Alter sollte mehr beinhalten Foto: hinsehen.net E.B.

Berufung im Alter

Die Kinder aus dem Haus, wir aus dem Beruf verabschiedet. Das stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir haben die Verantwortung verloren, in die wir ein Leben lang investiert haben. Sie hat uns Anerkennung, Sinn und Lebensberechtigung gesichert. Was trägt uns jetzt im Rentenalter?

Wenn unsere berufliche Karriere beendet ist, stehen wir vor einem neuen Lebensabschnitt. Wir werden in einen oft noch leeren, ausbaufähigen Raum geworfen. Wir merken dann erst, wie viel Kraft, Energie und Zeit uns der Beruf abgefordert hat. Wir spüren aber auch, dass es strukturierte Tage waren. Wir waren gefordert, wir wurden gebraucht. Wenn wir die Chance hatten, in unserem Beruf auch unsere Berufung einzubringen, unsere Gaben und Talente zu verwirklichen und weiter zu entwickeln, dann erleben wir den Umstieg in das Rentenalter als einen drastischen Einschnitt, der auch den Sinn unseres Daseins infrage stellen kann.

Die Kinder haben ein eigenes Leben

Die Kinder sind meist schon länger aus dem Haus. Sie wollen und sollen die Verantwortung für ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Für uns heißt das, loszulassen. Wir müssen sie innerlich für ihr eigenes Leben frei geben. Das ist nicht leicht, denn in uns bleibt eine erste Leere zurück. Es ist oft ein emotionaler Verlust. Da fehlt etwas um uns herum. Auch brauchen wir das Vertrauen, dass sie ihr Leben schon meistern werden. Es soll ja gelingen. Unser Älterwerden zwingt uns dazu, über unsere Lebenszeit im Alter nachzudenken. Denn die Phase, in der die Kinder auf eigene Füße kommen, erleben wir zwar erst einmal als Verlust, spüren aber auch eine neue Freiheit. Wir können die Energie, die wir bisher für sie aufgewendet haben, in neue Möglichkeiten für uns selbst investieren.

Großeltern - nicht Elternersatz

Die Kinder haben ihr eigenes Leben. Vielleicht gibt es Enkelkinder, die ein wenig unsere Lücke füllen können. Wir können unsere Kinder entlasten, wenn wir uns ab und an um die Enkelkinder kümmern. Großeltern zu sein, ist eine schöne Aufgabe. Wir brauchen nicht mehr erziehen, sondern können einfach Oma oder Opa sein. Aus dieser Aufgabe sollten wir aber keinen neuen „Job“ machen, indem wir die Eltern zu ersetzen suchen. Dann verlieren wir unsere Großelternrolle und übernehmen die Erziehung. So schön das vielleicht in der Großfamilie früher war, wenn die Kinder so viele Ausweichpersonen hatten. Da waren die Eltern immer in der Nähe. Die Mütter waren auch berufstätig, aber ob im Stall oder im Laden, sie waren in der Nähe. Großeltern, die heute die Erziehungsarbeit übernehmen, setzen sich an die Stelle der Eltern. Sie übernehmen dann die  Verantwortung für die Kinder oder stören zumindest die Beziehungsgestaltung der Eltern zu ihren Kindern. Außerdem treiben sie ihre eigene Zeit hinaus, die sie dafür nutzen müssten, ihr Alter zu gestalten.

Das Alter neu organisieren

Es braucht nämlich neue Impulse für die nächsten Jahre. Nicht nur Alleinlebende sind gefordert, noch mehr vielleicht Ehepaare brauchen neue Ideen, wie sie ihr Zusammenleben in der Zeit nach dem Beruf gestalten wollen. Wenn Enkelkinder an diese Stelle treten, verschieben sie diese Aufgabe nur auf später, denn auch die übernächste Generation wächst heran und geht irgendwann in ihr Leben. Dann stehen wir vor der gleichen Situation wie schon einmal, nur um viele Jahre gealtert. Jetzt noch etwas Neues, Eigenes aufzubauen, fällt dann sehr viel schwerer. Wenn Großeltern zu Eltern werden, können Enkelkinder nicht erkennen, was eigentlich Großeltern-Sein bedeutet und welchen Sinn das Alter macht.
Hat das Alter eine eigene Aufgabe? Wozu ist es gut alt zu werden oder nicht mehr zu arbeiten? Worin besteht die Daseinsberechtigung der Alten?

Würde und Achtung

Das Alter definiert sich nicht mehr durch Arbeitsleistung noch durch die Übernahme von Verantwortung im beruflichen Leben, sondern es ist die Phase der Weisheit. Wir können anders auf die Welt schauen, mit mehr Tiefgang Dinge einordnen, die Hektik nicht verstärken, innere Größe entwickeln und für Nachhaltigkeit sorgen. Reisen heißt dann, nicht einfach nur aus dem etwas unlebendigen Leben zu Hause auszubrechen, sondern die Kultur, die Geschichte, die Erfahrungen weiterzugeben Es geht nämlich im Alter um die Weitergabe unseres geistigen, nicht nur des materiellen Erbes. Unsere Lebenserfahrung ist ein nicht zu unterschätzendes Gut, das für das Verständnis der Vergangenheit sowie der geschichtlichen Hintergründe für die nächste Generation unentbehrlich ist.
Wenn wir wollen, dass die Jungen uns mit Achtung begegnen, brauchen wir ein eigenes Leben, das sich mit Themen auseinandersetzt, für die die Jüngeren in ihrer jetzigen Lebensphase noch keine Zeit haben.

Ein Ehrenamt im Alter

Ein Ehrenamt unterstützt nicht nur die Vitalität des älter werdenden Menschen, sondern auch die Lücken in unserer Gesellschaft, die wir als Ältere abdecken können. Da gibt es für alle Talente etwas. Es gibt Ehrenamtsbörsen, wo sich jeder kundig machen und das für sich entdecken kann, was zu ihm passt. Ein Ehrenamt schützt vor Vereinsamung, hält uns lebendig, unterstützt uns in unserer Wachheit für die Themen der Gesellschaft. Gerade die Kunstschätze und Kirchen sind den Älteren anvertraut, so dass sie nicht verschlossen bleiben müssen. Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn wir schon während der beruflichen aktiven Phase eine Vorstellung von unserem Ehrenamt im Alter entwickeln können.

Sich mit den großen Lebensfragen auseinandersetzen

Für die tieferliegenden Fragen an das Leben, nach Gott, nach dem Sinn des Daseins, nach der Freiheit wie auch die Aufarbeitung der Geschichte haben die Senioren Zeit. Da gibt es viele interessante Themen, die sich aus dem Blickwinkel und der Erfahrung des Alters lohnen. Die ausgewählten Themen steuern dann auch die Auswahl von Literatur, den Besuch von Veranstaltungen, vielleicht sogar die Belegung eines Studienganges an der Universität. Auf diese Weise kann ich mein Wissen für bestimmte Themen vertiefen.
Später kommt auch sicher eine Zeit, in der die Vorbereitung auf das Sterben und die Frage nach einem Leben nach dem Tode relevant werden.

Das Leben im Alter selbst regeln

Dankbar sind uns die Jüngeren, wenn wir unsere Wohn- und Lebenssituation für die letzten Jahre frühzeitig regeln. Wenn wir Ihnen Orientierung geben, was wir vorhaben, wie wir leben wollen und das dann auch selbst regeln:

  • Ziehe ich aus dem Haus oder der Wohnung aus, solange ich noch rüstig genug bin? 
  • Möchte ich im Pflegefall eine Pflegekraft, die bei mir wohnt oder 
  • gehe ich in ein Wohnstift? 

Solche Fragen beschäftigen Kinder mit alten Eltern. Allerdings sprechen sie selbst diese Fragen nicht so gerne an, weil sie fürchten, uns zu verletzen. Wir können ihnen helfen, indem wir dieses Thema selbst ansprechen und die Verantwortung für die konkrete Umsetzung auch tragen. Das heißt nicht, dass wir unsere Kinder aus diesem Prozess außen vor lassen, denn auch sie können uns beim äußeren wie inneren Aufräumen unseres Lebens behilflich sein.

 

 



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