Wenn ich mich jetzt im Alter frage, ob ich ein glückliches Leben hatte, drängen sich erst einmal andere Stimmen in den Vordergrund. Sie wollen mir aufzeigen, welche Fehler ich gemacht habe, welche Verluste ich erleiden musste, welche Misserfolge ich im Laufe meines Lebens erfahren habe und wie anstrengend mein Leben war. Sie wollen mir eigentlich sagen, dass ich gar nicht glücklich sein kann.
Glück gehabt zu haben, macht noch nicht glücklich
Mein Leben besteht aber nicht nur aus den negativen Seiten, die sich immer so wichtigmachen und in meinen Träumen auftauchen, auf die ich unglücklich schauen muss. Sie wollen mein Selbstbewusstsein schwächen und meine Laune beeinträchtigen. Blicke ich jedoch auf das, was mir in meinem Leben geschenkt wurde, welches Glück ich erleben konnte, ändert sich das Bild. Da kommen dann oft erst die besonderen Glücksmomente aus ihren Nischen. Die Erfolge, die ich schon in jungen Jahren beim Sport errungen habe, der gelungene berufliche Abschluss, der mein Selbstwertgefühl gestärkt hat, die Liebe, die mir zwei wunderbare Kinder schenkte. Menschen die mit mir mein Glück teilten. Das Glück nicht in einen tödlichen Unfall geraten, im Tiefschnee nicht erfroren zu sein, Operationen gut überstanden zu haben. Was bin ich froh, dass es solche Glücksmomente in meinem Leben gab, in denen ich auch spürte, dass ich im Schutz von etwas Größerem stand, das mein Leben will. Wer näher hinschaut, findet solche Glücksmomente auch in seinem Leben. Jedoch Glück gehabt zu haben, macht noch nicht ein ganzes Leben glücklich, denn der Halbzeitwert von Glücksmomenten ist gering. Um diesen eine Chance für ein glückliches Leben zu eröffnen, braucht es eigene Beteiligung. Dazu hat eine Langzeitbeobachtung wichtige Hinweise erbracht:
Dauerhafte Beziehungen
Was uns wirklich glücklich macht, haben Forschende von Harvard in einer empirischen Langzeitstudie seit 1938 mit 2000 Menschen untersucht. Das Ergebnis ist überraschend, es ist nicht das Geld, nicht der Millionengewinn, nicht der Erfolg oder das dicke Auto und das Schiff, sondern es sind die dauerhaften Beziehungen zu anderen Menschen.
"Obwohl Menschen sehr unterschiedlich ticken und jeder von uns höchst individuelle Vorstellungen von einem glücklichen Leben hat, ist es überraschenderweise doch so, dass sich bei der Harvard-Studie und anderen internationalen Langzeitstudien ein einziger Faktor als eindeutig am wichtigsten herausstellt: gute Beziehungen. Damit sind nicht unbedingt nur Paarbeziehungen gemeint, sondern auch Freundschaften, Familie, Kolleginnen und Kollegen, Nachbarschaftsbeziehungen oder Zufallsbegegnungen. .....
Wenn wir alle vierundachtzig Jahre der Harvard-Studie nehmen und sie zu einem einzigen Lebensprinzip zusammenfassen, wäre dieses: Gute Beziehungen machen uns gesünder und glücklicher", betonen Waldinger und Schulz.
