Kathedrale von Amiens, Foto: hinsehen.net E.B.

Das flüchtige Nu des Lebens

Schon die ersten Seiten seiner Textsammlung haben mich staunen lassen und mein Interesse geweckt. Bereits 1966 beschreibt Gottfried Bachl sehr kritisch das innerkirchliche Selbstverständnis. Es sind die Gründe für die Situation, die wir heute als Gläubige in unserer Kirche kaum noch aushalten.

Mit seinen Texten hat er mich sehr nachdenklich gemacht, vor allem zu dem Gottesbild, das die Verkündigungssprache vermittelt.

Das Unbedingte

Gottfried Bachl hat mit seiner kritischen Beleuchtung der klerikalen Sprache, die für ein, in meinen Augen, ziemlich abhängiges Gottes- und Kirchenverständnis verantwortlich ist, erreicht, dass ich mich mit meinem Gottesbild wieder intensiver beschäftige. Für mich als gläubige Christin ist Gott das „Unbedingte“ mit einer uns übersteigenden Intelligenz, das mein und unser Leben will. Dieses „Unbedingte“ ist aber kein overprotected Schutzschirm, der mir alles vor den Füssen wegräumt und mich in Watte packt, wenn ich gehorsam bin, sondern mir die Freiheit und Verantwortung für die Gestaltung meines Lebens zutraut und überlässt. Damit sind natürlich auch verbunden alle Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Das heißt für mich aber nicht, dass er fern ist, denn mich begleitet sein Geist, mit dem ich Gutes, Hilfreiches und Ungutes, Schlechtes erkennen und unterscheiden kann. Er unterstützt mich, tragfähige Entscheidungen zu treffen. Und dann gibt es da ja auch noch Jesus, der mir mit seinem konkreten Handeln Anregungen gibt, wie ich mich verhalten kann und was es zu tun gilt. Zu Christus entsteht dann in der Eucharistie eine neue Beziehung zwischen uns. Das hat mir die Aussage des Autors nochmal deutlich gemacht. So erläutert er z.B. die Eucharistie: „als stärkstes Zeichen des Füreinanderseins, das für die Fruchtbarkeit steht, in der die Tischgenossen einander nahrhaft sind, wie Brot und Wein nahrhaft sind, indem sie sich selbst geben und einsetzen für den anderen. Die Momente des Ineinander und Füreinander setzen ein besonderes Interesse an der Gegenwart des Christus voraus.

Er weitet mit seinem kritischen Blick und einer für unsere Zeit angemessenen Sprache meinen Horizont.

Mit den Kompetenzen die Entwicklung unterstützen

Für Gottfried Bachl geht es auch um Entwicklung. Entwicklung im Spirituellen, wie in den menschlichen Kompetenzen. Bei kritischen Themen wie Frauenpriestertum blickt er auch in die weitere Zukunft und sieht da größere Veränderungen auf die Kirche zukommen.
Mit seinen Gedanken weitet er auch mein eigenes Denken. So dass auch ich mir darüber klarwerden kann, wie ich Entwicklung sehe. Entwicklung entsteht nach meiner Auffassung da, wo ich meine Kompetenzen und Begabungen entfalten und in die Gestaltung der Gemeinschaft aktiv einbringen kann. Es geht um die Verwirklichung des „Guten“ in dieser Welt. Da jeder etwas Einzigartiges mitbringt, entsteht eine Vielfalt, mit der wir auch unsere jeweilige Kultur gestalten.
Ich kann meine Kompetenzen und Begabungen nutzen, um mit ihnen Gutes zu tun oder andere zum Guten hin zu unterstützen. Viele tun das bereits in ihren Arbeitsfeldern, wenn sie ihre Begabungen und Talente einem Unternehmen zur Verfügung stellen, das auf nachhaltige Ziele ausgerichtet ist. Oder in ihren Ehrenämtern, wo sie sich für die Armen, Kranken und Schwachen, für Soziales einsetzen. Meist bringen wir dieses Engagement aber nicht in Verbindung mit dem Lebensauftrag, den Gott dem Einzelnen eröffnet. Immerhin aber vermittelt das Verwirklichen der eigenen Kompetenzen, welches aus der freien Entscheidung kommt, so etwas wie Zufriedenheit. Wenn ich dann im Alter auf mein Leben zurückblicken kann, ist das wie ein kleines Glück, ein Geschenk. Dafür bin ich dankbar.
Wem bin ich eigentlich dankbar? Dem Zufall, dem Schicksal, den Sternen, dem Kosmos, mir selber oder gibt es für mich ein Gegenüber, Gott, dessen Geist mir nahe ist? Es gibt auch Menschen, denen ich viel zu verdanken habe, so u.a. auch diesem Autor Gottfried Bachl, der mich mit seinen Fragen, seiner Kritik und seiner Zukunftssicht weiterbringt.

