Schwäbisch Gmünd, Foto: hinsehen.net E.B.

Einmal nichts tun müssen – Wünsche von Millennials

Ich habe eigentlich immer etwas zu tun. Meine To-Do-Listen hören nie auf, in der App, auf Zetteln und am schlimmsten: im Hinterkopf. Immer irgendetwas Unerledigtes. Wie soll ich da abschalten? Das habe ich verlernt: Runterfahren, mich entspannen, gar nichts tun. Ich kann es nicht.

Fühlt sich so für einen Millenial Erwachsensein an? Dass immer etwas zu tun ist, dass es nie Ruhe gibt – und dass das einfach nie aufhört?
E-Mails lesen. E-Mails wieder auf „ungelesen“ stellen. E-Mails irgendwann beantworten oder löschen. Facebook checken. Ein Foto auf Instagram hochladen. Bis ins Unendliche die Timeline durchscrollen. Meine Kontakte pflegen. Ich muss vernetzt bleiben. Einen Beitrag auf LinkedIn teilen. Meinem Bruder auf WhatsApp antworten.

Online ist die neue Gegenwart

Neulich hörte ich: Die Frage, wie viele Stunden junge Leute am Tag „online“ sind, lässt sich in Umfragen gar nicht mehr sinnvoll stellen. Die Frage ist unverständlich, denn wir sind immer online. Unser ganzes Leben spielt sich online ab. Und online gibt es keine Entspannung, kein Nichts-Tun. Das Internet schläft nie. Beim abendlichen Netflix-Schauen auf dem Sofa liegt mein iPhone neben mir; ich werde unruhig, wenn ich es nicht ab und zu entsperre und drauf schaue.

Ausruhen galt auch für Gott

In „Gott hat mir nie das Du angeboten“ vergleicht Sophia Fritz dieses Grundgefühl mit dem fehlenden Sonntag, dem siebten Tag der Schöpfung, an dem Gott geruht hat. Nachdem Gott alles erledigt hatte, sieht er sein Werk als „sehr gut“ an und ruht einen Tag lang. Das kann Sophia Fritz nicht und das kann ich auch nicht. Das Dauer-Online-Sein ist wohl nicht die alleinige Ursache, aber sie zeigt deutlich, wo das Problem liegt.
„Millennial Burnout“ nennt Rhiân, 28 Jahre, diese Unfähigkeit, abzuschalten, in einem Artikel bei der BBC, „How it feels to have ‚millenial burnout‘“; protokolliert von Radhika Sanghani. Selbst kleinste Aufgaben im Alltag fallen irgendwann schwer. Den Müll rausbringen, eine E-Mail beantworten.

Das Internet hat das Problem bereits erkannt

Es gibt eine Reihe Smartphone-Apps, die mich erinnern, das Smartphone wegzulegen oder mir beim Meditieren helfen wollen. Damit mache ich aber den Bock zum Gärtner. Dann bestimmt ja immer noch das Smartphone, was ich machen soll.
Überhaupt gar nichts zu tun, kann eine richtige Wohltat sein, für Körper und Seele. Das habe ich kürzlich in sogenannten „kontemplativen Exerzitien“ gemerkt, die speziell für junge Menschen gedacht waren. Es sind Wahrnehmungs-Übungen: Das, was jetzt gerade da ist, wahrzunehmen. Meinen Körper, meine Atmung und was sich in meinem Inneren bewegt. Nichts tun, nichts machen müssen, wahrnehmen, was ist – das sind existenzielle Dimensionen unseres Lebens, sagen die Begleiter. Im Alltag geht dieser wesentliche Aspekt des Menschseins meist unter. Ich bin nur im Entscheiden und Handeln. Ist ein To-Do-Listen-Punkt abgehakt, kommen zwei dazu. Und online ist 24/7 alles möglich.

Aufhören, an der Leistungsschraube zu drehen

Das Nichts-Tun in den geistlichen Übungen dient aber gerade nicht dazu, hinterher wieder leistungsfähiger zu sein. In den geistlichen Übungen darf ich es mir eine Weile wirklich gönnen, gar nichts zu tun: Das Smartphone mehrere Tage ausschalten, nicht arbeiten, nicht lesen, nicht sprechen, nichts „Produktives“ tun. Ich komme dadurch nicht automatisch zur Ruhe. Eher im Gegenteil.
In der Stille und mehreren halbstündigen Meditationszeiten pro Tag kommt meine ganze innere Unruhe hoch. Meine Gedanken rasen, alles lenkt mich ab, obwohl ich doch nur stillsitzen und mich auf meinen Körper, meine Atmung konzentrieren möchte. Mein Rücken tut weh, da muss ich endlich mal zum Orthopäden gehen, wenn ich wieder zuhause bin – ich komme wieder ins Planen. Der „Trick“ ist, sich aus diesen Zukunfts-Gedanken zurückzuholen in die Gegenwart. Und – vielleicht noch wichtiger – anzuerkennen: Es darf sein, dass ich abgelenkt bin, meine Unruhe hat hier Platz. Sie darf sein. Ich darf auch in Gedanken abschweifen. Alles, was ist, darf sein. Das gestehe ich mir im Alltag niemals zu. Ich bin am Schreibtisch müde und erschöpft – ich darf aber jetzt keine Pause machen.

 

Was folgt daraus, was könnten wir als Millennials gebrauchen?

Zeitmanagement / Burnout-Prophylaxe: Ich bräuchte Coaching, wie ich es schaffe, dass ich am Tag was tue, damit ich am Abend das Gefühl habe, das Wichtige erledigt zu haben und die kleinen notwendigen Dinge auch. Damit ich einigermaßen ruhig und zufrieden in den Abend und die Nacht gehen kann. Wie nutze ich meine Energien, folge meinem Biorhythmus so, dass ich morgens gut aufstehen und den Tag über zu den richtigen Zeiten das tue, was meinem Biorhythmus entspricht. Wie schaffe ich es, mich nicht dauernd total erschöpft und lethargisch zu fühlen.

Berufungs-Coaching: Ich bräuchte Instrumente und Begleitung, um zu priorisieren, mich zu fokussieren auf das Wichtige, das ich wirklich tun soll, eine Art „Berufung“ zu finden, innere Ziele meines Tuns, damit ich weiß, was das Wichtige für jeden Tag ist, wo ich den Hauptteil meiner Energie investiere. Wenn ich das mache, was ich soll, was sich wirklich richtig anfühlt, hoffe ich, dass mir das auch Energie zurückgibt, dass ich am Abend zufrieden sein kann. Die nur notwendigen Dinge rauben mir eher Energie. Zeitmanagement und Berufung hängen zusammen.

Gemeinschaftliche, soziale Angebote / Netzwerke: Durch das Digitale sind wir Millennials nicht selten kommunikativ und sozial verwahrlost. Ich habe das lähmende Gefühl, dass alles von mir alleine abhängt. Ich wünschte mir Austausch, Netzwerke und Anerkennung.

Bildung verändern: Keine langen Vorträge mehr. Kurzreferate. Von den Teilnehmenden ausgehen. Online schon vorher und hinterher Materialien, Beiträge und Videos zur Verfügung stellen

s. dazu das Kursangebot im Haus am Maiberg, Heppenheim 
zur Situation und dem Lebensgefühl der vor 1998 Geborenen



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