„Smartfon“ ist immer dabei
Mit meinem Smartphone kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit alles machen: Arbeiten, Karriere, mich selbst optimieren. Kommunikation, Unterhaltung und Konsum. Ohne das Haus zu verlassen, nicht einmal das Bett. Es ist immer bei mir. In der Hosentasche, auf dem Schreibtisch, auf dem Nachttisch, oft sogar direkt neben dem Kopfkissen, um zum Einschlafen leise Hörbücher zu hören. Das Gerät kommt auch wie selbstverständlich mit auf die Toilette. Im Alltag erlebe ich es oft als fast zwanghafte Gewohnheit, meinen Handy-Bildschirm zu entsperren und irgendeine App zu öffnen. Als Typ 1-Diabetiker bekomme ich zusätzlich noch meinen aktuellen Blutzuckerwert alle 5 Minuten auf den Bildschirm, in verschiedenen Farben und mit Ton- und Vibrationsalarmen. Mein ganzes Leben findet auf diesem Gerät statt. Abends beim Essen auf der Couch schaue ich eine Serie oder einen Film auf dem Laptop, nebenbei bin ich am Handy, ich wechsle also nach der Arbeit nur vom Computerbildschirm zum Handy-Bildschirm. Ich kann die berufliche von der privaten Nutzung kaum trennen, weil alle Apps für jedes Bedürfnis, jeden Lebensaspekt nebeneinander und gleichzeitig auf einem Gerät liegen.
Näher dran
Als freiberuflicher Autor und Journalist habe ich das Gefühl, ich muss möglichst immer auf dem aktuellen Stand darüber sein, ob und wie meine Themen im Internet vorkommen. Wie wird in den Social Media über das gesprochen, was mich beschäftigt? Und ich will, dass ich als Autor im Kontext meiner Themen persönlich wahrgenommen werde. Mein Profil soll sich digital abbilden und schärfen, damit meine Zielgruppe mir folgt, aber auch mögliche Auftraggeber mich kennen und finden. Das Smartphone ist mir in meinem Alltag so nahe, der Touchscreen näher am Gesicht als der große Computerbildschirm, die Finger auf dem Display machen die Verbindung irgendwie unmittelbarer als Maus und Tastatur, und so habe ich den Eindruck, ich komme auch in direkteren Kontakt mit den Inhalten und Menschen, den digitalen Farben, Tönen, Emotionen.
Negative Gefühle wegschieben
Gerade jetzt im wiederholten Lockdown, während dieser globalen Pandemie, hilft mir mein Smartphone auch, meine aufkommenden „negativen“ Gefühle nicht zu spüren, Langeweile, Trauer, Schmerz, Angst, Verletzungen. Mit dem Smartphone kann ich sie ganz einfach wegschieben und schnell andere Gefühle hervorrufen, solange ich online bin, am Bildschirm bleibe. Wenn ich es dann irgendwann weglege, fühle ich mich meist unzufrieden. Es macht mich aber auch nicht nachhaltig zufrieden oder glücklicher. Und oft weiß ich gar nicht, was ich die letzten Minuten oder Stunden eigentlich gemacht habe. Zugleich verspüre ich Scham, weil ich das Gerät am liebsten direkt wieder in die Hand nehmen würde, um die innere Leere zu vertreiben – ganz einfach und sofort.
Kommunikation verändern
Das Smartphone drängt in alle Lebensbereiche, bestimmt sie. Wie wäre es, wenn ich es für eine Weile ausschalte und ein nicht smartes „Nokia“-Handy benutze? Welche Konsequenzen hätte das? Ich müsste einigen Leuten Bescheid sagen, dass sie mich nicht mehr per WhatsApp, Signal, Telegram, Instagram erreichen, sondern nur noch per Anruf und SMS oder E-Mail. Keine Sprachnachrichten mehr, sondern mühsames SMS-Tippen. Nach vielen Video-Konferenzen im letzten Jahr bin ich sehr Bildschirm-müde und würde das gerne tun. Ich merke, dass ich mich besser auf Gespräche konzentriere, wenn ich nur zuhöre, wenn die anderen mich nicht sehen, wenn ich beim Telefonieren herumlaufen, spazieren gehen kann. Das wäre mit einem nicht smarten Handy einfacher, der Akku hält ewig, verbraucht keinen Strom durch mobile Daten, Apps oder großen Bildschirm.
Alltag ist immer online
Für die TAN-Sicherheitscodes beim privaten und beruflichen Online-Banking brauche ich eigentlich eine App. Ich müsste viel Gewohntes überdenken und verändern, wenn ich mein Smartphone nicht nutze. Morgens schaue ich als erstes aufs Handy, Nachrichten laufen bei mir auf oder ich habe zumindest das zwanghafte, angstbesetzte Gefühl, das Smartphone entsperren zu müssen, um zu schauen, ob jemand etwas vermeintlich Wichtiges von mir will. Ich lese schon im Bett E-Mails und stelle sie wieder auf „ungelesen“, checke Kontostände und Benachrichtigungen auf Instagram, schaue in WhatsApp und andere Messenger-Dienste, manchmal dauert es 1 Stunde oder länger, bis ich aus dem Bett komme, mein Fokus, meine Konzentration sind danach futsch.
Wenn ich das Smartphone morgens als Wecker benutzen will, muss ich es angeschaltet lassen, die Programmierer wollen, dass ich es nie ausschalte. Außerdem höre ich Podcasts und Hörbücher mit dem Handy, beim Aufräumen und bei nicht-kreativen Arbeiten am Schreibtisch. Und beim Spazierengehen und Meditieren am Rhein tue ich mir gerne Taizé-Musik auf die Ohren. Das oft stundenlange Scrollen durch Fotos und lustige Kurzvideos auf Instagram würde ich wohl weniger vermissen.
Im nächsten Beitrag beschreibt der Autor, warum Smartphone-Fasten unter Lockdown-Bedingungen für ihn zur Folge hat, negative Gefühle nicht sofort mit Apps zu betäuben – und das Handy nicht mit Gott zu verwechseln.
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