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Emotionen und Fakten versöhnen

„Wir müssen die Emotionen mit Fakten versöhnen, damit sie zum Ausgleich kommen.“ So Frau Merkel im Januar 2020 in Davos. Dieser Satz ist bei mir hängen geblieben. Nicht nur die ökologischen Probleme brauchen beide Seiten unserer Person.

Wovon werden wir eigentlich innerlich geleitet? Bin ich eher ein Mensch, der auf die Welt rational oder emotional zugeht? Kann ich beide Seiten in mir gut in Einklang bringen?
Werde ich mehr von meinen Emotionen, den Intuitionen, den Vermutungen, den Ahnungen geleitet und spüre dann deutlicher das Bedrohliche? Oder gewinne ich Zugang eher über das Rationale, das Sichtbare, Überprüfbare, über die Zahlen, die Fakten, das Objektive, das Logische? Bezogen auf die Herausforderungen der Ökologie heißt das, dass starke Bedrohungs-Gefühle ausgelöst werden und dass zugleich rationales Vorgehen, gut überlegte Strategien gefunden werden müssen.

Es hängt davon ab, was ich in mir ausgebildet habe

Wir wissen inzwischen, dass für das Logische die linke, für das Empfundene, Gefühlte die rechte Hirnhälfte zuständig ist.
Die rechte Hirnhälfte ist der Sitz der Emotionen, die linke der Logik. Sie bilden sich schon als Kind mit meiner Entwicklung aus. Je nachdem, welche Herausforderungen ich meistern muss, welche Anforderungen an mich gestellt werden, was gutgeheißen wird, was mir aber zu denken oder zu fühlen verboten wird, wofür ich Lob und Anerkennung bekomme oder bestraft werde, prägen meine Erfahrungen und damit auch, wie ich mich auf die Welt einlasse. Meine Sicht auf die Welt hängt davon ab, welche der beiden Hirnseiten ich mehr ausgebildet habe.    

Jede Kompetenz ist in einer Hirnregion lokalisiert

Wir haben natürlich beide Hirnhälften entwickelt, aber wie das bei allem so ist, eine Seite ist meist dominanter als die andere. Wir sind auch in unserer körperlichen Gestalt nicht gleich ausgebildet. Mein großer Zeh ist links länger als mein rechter. Manche haben ein Bein kürzer als das andere oder eine Seite ist kräftiger als die andere. Wie sieht das mit meinem Gehirn aus? Welche Seite habe ich mehr ausgebildet? Spannend wird es, wenn ich mir auf die Spur komme, denn mit der unterschiedlichen Ausbildung der Gehirnhälften sind auch ganz unterschiedliche Kompetenzen, Neigungen wie Antriebskräfte verbunden.

Die rechte Hirnhälfte

Ist meine rechte Hirnhälfte besser ausgebildet als die linke, dann sorgt sie dafür, dass ich nicht nur etwas sachlich wahrnehme, sondern auch fühle, was um mich herum passiert. Mein Zugang zur Welt geht erst einmal über die Intuition und die Gefühle, über das, was ich spüren, aber meist nicht sehen kann. Ich nehme Situationen mehr mit meinem Empfinden wahr als mit dem rationalen Blick. Es geht mir mehr um ein menschliches Erleben als um Faktenwissen oder Logik. Das ist erst einmal eine Gabe, die mich für den Umgang mit anderen und in der Beziehung zu anderen unterstützt. Diese Gehirnhälfte ist auch zuständig für den Zugang zu dem Transzendenten, dem nicht Sichtbaren in meinem Leben. In meinen Gefühlen kann ich mich aber auch wegträumen, darin schwelgen, oder mich in bedrohliche Situationen hineinsteigern, bis ich vor lauter Angst nicht mehr handlungsfähig bin. Die überbordenden Gefühle brauchen eine Korrektur. Diese leistet meine linke Hirnhälfte mit ihrer sachlichen Strukturierung, der Artikulation von Argumenten, dem Unterscheidungsvermögen, der Fähigkeit Situationen rational zu überprüfen.

