Der Regenbogen ist für die ganze Menschheit Zeichen, mit einem Höheren verbunden zu sein; Foto: hinsehen.net E.B.

Das große Selbst und das Du

Das Ich bin ich nach außen, das Selbst bin ich von innen her. Es steckt in meinem Wesen. Wenn ich mit meinem Selbst auf andere zugehe, können sie sich mit ihrem Selbst auch zeigen. Dann finden wir uns in einem gemeinsamen Raum. Es ist der Raum der Verbindung schafft, in dem ich erst mein Ich und mein Selbst entwickeln kann.

Im Selbst geht es um Liebe

Dieses Gefühl von Nähe, Wahrheit, Liebe, spüren wir in tiefen Freundschaften, in gelungenen Partnerschaften, mit Menschen, die sich trauen mit ihrem Selbst in der Welt zu stehen. Von ihnen geht eine Kraft und Vertrauen aus, die mich ermutigen, auch mich mit meinem Selbst zu zeigen. Sie eröffnen mir einen Raum, in dem ich die Einzigartigkeit meiner Person spüren kann. Es ist ein Raum des Friedens, in dem es um gegenseitiges Verstehen und Achtung geht. Diese Situationen erlebe ich nicht so häufig.

Das Ich beansprucht Raum für sich

In vielen Begegnungen geht es weniger darum, sich in diesem Selbst gegenseitig zu ermutigen, sondern eher um den Ich-Raum, in dem sich der Einzelne darstellen muss. Was wäre das für ein harmonisches Beisammensein, wenn es uns gelänge, unser Selbst offener zu leben, denn mein Selbst ist nur ein Ausdruck des einen Großen Selbst. Das ermöglicht uns ein Du, das diesen großen Raum erfüllt in dem wir uns begegnen. Der Raum ist unermesslich, nicht nur das ganze Weltall, sondern auch alle Gefühle und Gedanken von Milliarden Menschen haben darin Platz. Dieser Raum kann uns dunkel erscheinen, als stürzten wir in einen Abgrund. Wenn wir uns in den Raum trauen, indem wir unser Selbst öffnen, spüren wir, dass er belebt ist. David Steindl- Rast beschreibt dieses große Selbst in seinem Buch „Orientierung finden“ als das Große, das alle kleinen Selbst untereinander und mit sich verbindet. Jedes Selbst hat damit Anteil an der Liebe des großen Selbst. Der Raum ist nicht leer, sondern von einem großen Du belebt, das in die Entfaltung und in ein tieferes Verständnis für andere Menschen führt. Im Christentum, so Steindl-Rast, wird das große Du „Christus in uns“ genannt, im Buddhismus die „Buddha-Natur“, in Arizona für die Pima „ I’itoi“, für die Hindus „Atman“.

Die Tür zum Du

Jeder kennt diesen Raum in der eigenen Seele, vermutlich in ganz unterschiedlicher Weise. Er kann bedrohlich sein, denn ich kann ihn nicht einfach steuern. Ich habe ihn nicht in der Hand. Manche empfinden ihn vielleicht als leer und können wenig damit anfangen oder fürchten sich davor, in ihn einzutreten, weil sie einfach nicht wissen, auf was sie sich da einlassen. Manch einem fehlt die Orientierung wie er an den Schlüssel zu dieser Türe kommt. Vielleicht gibt es auch die Phantasie, dieser Raum könne die „Hölle“ sein. Angst vor seelischer Verletzung oder Scham vor der eigenen Nichtigkeit ist häufig ein Grund, diesen Raum nicht zu öffnen. Für mich bedeutet der Raum Nähe zu dem Absoluten, der mein Leben will. Ich kann die Akzeptanz und Liebe spüren. Ähnlich wie ich das in Begegnungen erfahren kann, in denen ich uneingeschränkt gewollt bin. Da kommt mir das Selbst im Gegenüber als Du entgegen.

