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In der Fastenzeit Blühendes suchen

Sechs Wochen Fastenzeit liegen vor mir. Welches Fasten ist 2021 eigentlich angesagt? Wir haben doch mit Corona bereits ein entbehrungsreiches Jahr hinter uns. Reicht das nicht? Ich brauche einen Blickwechsel. Dafür mache ich mich auf die Suche, was die kommenden sechs Wochen für mich bereithalten.

Entbehrungszwang

Denn so sah das Corona-Fasten doch aus: Wir haben an Beziehungen gefastet, nach Nähe und Umarmungen gehungert. Menschen sind in existentielle Krisen geraten, manche mussten sogar betteln, um satt zu werden. Da sind Existenzen kaputtgegangen, nicht wenige stehen vor Pleiten, wissen nicht wie es weitergehen soll. Ist das nicht genug an Entbehrungen, die Corona uns schon auferlegt hat? Dann ist auch noch Karneval ausgefallen, der Humor in die Eintönigkeit des Lockdowns hätte bringen sollen. Die Narren haben sich online ja viel Mühe gegeben. Es war aber eher Rückblick, weniger lebendige Stimmung, die man eben online nicht erzeugen kann. Jetzt soll ich sechs Wochen bis Ostern fasten? Ist das denn richtig? Ich brauche doch eigentlich wieder mal die Erfahrung von „Fülle“, von „Genuss,“ von Unbeschwertheit. Entbehrungen habe ich schon lange genug ausgehalten.

Welches Fasten ist gemeint?

Es war nicht meine freie Entscheidung, mich coronakonform zu verhalten, sondern Pflichterfüllung zu meinem, wie zum Schutz der anderen. Ich bin bei aller Enthaltsamkeit im Coronajahr weder verhungert noch verdurstet, noch fehlt es mir an den Dingen, die mein Überleben sichern. Im Gegenteil, Kochen ist eine abwechslungsreiche, lustvolle Ersatzhandlung, mit der ich Zeit füllen kann, die aber leider auch kg-Folgen hat.
Die Fastenzeit, die jetzt beginnt, will mich nicht austrocknen oder verhungern lassen, mir auch nicht das Kochen verbieten, noch will sie mich emotional einschränken, sondern mir die Möglichkeit, aber auch die freie Wahl lassen, mich bewusst meiner Lebenskräfte zuzuwenden. Sie liegen in der lebendigen Quelle, aus der die ganze Schöpfung und auch mein Leben fließen. In ihr ist etwas Heilsames, das mich auch in „der trockenen Coronawüste" nicht hat verdursten lassen. Ich kann die Fastenzeit für einen intensiveren Blick in diese Quelle nutzen, um ein tieferes Verständnis für das Geheimnis meines Lebens zu gewinnen.
Ich kann meine Aufmerksamkeit auf das lenken, was jetzt anbricht. Ich kann meditieren, spazieren gehen, um zur Ruhe zu kommen. Ich kann mich einlassen auf die Stille, vielleicht sogar aus ihr etwas hören. Dazu zwingt mich aber niemand. 

Aus der Quelle schöpfen

Nun hat mich doch Corona mit 365 Tagen „Wüste“ bereits so runtergefahren, mir in so vielen stillen Stunden die Ruhe aufgezwungen, so dass ich Zeit hatte, mein Leben anzuschauen, mich mit interessanten Themen zu beschäftigen, beim Walken mich sportlich zu betätigen. Dafür brauche ich in diesem Jahr die Fastenzeit nicht. Ich will jetzt lieber aufbrechen, um Neues zu suchen. Ich habe bereits Vieles im Haus- aber auch in meinem Seelenkeller aufgeräumt. Damit habe ich Platz geschaffen. Da es da auch manchmal staubig war, freue ich mich jetzt auf das frische, klare Wasser aus dem Quellgrund. Es riecht schon ein wenig nach Frühling. Die Rufe der Kraniche, die heute über meinen Garten flogen, künden ihn an. Ich hungere danach.

Das Neue kann ich schon ahnen

Die grünen und weißen Spitzen der Schneeglöckchen haben sich bereits durch den frostigen Boden gekämpft. Das Leben kommt zurück. Das spüren auch andere, die diesen „Coronawinter“ nicht haben ohnmächtig an sich vorbeigehen lassen. Sie haben „Jungpflanzen“ in Form von neuen Projekten gezogen, um ihre Existenz zu sichern. Denn irgendwie muss es ja „nach“ Corona weitergehen. Da sind hunderte kreativer Ideen geboren, die bereits auf dem Weg sind. Im richtigen Boden unter gesunden Bedingungen werden sie sich entfalten. So entbehrungsreich dieses Coronajahr bisher war, es hat ermöglicht, genauer hinzusehen, wo neues Leben herkommt.

Auferstehung

Diese Fastenzeit 2021 ist nicht eine, die aus der Fülle heraus auf Vereinfachung, auf Entzug drängt, sondern die das Leben neu suchen will. Sie führt mich zwar mit dem verlängerten Lockdown noch einmal in tieferes Nachdenken über das „Was“ und „Wie“, jedoch trage ich in mir bereits große Hoffnung, dass die neuen „Ideen-Pflänzchen“, die im Ansatz erkennbar sind, sich entfalten. Es geht bald wieder los. Es wird nicht mehr so sein wie vorher. Die neuen Projekte drängen auf eine entschiedenere ökologische Ausrichtung sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie wie in meinem Haushalt. In vielen Familien hat sich ebenfalls das Einkaufsverhalten geändert, weil die Ernährung bewusster im Fokus stand. Nachhaltigkeit, regional und Bio zeigen sich immer mehr mit ihrem Gesicht. Die „Projekt - Pflänzchen“ sind noch jung und klein, aber in ihnen steckt Hoffnung, denn sie haben die Chance zu wachsen, wenn sie sich aus der Nachhaltigkeit speisen. Sie eröffnen unserem Leben eine neue Qualität. Da bin auch ich mit meinen Zeit– und Gedankenressourcen, meinem Fasten aus 2020 gefragt, die Kräfte zu bündeln und mein eigenes Verhalten noch nachhaltiger zu gestalten. Das kostet Energie und Hirnschmalz wie auch Wille. Die Fastenzeit jetzt ist wie die geistige Vorbereitung auf einen Marathon, auf Ostern, die neue Zeit der Auferstehung, der Hoffnung. Das Fasten versteht sich vielleicht jetzt mehr als Disziplin, durchzuhalten, um anzukommen.
Es wird neue Startups geben, die Krokusse werden die Parks in ein buntes Meer verwandeln, die Tulpen die Vorgärten schmücken, die Osterglocken das Frühjahr vergolden. Um mich herum wird die Natur explodieren, weil sie eine Auszeit hatte.
Auch in meinem Garten wird es wieder blühen, werden die Pflanzen auferstehen, ich werde einsäen, die Kartoffeln und Zwiebeln stecken, dem Rasen erlauben, sich noch mehr in eine Blumenwiese zu verwandeln. Bis Ostern ist Zeit für die Vorbereitung der Beete. Jeden Tag ein bisschen in der Erde „wühlen“, um die Kraft des neuen Lebens zu spüren. Wenn die Erde durch meine Finger rinnt, bin ich der Schöpfung ziemlich nahe.

Eine spirituelle Entdeckungsreise durch den Garten

Mit diesen Überlegungen bin ich nicht allein. Elisabeth Rathgeb hat mich mit dem Buch „Kopfsalat mit Herz“ angeregt, in meinem Garten jetzt wieder nach den ersten Frühlingsboten Ausschau zu halten. Eine spirituelle Entdeckungsreise durch den Garten mache ich mit ihren Beobachtungen und Hinweisen. In 22 Texten lässt die Theologin und Hobbygärtnerin mich an ihren Erfahrungen im eigenen Garten teilhaben. Ich erfahre etwas von alten Tulpen- und Dahliensorten, die sie sorgfältig überwintert. Ihre Beobachtungen helfen mir, mich in den eigenen Beobachtungen und Empfindungen wiederzufinden, so wenn sie den Giersch beschreibt, der auch bei mir im Garten den Pfingstrosen die Luft zum Atmen nimmt. Ich werde aufmerksam auf die krausen rötlichen Triebe des Rhabarbers, der die Ruhezeit im Winter zur Rekreation nutzt, indem er sich in der Erde zu verstecken, damit er wie Phönix aus der Asche im zeitigen Frühjahr wieder ans Licht kommen kann. Auch zeigt sie mir auf, welche Pflanzen Frostkeimer sind, wie ich Möhren und Radieschen platzsparend aussäen kann und weshalb Speisezwiebeln einen Schutz für Möhren bilden. Ich erfahre, wann Kopfsalatpflanzen überhaupt ein Herz ausbilden, damit sie sich schön rund entwickeln, wie auch den Grund, weshalb sie manchmal einfach aufschießen, ohne Köpfe zu bilden. Ihre Garten-Beobachtungen decken den Jahreskreis ab. 
Jetzt könnte man meinen, es sei ein Buch mit Anleitungen für Hobbygärtner, die einen Garten anlegen wollen. Es ist aber mehr, denn mit den anregenden Erzählungen über das Wachsen, das Werden, Gedeihen und Vergehen, die Schönheit der Natur nimmt sie mich mit auf einen Gartenspaziergang durch das Jahr. Als Theologin eröffnet sie mir nicht nur den Blick in den Garten, um auf die Pflanzen und Blumen zu schauen, sondern führt mich behutsam in eine spirituelle Ebene. Es gelingt ihr, mich ganz unaufdringlich mit dem Schöpfungsgedanken zu infizieren, ihn mit bestimmten Merkmalen der Pflanzen zu verknüpfen und damit zu konkretisieren. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich auf die Vielfalt und Tiefgründigkeit unserer Natur. Jede Pflanze, von der sie erzählt, verknüpft sie mit einem spirituellen Gedanken, oft mit einem Satz aus der Bibel. Ich gewinne eine Blickvertiefung für meinen eigenen Garten. Damit ihre Texte auch für meinen konkreten Alltag taugen, nicht nur „nette“ Erzählungen vom Garten bleiben, spricht die Autorin mich mit Fragen an, die sie sich selbst stellt. Mit diesen Fragen am Ende jeder Erzählung kann ich mich im Spiegel meines Lebens betrachten. Es sind heilsame Fragen, die nicht ohne Wirkung bleiben. Ihr Schreibstil in Ich-Form nimmt mich in ihre Erzählungen hinein. Sie fällt nicht in komplizierte theologische Satzgefüge und lässt damit den Leser*nnen genügend Luft und Raum für eigene Gedanken und Erfahrungen.  Das Layout wie die Fotos im Text sind in frischen Farben gehalten.

Elisabeth Rathgeb: Kopfsalat mit Herz: Eine spirituelle Entdeckungsreise durch den Garten, Tyrolia, 2021, 112 Seiten, ca. 15€
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Kategorie: Entdecken

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