Fot: hinsehen.net J.M.

Ehrenamt Sterbebegleitung

Ich habe gerade meine Ausbildung zur Sterbebegleiterin abgeschlossen. Ich verstehe mich als Wegbegleiterin. Ich sehe es als ein sinnstiftendes Ehrenamt.

Sinnstiftendes Ehrenamt

Nachdem ich mich 15 Jahre lang ehrenamtlich in der Notfallseelsorge engagiert habe und seit einiger Zeit den Nachwuchs betreuen darf, habe ich auf die Seite der Sterbenden gewechselt. In der Notfallseelsorge geht es um die Betreuung von Menschen, die als Hinterbliebene von einem plötzlichen Todesfall betroffen sind. In dieser Aufgabe stehen wir den Lebenden bei, damit sie nicht mit einem Trauma zurückbleiben, sondern sich der Trauerarbeit widmen können.
Bei der Hospizarbeit geht es um die Begleitung von Sterbenden auf dem letzten Lebensweg. Als Wegbegleiterin ist es meine Aufgabe, ein selbstbestimmtes und würdiges Leben für die Menschen zu ermöglichen, die unsere Welt verlassen werden wie auch für die da zu sein, die diesen Weg als Angehörige mittragen müssen. Für die Einsätze in der Notfallseelsorge war ich nicht mehr genug belastbar. In meinem vorgerückten Alter gibt es eine Aufgabe, die ich gut leisten kann. Ich begleite jetzt die Menschen die sterben werden.

Pflegekräfte unterstützen

Wenn der körperliche Verfall beginnt, brauchen Sterbende erfahrene, emphatische Pflegekräfte, die Wunden verbinden, Schmerzen lindern, Spritzen geben, in der Hilflosigkeit der letzten Wochen alles denen zukommen lassen, was diese nicht mehr selbst erbringen können. Das ist einerseits die körperliche Seite, die von Pflegekräften für das körperliche Wohlbefinden erbracht wird. Die andere, die seelische Seite spielt auch eine große Rolle. Sie umfasst die Psyche, die Erfahrungen, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben wie dem kommenden Sterben. Das was psychisch passiert lässt sich nicht anfassen noch sehen, vielleicht ahnen. Die psychische Belastung ist jedoch real wenn das Sterben anklopft und sich in unser Bewusstsein drängt. Für Pflegekräfte bleibt oft nicht die Zeit, sich intensiver mit diesem Seelenleben zu beschäftigen. Deshalb können wir Pflegekräfte mit unserem Einsatz als WegbegleiterInnen unterstützen.

Einzigartigkeit der Person

Unsere Seele mit ihren vielen Erfahrungen hat uns erst zu der Person werden lassen, die wir heute sind. In ihr ist unser ganz eigener Seelenkern, unser Personenkern verborgen. Er steckt in jedem von uns mit seiner einzigartigen, unverwechselbaren DNA wie auch mit den vielen individuellen Erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens gemacht haben und bewältigen mussten. Wir sind so einmalig, dass es uns nicht noch einmal auf der Welt gibt. Diese Einmaligkeit macht jeden von uns zu einem Unikat.
Damit die leidende Seele, wie unsere empfindsame Psyche den körperlichen Verfall auf dem Weg zum Tode überhaupt ertragen kann, brauchen wir psychische Unterstützung, individuelle Zuwendung, Pflege und Begleitung.

Die Seele begleiten

Es geht bei unserer Wegbegleitung im Sterbeprozess darum, für den anderen da zu sein, es geht um meine innere Haltung gegenüber diesem einzigartigen Menschen. Ihn in seiner Individualität wahrzunehmen, zuzuhören, den holprigen, oft schmerzhaften Weg des körperlichen und oft auch geistigen Verfalls begehbar zu machen. Für den Schmerz, die Trauer, die Angst, die Not und die Wut da zu sein. Das ist die „Medizin“ der Hospizhelfer für den Sterbenden, einen Raum zu eröffnen, in dem die Person mit allen ihren Erfahrungen vorkommen darf und sich angenommen fühlen kann. Es geht darum, eine Atmosphäre zu ermöglichen, in der sich „Wohlbefinden“, trotz Verlust an Kräften, in der Seele einstellen, Ruhe und Frieden sich niederlassen und Zuversicht ausbreiten kann. Zuversicht und Hoffnung vielleicht sogar auf ein Leben ohne Zeit und Raum in einem ganz anderen Aggregatzustand. Ob das gelingt hängt von individuellen Voraussetzungen ab. Als Wegbegleiterin kann ich aber diese Ziele immer im Auge behalten.

