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Das Mehr - jede Religion sucht einen Zugang

Ich greife den Gedanken des „Mehr“ auf, wenngleich ich dieses „Mehr“ nicht erfassen, noch in seiner Größe ermessen kann, so bietet es sich doch in den verschiedenen Religionen mit ihren unterschiedlichen Zugängen als Orientierungshilfe an, denn sie sind alle auf das „Mehr“ ausgerichtet.

Die Grundsehnsucht „sucht“

Das „Mehr“, zeigt sich in mir und anderen Menschen als eine Grundsehnsucht, das Leben in seiner Weite und Tiefe in etwas Größerem zu verankern und sich darin geborgen zu wissen. In Etwas, das eine andere Sicherheit als die der Welt, eine letztgültige, verlässliche Gerechtigkeit und Liebe verspricht. In dieser Grundsehnsucht liegt auch die Energie, mit der wir unser Leben oft anpacken. Ich möchte mit anderen etwas gestalten, dem inneren Frieden folgen, mich in sozialen Gefügen beheimaten, als Person Akzeptanz erleben, Liebe erfahren und vielleicht sogar manchmal etwas „Glück“ spüren, mich einfach in dieser Welt aufgehoben fühlen. Auch geht es darum, mit den aggressiven, schmerzhaften, manchmal sogar destruktiven Anteilen in der eigenen Person und auch mit Ablehnung von anderen zurechtzukommen, sich innerlich selbst mit dem zu akzeptieren, was ich in diese Welt mitbringe. Mein Leben soll Sinn machen. Wenn ich mich auf das Abenteuer, meine Lebenssehnsüchte zu verwirklichen, einlasse, werde ich mit den tieferen Schichten in meiner Seele konfrontiert. Dann kostet das manchmal Mut, auf jeden Fall Ausdauer und Kraft, und braucht immer mal wieder Anstoß und Unterstützung, wenn es mal nicht so glatt läuft.

Mitmenschen, die unterstützen

Unterstützung kann ich bei denen finden, die mit mir das Dasein in den verschiedenen Lebens-und Arbeits-Kontexten teilen. Sie sind meine wichtigen Partner*innen, mit denen ich mein Verhalten reflektieren, meine Entscheidungen überprüfen, Neues wagen kann, damit ich an den kritischen Wegkreuzungen, die immer mal wieder auftauchen, den Pfad meiner Weiterentwicklung nicht verpasse. Diese Menschen sind unentbehrlich für mich, denn ohne ihre Mitwirkung bleibt meine Entwicklung auf der Strecke. Und dennoch spüre ich, über den gegenseitigen guten Willen der Unterstützung hinaus, die Notwendigkeit einer Instanz, die unser menschliches Vermögen übersteigt, die mehr ist als das, was ich und andere Menschen leisten können.
Denn das Leben spielt mir immer wieder Erfahrungen ein, in denen ich erlebe, dass ich dem eigenen Anspruch oder dem der anderen nicht gerecht werde, dass sich meine Vorstellungen und Sehnsüchte nur begrenzt erfüllen, dass diejenigen, auf die ich mich verlassen habe, gerade nicht da sind, wenn es Not tut. Es gibt berufliche Tiefschläge, die mich an den Rand der Existenz bringen können, Krankheit, die mich ausbremst, Misserfolge, die sich auf meine Seele als Last legen, Ausgrenzungen durch andere, die in die Einsamkeit führen. Diese Erfahrungen sind ohne den „Großen Horizont“ der Sehnsucht nach dem „Mehr“ schwer auszuhalten. Plötzlich kann mein Leben auf der Kippe stehen. Wer kann mich dann wirklich auffangen? Wem kann ich das auch überhaupt zumuten?

Hoffnungsanker

Die Unterstützung und Solidarität durch Menschen, die mir nahestehen, derjenigen die mich lieben und die aus dem System, in dem ich lebe, lindert in schweren Stunden ein wenig den Schmerz. Ich erlebe sie wie ein wohltuendes Pflaster, das die Erstversorgung sichert. Aber ganz tief in meiner Seele fühle ich mich dennoch wie verloren, wenn es nicht noch etwas gibt, in dem ich mich so ganz aufgehoben fühlen kann. Es ist dieses Mehr, das mich auch durch Krisen trägt, mich uneingeschränkt liebt, mich in dieser Welt hält, mich hoffen und vertrauen lässt, weil es für letztgültige Gerechtigkeit steht. Erst mit diesem Hoffnungsanker halte ich durch, widerstehe ich der Versuchung aufzugeben, mich gehen zu lassen, bleibe ich dran.

In der Haltung von Dietrich Bonhoeffer, der im KZ 1944 kurz vor seiner Hinrichtung das Lied schrieb: „von guten Mächten wunderbar geborgen“ wird für mich seine tiefe Zuneigung zu dem letztgültigen “großen Mehr“ deutlich. Als evangelischer Theologe war dieses „Mehr“ für ihn der christliche Gott, der ihm in dieser Gefangenschaft soviel Zuversicht ermöglichte.  

Steindl-Rast eröffnet in seinem Buch „Orientierung finden“ eine weite Palette, um sich in diesem großen „Mehr“, dem „großen Selbst“, dem „großen Du“, in „Gott“ zu spüren. Vertrauen zu entwickeln, auch weil spirituelle Erfahrungen ernst genommen werden. Denn es geht nicht nur um Wissen, sondern um erfahrenes Leben, wenn ich mit den tiefer liegenden Fragen meines Daseins konfrontiert werde. Eine große „Leichtigkeit“ und „Freiheit“ schwebt über seinen Texten. Nicht nur weil er viele Sichtweisen einbezieht oder aus Gedichten von Rilke, Eichendorff und Texten von Einstein, Heidegger und anderen zitiert, sondern auch weil seine eigene Sprache sowohl Tiefe als auch Weite auslotet. Wohltuend sind seine weltumfassenden Gedanken. Sein eigener religiöser Zugang ist nicht eng, nicht ausgrenzend, sondern integrierend und weit. Ich kann mich beim Lesen mit allem verbunden fühlen, muss nicht mit dem, was mir fremd ist, rivalisieren. Da haben viele Weltanschauungen Platz, um etwas für sich zu entdecken. Auch Christen können von anderen Religionen dazu lernen. Wichtige Aspekte sind Gerechtigkeit, Liebe, Dankbarkeit und die Verwirklichung der eigenen Berufung, die wenn sie sich in unserer Seele einnisten, nicht nur das eigene Leben zufriedener machen sondern, auch auf andere ausstrahlen.


Kategorie: Entdecken

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