Mein Gegenüber das Du

Dieses Ich-Selbst-Wert-Gefühl ist in mir und uns allen bereits als Kind tief in unserer Seele angelegt. Ich werde geboren, es gibt mich als Geschenk für die Welt, in der ich meine Lebensaufgabe erfüllen darf. Damit ich mich entwickeln kann, brauche ich ein Gegenüber. Meine Eltern sind die Ersten, die mich darin unterstützen, „Ich zu werden“, die mir durch ihre Zuwendung ihre Beziehung zu mir ausdrücken. Mit ihrem Selbst drücken sie die Liebe für mich als Kind aus. Gleichzeitig wächst in mir auch in kleinen Schritten mein eigenes Selbst, denn mit jedem neuen Tag lerne ich dazu. Das Du als Gegenüber, das mich spiegelt, korrigiert, mir hilft, mein Ich zu entwickeln, nimmt auch Einfluss auf die Entwicklung meines Selbst. Ich kann entdecken, was wichtig, ehrlich, liebevoll ist. Mit den Erwachsenen und Spielkameraden, später Mitschülern und Arbeitskolleg*innen, mit Freunden und Freundinnen wachse ich immer mehr in die verschiedenen Beziehungen hinein. Die verschiedenartigen Qualitäten in den Beziehungen bereichern meine Entwicklung, sie öffnen mich für die Vielfalt. Es gibt ständig neue, einzigartige Du’s, mit denen ich in Verbindung treten kann. Ich lerne zu unterscheiden, welche Begegnungen mir gut tun und welche nicht. Jede dieser Verbindungen ermöglicht mir einen Schritt weiter zu meinem Selbst. Es ist nie abgeschlossen, es ist auch nicht immer alles positiv, denn ich lerne am meisten aus Misserfolgen wenn ich sie reflektiere. Ich lerne mich abzugrenzen oder mich noch mehr einzulassen. Alle diese Ereignisse lassen mich immer mehr Ich-Selbst werden. Wenn mir diese einzigartigen Du’s mit ihren unterschiedlichen Begabungen mit ihrem Selbst begegnen, machen sie mich aufmerksam darauf, dass es ein großes Du geben muss, das diese kleinen Du’s umfasst. Steindl-Rast sagt:

     Die Leidenschaft für ein menschliches Du erweist ihre Echtheit und Tiefe dadurch,
     dass sie zugleich – nicht zusätzlich - auf das große Du gerichtet ist. 

Das große Du

Dieses große Du nennt er auch das Ur-Du, das wir schon als Kinder in uns spüren. Es ist das Du, auf das ich tief in meinem Inneren treffe und mit dem wir in Beziehung stehen, auch wenn es uns nicht immer präsent ist. Er nennt es das „Herz des Geheimnisses“. Es ist das Du, mit dem ich in Kontakt trete, wenn ich vor wichtigen Entscheidungen stehe, wenn ich Kummer habe, wenn ich gerade niemandem meine Sorgen anvertrauen will. Ich bin auch in Verbindung damit, wenn ich aus vollem Herzen für mein Leben danke. Diesem großen Du in mir kann ich meine Schwachstellen offenbaren und ihm ehrlich gegenübertreten, ich kann mich ihm ganz öffnen, muss nichts verschweigen. Es ist für mich ein Beziehungsraum mit absolutem Schutz, der mir hilft meine Gefühle und Gedanken zu klären. Ich kann mich angenommen fühlen mit meinen Stärken und Schwächen. Da ist jemand, der mein Leben will. Meist komme ich aus diesen Begegnungen gestärkt und ausgeglichener heraus. Wenn dieses Ur-Du in mir ein Du von uns allen ist, kann sich die Kraft aus der Beziehung mit dem großen Du auch mit der Energie in den intensiven kleinen Du Beziehungen verbinden.  

Link: Mein Ich und mein Selbst


Kategorie: Verstehen

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang