Alter ist nicht nur eine Herausforderung sich mit den zunehmenden „Zipperlein“ anzufreunden, sondern es bringt Veränderungen in die Beziehungen. Waren die arbeitsreichen Jahre mit der Familiengründung, der Erziehung der Kinder und dem persönlichen beruflichen Aufbau zeitlich meist mehr als gefüllt, stehen jetzt Paare vor der Aufgabe, die letzten Lebensjahre miteinander zu gestalten, damit das Zusammenleben lebendig bleibt. Ihre Aufmerksamkeit zielt nun viel mehr auf den anderen, auf das, was miteinander geht, was man vom anderen erwartet, was jeder für sich braucht um zufrieden zu sein. Da spielt die Beziehung eine größere Rolle als vorher. Die Projekte wie der berufliche Aufbau oder Kinder für das Leben tüchtig zu machen haben viel von der Aufmerksamkeit für den anderen absorbiert und haben meist auch dafür gesorgt, dass sich der Einzelne die Zufriedenheit aus diesen Aufgaben holen konnte. Das Partnerleben war mehr auf diese Projekte ausgerichtet und brauchte die Solidarität des anderen. Da sind so etliche Wünsche zu kurz gekommen. Manche Paare haben sich über diese Ziele schon mal aus dem Blick verloren. Jetzt im Alter, wenn die Anforderungen und Aufgaben wegfallen, tritt in die Zweisamkeit erst einmal ein Vakuum. Denn Beide sind auf sich gestellt und aufeinander verwiesen.
Sexualität dominiert nicht mehr die Beziehung
Weil Alterszeit auch eine Zeit der ruhiger werdenden sexuellen Energien ist, bietet sie eine Chance für einen neuen Umgang miteinander. Frauen fühlen sich nach der Menopause freier in ihren Bedürfnissen nach Sex. Oft artikulieren sie selbstbewusster ihre Wünsche. Sie können auf Verhütungen verzichten, brauchen sich nicht mehr mit den monatlichen „Tagen“ zu plagen. Männer sind nicht mehr sexuell so dominant wie in jungen Jahren, denn auch sie kommen in die Wechseljahre. Da kann etwas Ruhe in die erotische Beziehung eintreten, in der mehr Zärtlichkeit und dadurch auch mehr Nähe möglich wird. Da Beziehung nicht nur gelebte Sexualität ist, sondern ein viel größeres Spektrum abbildet, geht es auch darum, dass jeder im Alter noch etwas Eigenes hat, mit dem er oder sie sich verwirklichen kann.
Jeder braucht etwas Eigenes
Weil das Alter von vielen Notwendigkeiten befreit, kann auch die Beziehung dazu beitragen, dass der Einzelne nicht vom anderen vereinnahmt wird. Dafür braucht jeder Freiraum für sich, für etwas Eigenes, mit dem er seine Begabungen, seine Wünsche im Alter noch ausdrücken kann. Das sieht sehr verschieden aus. Die einen investieren ihre Zeit in ein Ehrenamt, andere treten einem Verein bei, spielen ein Instrument in einer Gruppe oder singen im Chor, andere wenden ihre Zeit in die Begleitung der Enkel auf, ins Lesen, Schreiben, Gärtnern etc. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas Eigenes zu entwickeln, das sowohl den Einzelnen zufrieden macht gleichzeitig dem anderen den Freiraum einräumt, ebenso sein Eigenes zu leben. Denn die Lebendigkeit einer Beziehung hängt schon sehr daran, wie viel eigene Erfahrungen jeder in das gemeinsame Leben hineinbringt. Auch Freundschaften, meist haben Frauen mehr Freundschaften aufgebaut als Männer, brauchen nach wie vor ihre Pflege und damit Zeit. Da steht auch die Frage im Raum, kann er alleine bleiben, wenn sie sich mit ihren Freundinnen trifft? Kann sie ihn lassen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, dass er jetzt alleine zu Hause sitzt oder hat sie Angst, wenn auch er etwas Eigenes unternimmt? Damit sich niemand in der Partnerschaft gegängelt fühlt, braucht es die Energie jedes Einzelnen, die nicht auf die Initiative des anderen wartet. Denn wenn nur einer in der Beziehung etwas Eigenes lebt, wird der andere unzufrieden. Erst das, was jeder aus eigenem Antrieb unternimmt, ermöglicht persönliche Zufriedenheit. Sie ist Voraussetzung, dass etwas Gemeinsames überhaupt gelingt und Freude macht.
Gemeinsames soll gelingen
So gut es ist, dass jeder sein eigenes Leben im Alter leben kann, so wichtig scheint mir, dass es auch etwas Gemeinsames gibt. Oft ist es das Reisen, aber manche treiben auch gemeinsam Sport, wandern, fahren Fahrrad, sind mit Enkeln unterwegs, gehen zusammen ins Theater und ins Konzert. Manche lesen und diskutieren darüber. Dann gibt es genügend Gesprächsstoff. Wenn sich Paare jedoch nach außen abschließen, Freundschaften nicht pflegen, Kulturelles meiden, engt sich der Blickwinkel immer mehr ein. Dann richtet sich die Aufmerksamkeit leicht auf das nähere Umfeld oder die Nachbarschaft, über die man dann oft nicht nur redet, sondern herzieht. Es werden andere Leute Thema, weil eigenes nicht zur Verfügung steht. Das schafft nicht gerade eine angenehme Atmosphäre, denn mit Klatsch wird Lebenszeit vertan, die der Beziehung zum anderen verloren geht, nicht nur bei Paaren, auch in Freundeskreisen. Da ist es immer noch besser, gut erzählte Geschichten im Fernsehen zu verfolgen oder ein spannendes Buch zu lesen. Denn die Erzählungen sind auch interessanter als Nachbarschaftsklatsch. Das Fernsehen oder anregende Romane spielen nämlich in ihren Geschichten oft die Herausforderungen des Lebens ein, die im Gespräch mit dem Partner auch dazu dienen können, das eigene Leben neu zu sehen. Lebendige Gespräche hängen davon ab, dass jeder in der Beziehung mit eigenen Erfahrungen vorkommt. Nun bleiben wir ja nicht ewig gesund und fit, um immer noch Neues zu erleben, können vielleicht auch nicht mehr so gut hören oder sehen. Dann fallen schon einige Dinge wieder weg. Außerdem erreicht uns möglicherweise auch Gebrechlichkeit. Diese Situation aber auch unsere Macken, die sich im Alter verstärken fordern von der Beziehung viel Einfühlungsvermögen und Geduld.
Rücksicht und Wohlwollen
Es muss noch nicht einmal die Gebrechlichkeit oder die Demenz sein, die uns in der Beziehung an den Rand des Erträglichen führen kann, sondern auch unsere Charakterschwächen dominieren unser Verhalten oft mehr als früher. Wenn die Kraft fehlt, die eigene “Macke“ einzugrenzen, muss der Partner, die Partnerin mehr aushalten. Es sind die kleinen und großen Schwächen, die jeder von uns an sich hat, die im Alter deutlicher zum Ausdruck kommen und nerven. Da ist jeder auf das Wohlwollen des anderen angewiesen, weil diese Schwächen, wenn wir sie nicht in der Vergangenheit bewältigen konnten, kaum noch zu korrigieren sind. Da hilft es nicht, auf den Fehlern des anderen herumzureiten. Das kostet nur unnötige Energie und macht schlechte Laune. Wenn dann noch Gebrechlichkeit oder Demenz hinzukommen, wird es für die Beziehung herausfordernder. Da kommt der andere schnell an seine Belastungsgrenze, die dazu führen kann, eher zu maßregeln als mit Verständnis zu reagieren. In diesen Situationen sind wir aber gerade auf das Wohlwollen des anderen angewiesen. Wenn sich jeder früh darauf einstellt, dass die Spannkraft, die Gesundheit, die Interaktion mit zunehmenden Jahren nachlässt, können die Erwartungen aneinander relativiert werden. Dabei spielt es eine große Rolle, ob jeder seinen eigenen Ausgleich betreibt.
Beziehung ist ein Kunstwerk
Paare haben eine Strahlkraft nach außen. Der Einfluss dieser Ausstrahlung eines älteren Ehepaares auf andere ist nicht zu unterschätzen. Denn Außenstehende, die Kinder, die Enkel, die Nachbarschaft, die Pflegekräfte spüren die Gestimmtheit von Paaren. Sie haben unmittelbare Wirkung auf sie. Was sollen junge Paare für sich mitnehmen, wenn sie Beziehungen beobachten, die im Alter in Missmut und Unzufriedenheit auslaufen? Signalisiert das nicht an die Jüngeren, dass man sich früh genug trennen muss, um nicht in der gegenseitigen Langeweile zu enden oder die Last des anderen im Alter auch noch zu schultern, wo man doch mit sich selbst und der eigenen Gebrechlichkeit irgendwann selber genug zu tun haben wird. Wollen die Partner im Alter ihre Lebendigkeit und Liebe noch einmal vertiefen, damit sie für sich selbst, aber auch für andere eine Atmosphäre schaffen, in der man sich wohl fühlen kann, ist es unerlässlich, die in den mittleren Jahren unbearbeiteten Konflikte auszuräumen. Denn die liegengebliebenen Unstimmigkeiten schlagen im Alter oft in unterschwellige Aggression oder Verweigerung von Nähe zu. Damit die Alterszeit gelingt geht es darum ihr eine Chance für unbeschwerte Tage und friedvolle Stunden zu ermöglichen. Schaffen wir eine solche Atmosphäre wirkt das deutlicher, als die Paare selbst vermuten, nach außen. Wenn dann einer alleine zurückbleibt, ist der Schmerz des Verlustes groß, aber die innere Vorbereitung darauf, dass das eigene Leben wie das des Partners einmal zu Ende geht, kann den totalen Absturz in die Trauer verhindern.
Alleine zurechtkommen
Es ist höchst selten, dass ein Paar gemeinsam stirbt. Je eher sich jeder damit auseinandersetzt, dass er alleine bleiben könnte, desto besser kann es gelingen, diese Situation auszuhalten. Gespräche mit dem Partner über den Tod und das Sterben können helfen sich diesem Thema anzunähern, auch wenn solche Themen oft in Altersbeziehungen ausgeklammert werden. Es ist ein „heißes“ Thema, das nicht gerne angegangen wird. Wenn aber einer stirbt, geht das Leben für den anderen ja weiter. Dafür braucht er Kraft. Wird der Tod in den Gesprächen ausgegrenzt, kann es für denjenigen, der zurückbleibt schwierig sein mit dieser Situation fertig zu werden. Innere Vorbereitung hilft den Verlust besser zu verarbeiten. War die Altersbeziehung sehr symbiotisch nur auf den anderen ausgerichtet, kann diese Symbiose verhindern, das eigene Leben noch in die Hand zu nehmen. Deshalb ist das Eigene, das jeder im Alter für sich sichert und pflegt so wichtig, weil es das Gefühl unterstützt, dass das Leben noch lebenswert bleibt auch wenn der Partner stirbt. Das offene Gespräch mit dem Partner über den Tod wirkt als gegenseitige Hilfe, sich auf das Sterben vorzubereiten.
Links: Zur Themenreihe „Alter“ sind zwei Beiträge online zu finden. Die Reihe wir fortgesetzt
Alter heißt Neuanfang
Alt geworden und was jetzt
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