Die Seele überlebt

Ich bin überzeugt, dass meine Seele nicht mit meinem Körper in der Erde verschwindet, wenn ich einmal sterbe. Sie wird überleben. Wie viel tausende Nahtoderfahrungen erzählen uns von einer Welt, die sich auf dem Weg in den Tod auftut. Eine Welt ohne Zeit und Raum, in der die Liebe als prägendes Gefühl beschrieben wird. Liebe, die wir im Leben hier so sehnsüchtig suchen und nur sehr selten finden. Wenn ich als Begleiterin Ruhe ausstrahle, zuhöre, mich für das interessiere, was Sterbende mir erzählen wollen, kann ich auf ihrem Weg in den Tod eine Hilfe sein.

Was hinterlassen wir?

Um gehen zu können, muss ich Ballast abwerfen. Ballast, der sich im Laufe des Lebens angesammelt hat. Es ist wie bei einem Umzug in eine neue Wohnung. Da mistet man auch vorher aus, bewahrt, was einem wichtig ist, verschenkt, was nicht mehr gebraucht wird. Beim Umzug geht es allerdings um Sachgegenstände, beim Sterben geht es um Empfindungen, Beziehungen, Belastungen, Konflikte, um Freude und Trauer, die ich nicht unversöhnt mitnehmen will.
Wenn wir gehen, gehen wir auch nie ganz. Wir nehmen uns mit, hinterlassen auch etwas. Nicht nur das, was wir geschaffen haben, was wir gebaut, geschrieben, vertont, gesagt, gesungen, genäht oder gekocht haben. Wir lassen Menschen zurück, die uns erlebt, mit denen wir gelebt, die wir geliebt, die uns geliebt, mit denen wir gestritten haben. Wir verlassen sie, wenn wir sterben. Sie vermissen uns. Dieser Abschied ist existentiell, nicht rückgängig zu machen. Er ist einmalig. Ist es da nicht heilsam, wenn wir die Zeit vorher noch nutzen Ordnung in die Beziehungen zu bringen, wenn wir es bis dahin noch nicht geschafft haben? Wenn wir ausmisten, uns von dem befreien, was wir nicht mehr brauchen, dann geht Sterben leichter. Wie gut kann es sein, auch noch einmal das aussprechen zu dürfen, was nie ins Wort gekommen ist, weil ich die Worte nicht gefunden habe oder niemand mir zuhören wollte. Den anderen noch etwas Gutes hinterlassen, damit sie mich auch in Ruhe gehen lassen können. Ein paar heilende Worte für die, die bleiben und die, die sterben.
Es kommt schon darauf an, wie wir die Welt verlassen, wie wir als WegbegleiterInnen diesen Prozess begleiten, wie wir Abschied für Sterbende ermöglichen. Das bestimmt auch im hohen Maße, wie die Zurückbleibenden das Weggehen verkraften. Da spielt es auch eine Rolle, ob sich die Sterbenden mit ihren Nächsten versöhnt haben, ob sie Frieden hinterlassen, um selbst in Frieden gehen können. Alles das kann in der letzten Phase des Lebens immer noch angegangen werden. Es ist nie zu spät. Als Wegbegleiterin kann ich besonders aufmerksam auf ungeklärte Lebenssituationen schauen, indem ich intensiv hinhöre. Es bedarf keiner Kommentierung, Bestätigung oder Diskussion von mir, allein mein Zuhören reicht, dass der andere sich durch Erzählen entlasten kann.

Brücken bauen

Als Wegbegleiterin kann ich aufmerksam dafür sein, ob noch Anliegen da sind. Ich kann einfühlsam mitbekommen, um was es ihm oder ihr geht. In der frühen Phase der Begleitung kann ich vielleicht noch vermitteln oder die Anliegen weiterleiten. Ich verstehe mich als Dienstleisterin für den Menschen, der dieses Leben aushauchen wird. Dienstleistung für die inneren seelischen Vorgänge, für das Wohlbefinden, die Atmosphäre, für Erinnerungen, die Ruhe und den Frieden.

Wegbegleiter mit Anker

Auch Wegbegleiter brauchen Unterstützung und immer wieder neue Kraft. Damit das in den Begleitungen gelingt hilft ein Anker, um sich daran festzumachen. Ich besinne mich auf meine Wurzeln, aus denen sich meine Seele speist, aus denen ich Ruhe schöpfe. Für mich ist es das Gebet, mit dem ich in eine Sphäre eintauchen kann, die mir Ruhe, Kraft und Geborgenheit gibt. Dort bin ich im Dialog, kann für alles bitten, beten und zurücklassen, was mir nicht gelingt. Die regelmäßigen Supervisionen des Hospizvereins zur Nacharbeitung nach den Einsätzen wie die Fortbildungen, die mich immer wieder auf den neuesten Stand bringen werden, werden mich darin unterstützen, dass mein eigenes Seelenhaus bewohnbar bleibt.

In Deutschland können wir dankbar sein, dass sich Hospize seit 1986 entwickelt haben. Sie ermöglichen, dass schwer kranke Menschen würdevoll sterben können. Den Anstoß für die deutsche Hospizbewegung gab neben Cicely Saunders' Hospizgründung in England auch Elisabeth Kübler-Ross. 


Kategorie: Entdecken

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