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Beziehung wird durch Entwicklung frei

Unser Leben ist nicht nur auf die körperliche Entwicklung, sondern vor allem auf Personwerdung angelegt. Ich soll das ausbilden, was in mir steckt, damit ich die Herausforderungen meistern und die Welt durch meine Begabungen mitgestalten kann. Das wurzelt in meiner Freiheit, die in Beziehungen anderer Freiheit begegnet. Wie geht das?

Freiheit stellt sich nicht einfach so ein

Der Wunsch, sich in Freundschaften wie in der Partnerschaft frei zu fühlen, ist in jedem von uns tief verwurzelt. Gerade in Beziehungen wollen wir unsere Freiheit verwirklichen. Freiheit stellt sich aber nicht einfach dann ein, wenn ich tun und lassen kann, was ich will. Ich kann sie erst spüren, wenn ich aktiv werde, wenn ich eine Entscheidung umsetze. Ich muss mein Eigenes entwickeln und in die Tat bringen, erst dann stellt sich ein Freiheitserleben ein. Das ist mit dem Gefühl verbunden, auf eigenen Füßen zu stehen. Dieses Gefühl ist fast immer mit Zufriedenheit verbunden. Jeder kann seine eigene Freiheit verfolgen, wenn er/sie den Blick auf das lenkt, was das Eigene in der Person ist. Was die eigenen Begabungen sind, welche Sehnsüchte mich im Leben antreiben, was ich noch mehr von dem, was in mir steckt, verwirklichen kann. An meiner Zufriedenheit kann ich ablesen, ob ich mein Eigenes verfolge. Denn laufe ich unzufrieden durch den Tag, weiß ich nicht so recht, was ich mit mir anfangen soll, dann hänge ich meine Unzufriedenheit an andere Leute, rede über das, was andere machen und betreibe ständig Klatsch. Das Eigene bleibt liegen und das, was ich über andere rede, bringt diese nicht weiter und vergeude selbst wertvolle Zeit für mein Eigenes. Vernachlässige ich das, was ich in mir entwickeln und verändern kann, betreibe ich weder meine Entwicklung, noch meine Freiheit und lande in der Unzufriedenheit. Im Kern meiner Person sitzt meine Freiheit nicht außerhalb. Ich muss daher das Eigene entwickeln und umsetzen, um Person zu werden. Dafür brauche ich in mir die Entscheidung für meine Personwerdung.

Meine Freiheit macht andere frei

Wenn ich mich für meine Entwicklung und damit für meine Freiheit entscheide, klingt das erst einmal ziemlich egoistisch, als würde ich nur auf mich schauen, mein Eigenes ohne Rücksicht auf andere betreiben. Aber es ist ganz anders, denn nur, wenn ich meine Freiheit verfolge, können auch die anderen, mit denen ich durch mein Beziehungsnetz verbunden bin, ihre Freiheit ausbilden, also ihr Eigenes entwickeln. Betreibe ich meine Entwicklung, profitieren andere davon, weil sie atmen können und den Freiraum spüren, um ihr Eigenes auch zu betreiben. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Wenn ich meine Entwicklung verfolge, delegiere ich nicht meine Zufriedenheit an die Menschen um mich herum. Am Beispiel der Beziehung zu meinen Kindern kann ich das verdeutlichen. Ich erlebe als Witwe, wie wichtig es ist, dass ich mein Leben nach dem Tod meines Ehegatten aktiv gestalte. Das war nicht einfach, denn mir war klar, dass ich die Verantwortung für meine Zufriedenheit mit dem Alleinsein nicht an meine schon fast erwachsenen Kinder delegieren durfte. Ich musste die Herausforderungen, die das Leben mir neu stellte, annehmen. Schritt für Schritt habe ich meine Selbstständigkeit als Trainerin und Coach aufgebaut. Das gibt mir Freiheit wie auch meinen Kindern, die frei waren, ihr Eigenes zu entwickeln. Ich ziehe nicht unnötige Energien von ihnen ab, die sie für die Bewältigung ihres eigenen Lebens benötigen. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine Fürsorge füreinander hätten, sondern eher umgekehrt. Ich spüre große, verlässliche Nähe mit ihnen, die mir die Sicherheit gibt, dass sie da sind, wenn ich sie brauche, aber auch umgekehrt.