Die linke Hirnhälfte

Wie sieht das aus, wenn meine linke Hirnhälfte sich besser ausbilden konnte?
Meine Gabe ist dann sicher, dass ich auf die Welt eher sachlich zugehe. Ich bin an Fakten und Ergebnissen, an dem, was man wissen kann, orientiert. Ich bin in der Lage, Dinge und Situationen zu berechnen, zu überprüfen, einzuschätzen. Es zählt das Sichtbare mehr als das, was ich spüren könnte. Ich kann natürlich auch fühlen, aber mein Augenmerk liegt mehr auf dem, was ich sehen und objektiv erkennen oder gestalten kann. Das ist das, was ich als richtig erlebe. In den Gefühlen kann ich mich verirren, deshalb bin ich da eher skeptisch. Natürlich prägt mich ein solcher Zugang zur Welt. Wenn ich alles durch die Brille der Gestaltung, der Logik, des Berechenbaren betrachte, meine rechte Hirnhälfte nicht oft genug zum Zuge kommen lasse, kann ich das Gespür für mein Umfeld, für meine Beziehungen, für den Erfolg meiner Unternehmungen verlieren. Es fällt mir auch sicher nicht leicht, einen unvoreingenommenen Zugang zur Transzendenz zu gewinnen. Entscheidungen, die ich nur aus meiner linken Hirnhälfte treffe, können dann auch schon mal „eiskalt“ oder sozial fragwürdig sein. Sie sind vielleicht logisch aber manchmal auch unmenschlich. Ich brauche zu meiner Gabe, mit Klarheit und Logik auf die Welt zu schauen, auch die Qualitäten der rechten Hirnhälfte. Mit ihr tauche ich nämlich in eine tiefere Region meiner Seele ein. Ich kann spüren, ob das, was ich gestalte, dem Wohle anderer dient, ob ich die Menschen im Blick habe. Ohne die rechte Hirnhälfte wäre mein Handeln vielleicht logisch, aber nicht unbedingt warmherzig, weitsichtig, sozial. Die beiden Hirnhälften brauchen sich gegenseitig, damit alles das, was ich in meinem Leben gestalte, aus einer tieferen Wertdimension entsteht und zugleich in Handlungsschritte umgesetzt wird, die die linke Hirnhälfte organisiert. Mein Handeln muss dem Leben dienen. Das kann es nur, wenn sowohl die emotionale wie die rationale Seite in mir in ein gutes Gleichgewicht kommen.

Wenn in der Umweltfrage die Emotionen mit den Fakten verbunden werden sollen, was heißt das dann?

Wir haben Umwelt-Fakten auf dem Tisch, die bei vielen Angst, Bedrohung, Hilflosigkeit und sogar Wut auslösen. Die Menschen können sich nur beruhigen, wenn sie sich mit diesen Gefühlen von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft ernst genommen fühlen. Wenn sie erleben können, dass konkrete Maßnahmen getroffen werden. Dann gibt es aber auch diejenigen, die den Menschen nicht als Ursache der problematischen Klimaentwicklung betrachten. Diese Ansicht leitet sich ebenfalls aus der rechten Hirnhälfte her, denn sie orientiert sich nicht mit der linken Hirnhälfte an den Fakten. Beide Seiten können aber ihre linke Hirnhälfte zur Lösung des Problems erst einsetzen, wenn sie sich mit ihren Emotionen aus der rechten Hirnhälfte ernst genommen fühlen.
Das setzt voraus, dass auch die Verantwortlichen ihre rechte Hirnhälfte wahrnehmen, indem sie ihre Ängste ernst nehmen. Sie brauchen die Fähigkeit, sich in die Emotionen der Bevölkerung einzufühlen. Solange der Fokus auf Geld und wirtschaftliches Wachstum eingeengt bleibt, haben die wirtschaftlichen Interessen Vorrang vor gesunden Lebensbedingungen. Das stachelt die Emotionen weiter an.

Der Ausgleich von Emotionen und Fakten geht nicht allein über das Reden, sondern über die Akzeptanz der Emotionen, auf die dann mit konkreten Handlungsschritten reagiert wird. Akzeptanz heißt hier, dass in der Auseinandersetzung mit den Interessensgruppen die unterschiedlichen Emotionen nicht einfach abgetan werden, sondern, dass die Gesprächspartner auf der gleichen Ebene miteinander reden, in dem sie ihre Sorgen und Ängste auch benennen können. Auf diesem Hintergrund der Verständigung lassen sich dann auch Entscheidungen in den Blick nehmen, die von der linken Hirnhälfte strukturiert und überprüft werden.



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