den vielen stillen Tagen auch von meinem selbstgemachten Druck befreit. Druck überall dabei sein zu müssen, die neuesten Trends mitzukriegen, mir durch Reisen lebendigeres Leben einzuspielen. Mein Leben nimmt auch so seinen Lauf. Es fließt wie ein langsamer Fluss dahin mit Lesen, Schreiben, Sport, Gartenarbeit und Telefonaten. Wenn es mir gelingt dieses Leben zufrieden zu leben, profitieren auch die anderen davon. Denn innere Ausgeglichenheit ist spürbar und entlastet das Umfeld. Kinder, Partner oder Freunde müssen nicht die Last meiner Unzufriedenheit tragen oder sogar die Aufgabe übernehmen, mein Leben interessant zu machen.

Eine neue Zeit

Ganz besonders deutlich ist mir, dass es nicht so weiter gehen wird wie vor Corona. Ich sehe die Chance, mich mehr auf ein ökologisches Leben auszurichten, weil ich durch mein Verhalten dazu beitragen will, dass der Klimakollaps die Lebenschancen meiner Enkel nicht zunichte macht.  Ich bin gespannt, was aus mir geworden sein wird, wenn ich geimpft bin und meine Klause verlassen darf.



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