Es geht um die Motivation

Wie geht das in anderen Beziehungen. Wie z. B. in Arbeitsteams, in Freundschaften, in Ehen?
Unabhängig davon, in welchen Gruppe, in welchen Freundschaften oder Beziehungen wir uns bewegen, wir spüren ganz schnell, wieviel Freiheit uns zugestanden wird, aber auch welche Einschränkungen wir in Kauf nehmen müssen. Das kann auf die Stimmung schlagen, wenn die Begrenzungen nicht einsichtig, nicht logisch, wenn sie willkürlich getroffen wurden. Für die Führung von Mitarbeitenden in einem Unternehmen bedeutet das, dass es einsehbare Verbindlichkeiten und einen Rahmen für jeden Arbeitsplatz braucht, in dem sich der Mitarbeiter dann frei entfalten kann. Ist das Aufgabengebiet klar umschrieben, kann der Mitarbeiter dieses Arbeitsfeld mit seinen Fähigkeiten und seiner Kompetenz eigenständig ausfüllen. Das schafft Erfolgserlebnisse und sichert die Motivation für das Aufgabengebiet. Sitzt er an dem Arbeitsplatz, an dem seine Begabungen und Talente gebraucht werden, ist er für die Zukunft des Unternehmens ein unschätzbarer Gewinn. Führung heißt deshalb auch, dass ich bei der Auswahl der Mitarbeiter*innen die herausfinde, die für den jeweiligen Arbeitsplatz geeignet sind. Dann kann ich ihnen freie Hand in der Gestaltung lassen. Ich muss wenig bis keine Vorgaben oder Anordnungen aussprechen, denn meine Mitarbeiter*nnen setzen sich für die Lösung der Aufgaben an ihrem Arbeitsplatz vielleicht sogar kompetenter und effektiver ein als ich es könnte.

Fehler gehören zum Lernen

Ich muss auch Fehler machen dürfen, die nicht gleich zur Kündigung führen. Fehler sind dazu da, um zu lernen. Lernen kann ich aber nur, wenn ich mein Handeln reflektiere und neue überprüfbare Möglichkeiten entwickele. Dafür braucht es Reflexionsgespräche, in denen die Fehler möglichst wohlwollend analysiert werden. Stelle ich als Leitung bei der Reflexion mit meinem Mitarbeiter fest, dass er einer Aufgabe nicht gewachsen ist, habe ich die Pflicht, ihn in seiner Entwicklung durch Weiterbildung zu unterstützen. Das ist im Endeffekt sogar meist effektiver, als wenn ich ihn kündige, um dann mit den Fehlern des neuen Mitarbeiters wieder konfrontiert zu werden. Denn Fehler machen wir alle. Mit einer weiteren Qualifikation des Mitarbeiters ermögliche ich ihm auch weitere Freiheitserfahrungen.