Gottesbilder entwickeln sich mit dem Erwachsenwerden

Was hat mir das Buch von Gottfried Bachl für die Entwicklung meines Gottesbildes gegeben?
In dem Lesebuch „Das flüchtige Nu des Lebens“ sind einzelne Texte aus seinen Veröffentlichungen zusammengestellt. In ihnen nimmt der Autor oft kritisch Stellung zu kircheninternem Verhalten, wirft viele Fragen auf, beschäftigt sich mit heiklen Themen wie Priestertum der Frau oder Klerikalismus: Sein spitzer Humor zeigt sich in diesem Satz „Die Ratschläge, die er selbst nicht befolgen muss, gibt er am liebsten“.
Er nimmt das Leben Jesu unter die Lupe, beschreibt die verschiedenen Rollen von Maria und ihrem gesellschaftlichen Einfluss. Er weckt in mir eher Fragen als dass er fertige Antworten liefert, lässt Freiheit und Raum für eigene Interpretationen. Ein guter aber auch kritischer Beobachter mit einer erwachsenen Spiritualität, die mir guttut.
Es geht ihm vor allem um konkretes Handeln als Christ, wenn er z. B. Erzählung vom Barmherzigen Samariter auslegt:
„Für Jesus, den Erzähler dieser Geschichte, wiegt in diesem Augenblick nur das Handeln an der Not, so entsteht rettende Nähe, ist der Mensch dem Menschen ein Mensch. Nichts bedeuten die kultische Andacht, die religiöse Geschäftigkeit, die künstlerische Inspiration und das Interesse an der Unterhaltung“.

Ich werde auf Fragen gestoßen wie:

  • welche Beziehung habe ich zu Gott, wie sieht sie aus?
  • Welche Rolle spielt Jesus in meinem Leben?
  • Wie gehen wir um mit Schuld, Reue, Tod und Vergebung?

Es gelingt ihm mit einer zeitgemäßen, klaren, oft auch scharfen Sprache zu einfache Gottesvorstellungen aufzubrechen. Allerdings ist seine ästhetische, poetische Wortwahl auch manchmal gewöhnungsbedürftig, weil nicht immer gleich auf den ersten Blick verständlich.

Das spricht nicht gegen ihn. Im Gegenteil, es macht Lust zu lesen, auch wenn er einen hohen Anspruch an seine LeserInnen stellt. Mich haben seine Ausführungen fasziniert, weil er „kein Blatt vor den Mund“ nimmt. Seine offene, erwachsene Spiritualität übt eine große Faszination auf mich aus.

 

Gottfried Bachl (1932-2020) hat an der Gregoriana in Rom Philosophie und Theologie studiert. War viele Jahre Professor für Dogmatische Theologie an der Universität Salzburg. Die Textsammlung:
Das flüchtige Nu des Lebens, Tyrolia Verlag Innsbruck, 2024

 

 


Kategorie: Gelesen

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