Glücklich sein ist nachhaltig
Glücksmomente im Leben sind eher euphorisch, kurzlebig und machen noch nicht ein ganzes Leben glücklich. Ich kann jetzt im Alter gut unterscheiden, was mein Leben wirklich glücklich sein lässt. Glücklichsein äußert sich nämlich in dem Gefühl von Achtung, Geborgenheit, gewollt zu sein, Gefühle die mir Zufriedenheit schenken. Zufrieden sein mit dem was sich in den Jahren entwickelt hat, was mir geschenkt wurde aber auch das, wofür ich mich habe anstrengen müssen. Denn die Glücksmomente z.B. bei der Geburt von den Kindern, in denen ich das Wunder dieser kleinen Erdenbürger erleben durfte, ändern sich ziemlich schnell, wenn sie die Nachtruhe stören, wenn sie weinend zahnen, wenn sie sich verletzen oder ernsthaft krank werden, wenn sie nerven oder im Jugendalter Schwierigkeiten machen. Da ist viel „Mutter- und Vaterliebe“ nötig, damit sie sich gut entwickeln, damit aus diesem Kinderglück auch etwas Glückliches in den Beziehungen entstehen kann. Wenn ich heute auf sie blicke, macht es mich glücklich, dass wir nicht nur die Glücksmomente genossen, sondern auch die unglücklichen Untiefen bis sie erwachsen waren, gut gemeistert haben. Ich genieße heute die Beziehung zu meinen Kindern, die Achtung und Dankbarkeit, die sie mir entgegenbringen. Es ist ein Glück, sie zu haben. Auch die Liebe in der Partnerschaft ist am Beginn eher euphorisch. Damit sie jedoch zu einer nachhaltigen, glücklichen Beziehung führt, braucht es Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Wertschätzung. Es braucht auch den Mut und den Willen, durch die unvermeidbaren Krisen zu gehen, um zur Versöhnung zu finden. Die Krisen sind es, die mich wachsen, die mich erst zu meiner Person werden lassen. Auch die Beziehungen, die sich aus privaten oder beruflichen Begegnungen entwickeln, wurden erst durch gegenseitige Zuwendung und Achtung tragfähig. Ich spüre die Akzeptanz, die Wertschätzung, das Gefühl von Zugehörigkeit. Diese Gefühle fließen wie ein Grundstrom unter meinem Alltag, der mich jetzt im Alter relativ sicher trägt. Es ist ein Strom, kein Wasserfall, der mich wie in eine warme Decke einhüllt, der mir auch die Sicherheit gibt, mit den Herausforderungen, die mir das Leben jeden Tag neu aufgibt, gelassener umzugehen.
Sich mit dem Negativen versöhnen
Es sind nur auf den ersten Blick die negativen Erfahrungen von außen, die mein Glück gefährden. Viel abträglicher sind meine eigenen negativen Anteile. Sie verhindern, dass ich in guten Beziehungen stehe. Denn wenn ich meinen Blick immer nur auf das richte, was nicht funktioniert, was andere nicht ordentlich gemacht haben, wenn ich zu oft als Besserwisser auftrete, mit Vorwürfen agiere, kann ich den Kontakt zu diesem glücklichen Grundstrom in mir nicht aufnehmen. Dann sind auch die Beziehungen um mich herum gefährdet, denn keiner will immer vorgehalten bekommen, was nicht richtig läuft. Für die Pflege meines Glücksgefühls ist es deshalb unabdingbar, dass ich mich dem in meinem Charakter zuwende, womit ich anderen das Leben schwermache. Das kann sehr verschieden sein. Die eine ist zu aufdringlich, andere verhalten sich desinteressiert, wieder andere sind belehrend oder treiben ständig an, Ungeduld oder übergroße Empfindlichkeit – jeder von uns hat eine dieser Charakterschwächen, glücklicherweise nur eine, die aber auch nicht einfach weggeht. Wer sich selbst in den Blick nimmt, wird eine Schwäche, die die anderen schon längst beobachtet haben, dann auch dingfest machen können. Am einfachsten ist, andere zu fragen. Das ist erst einmal unangenehm, weil ich die Schattenseite meines Charakters anschauen muss. Manchmal ist es sogar richtig peinlich. Aber erstaunlicherweise wird meine Schwachstelle handsamer, wenn ich ihr meine Aufmerksamkeit widme, wenn ich akzeptiere, dass andere sich mit Recht an mir reiben können. Sie bleibt Teil meiner Person, da sie fast immer die Kehrseite meiner Stärke ist. Mit dieser Hinwendung zu meiner eigenen Schwäche werde ich aufmerksamer für Situationen, in denen sie sich destruktiv zeigt. Sie verliert dann ihre Schärfe und ermöglicht so, dass meine Beziehungen zu anderen wachsen können.
Hier ein Bericht zu der Langzeit-Glücksstudie
zu den Persönlichkeitstypen und ihrer jeweiligen Schwachstelle:Charaktermuster - ihre Stärken und ihre Entwicklungschancen
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