Freiheit und Entwicklung in der Partnerschaft

Ist in einer Ehe die persönliche Entwicklung für jeden überhaupt möglich, oder muss sich nicht einer anpassen, damit die Beziehung funktioniert?
Aus Erzählungen weiß ich, dass viele Frauen früher ihre eigene Entwicklung hintangestellt haben, um immer für Mann und Kinder da zu sein. Noch in den siebziger Jahren, als ich berufstätig wurde, waren Frauen darauf angewiesen, dass ihre Männer „Ja“ zu einer Berufstätigkeit der Frau sagten. Auch waren damals Lehrerinnen und Krankenschwestern häufig noch ledig, weil sich ihre persönliche Entwicklung nicht mit dem Anspruch an eine Mutter und Ehefrau vertrug.
Diejenigen, die sich ganz der Familie verschrieben haben, konnten in der Familienphase meist nichts Eigenes aufbauten. Sie tun sich nach dem Auszug der erwachsenen Kinder auch heute oft noch schwer. Manche spüren eine nagende Unzufriedenheit, nicht selbst etwas für sich entwickelt zu haben. Diese Unzufriedenheit entlädt sich dann leicht in Vorwürfen an den Partner. „Ich konnte ja nicht, weil......; ich hätte dann das gemacht, wenn....“ Das mag einerseits daran liegen, dass die persönliche Entwicklung der Frauen in den damaligen normativen Strukturen nicht gewollt war, aber auch, dass sie die Möglichkeiten, die sie selbst gehabt hätten, nicht wahrgenommen haben. Es gibt so etwas wie Bedauern, den eigenen Platz in der Beziehung nicht mit etwas Eigenem besetzt zu haben. Damit kann ich mich ganz schnell ausgeliefert fühlen und Neid entwickeln. Manchmal kommt dann auch der kleine „Teufel“ an die Oberfläche, mit dem ich den anderen ausbremse, weil seine vielfältigen Möglichkeiten nicht zum Aushalten sind.

Auf die Gefühle achten

Damit ich in einer Freundschaft oder Partnerschaft die Möglichkeiten meiner persönlichen Entfaltung nicht liegen lasse, mich vielleicht zu schnell anpasse, weil es auch manchmal einfacher ist, oder mich sogar ausbremsen lasse, brauche ich Achtsamkeit für meine innere Gefühlsbewegung. Das muss ich manchmal erst trainieren, weil wir als Kinder weder in den Familien noch in der Schule und auch nicht im Arbeitsleben lernen, auf die eigenen Gefühle zu achten und ihnen den Stellenwert einräumen, der ihnen zusteht. Denn sie signalisieren mir sehr früh, ob ich mich wohl fühle, ob der andere zu viel Energien von mir verbraucht, ob ich geachtet oder ob ich gerade unzufrieden mit mir selbst oder der Welt bin. Auf meine Gefühle kann ich mich meist gut verlassen. Deshalb ist es hilfreich, wenn ich sie frühzeitig ins Gespräch bringe. Je früher ich meine Gefühle in Worte fassen kann, desto freier kann ich in meiner Innenwelt werden, denn die Gefühle besetzen auch mein Innenleben und können mich wie in einem Gefängnis in Schach halten. Erst wenn ich ihnen die Möglichkeit gebe, sich zu artikulieren, entspannt sich auch meine Seele. Es ist meine Entscheidung, ob ich über das, was mich innen bewegt, sprechen will. Aber jede Aktivität, die aus meiner eigenen Entscheidung getroffen wird, macht mich frei und gibt mir so das Gefühl von Eigenstand. Diese Freiheit, die ich für mich entwickle, macht auch mein Umfeld frei. Meine Entwicklung betreibe ich zwar erst einmal für meine Zufriedenheit und meine Freiheit, aber letztendlich ermögliche ich durch meine Freiheit auch die Freiheit der anderen.

Interesse für die Entwicklung des anderen

Wenn meine Freiheit auf die Freiheit des anderen stößt, kann es aber auch zu Kollisionen kommen. Deshalb braucht es Gespräche über das, was jeden innen bewegt, was er, was sie vorhat, welche Ziele im Blick sind. Da müssen auch schon mal Kompromisse geschlossen werden, die aber nicht notwendigerweise auf Kosten der Freiheit des Einzelnen gehen müssen. Denn wenn der andere sich entwickeln kann, wird auch mein Freiheitsraum größer. Die Lebendigkeit und damit auch die Faszination in einer Partnerschaft wie in einer Freundschaft hängen maßgeblich davon ab, ob mein Interesse am anderen soweit geht, dass ich ihn auch aktiv in seiner Entwicklung und damit in seiner Freiheit unterstützen will.


Kategorie: Verstehen

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