Foto: Gianni Crestiani/Pixabay (Symbolbild)

Als Millennial in Taizé

Es ist Oktober, ich bin auf dem Jakobsweg unterwegs. Spontan beschließe ich, für meine letzte Urlaubswoche nach Taizé zu fahren, um mich mit Leuten in meinem Alter über Glaube, Gott und das Leben auszutauschen.

Ich sehne mich nach Gemeinschaft und Austausch, habe Lust, dreimal am Tag in der meditativ gestalteten Kirche die sich wiederholenden, eingängigen Lieder zu singen, zu schweigen, zu beten. Bedürfnisse, die mich auch im Alltag zuhause umtreiben und die häufig unerfüllt bleiben. Bei dieser die christlichen Konfessionen verbindenden Brüder-Gemeinschaft in Burgund verbringen jedes Jahr tausende Jugendliche und junge Erwachsene jeweils eine Woche zusammen.

Seit zwei Wochen bin ich auf einem Teilstück des Jakobswegs in der Provence in Frankreich unterwegs. Als Pilger. Zu Fuß. Ganz alleine. Ich habe das Alleinsein genossen, die Ruhe, auf mich gestellt zu sein. Es ist Anfang Oktober und ich hatte zwei Wochen lang fantastisches Sommerwetter. Ein Genuss. Aber jetzt reicht es mir. Es ist mir zu einsam geworden. Außer meinen Gastgebern jeden Abend habe ich niemanden getroffen. An keinem Tag. Die Etappen waren anstrengender als ich erwartet hatte, viele sehr steile An- und Abstiege, kaum Rastmöglichkeiten. Gerade an den harten Tagen fehlt die Motivation durch jemanden, der mitgeht, auch wenn man nicht viel miteinander redet.

Eigentlich für Taizé zu alt

Die Kernzielgruppe von Taizé sind 15- bis 29-Jährige. Ältere dürfen aber auch kommen. Als ich vor einigen Jahren zuletzt dort war, zählte ich noch zu den Jugendlichen, jetzt, mit 33 Jahren, gehöre ich in Taizé zu den „Adults“, den Erwachsenen. Was das genau für meinen Aufenthalt bedeutet, weiß ich noch nicht. Irgendwie gibt es wohl andere Unterkünfte und vielleicht ein etwas anderes Tagesprogramm. Da ich mich erst drei Tage vor meiner Anreise angemeldet habe, bin ich erstmal nur glücklich, als per E-Mail die Zusage kommt. Alles andere wird sich schon zeigen, denke ich. Im Grunde ist der Ort mir ja vertraut. Vorfreudig steige ich in den Bus.

Bei meiner Ankunft am Sonntag trifft mich fast der Schlag. Im „Adult Welcome“-Saal sehe ich fast nur graue und weiße Haare. Und fast nur Deutsche. Werde ich mir mit denen etwas zu sagen haben? War es ein Fehler, herzukommen? Hätte ich bei der Anmeldung doch lieber ein falsches Geburtsjahr angeben, mich jünger machen sollen? Ist Taizé einfach kein Ort für meine Altersgruppe? Ich halte mich selbst für kommunikativ und offen, auch mit anderen Altersgruppen, hatte mich aber so sehr darauf gefreut, Leute in meinem Alter zu treffen, dass ich jetzt die Vorstellung innerlich nur schwer aushalte, eine Woche lang „der junge Teilnehmer“ unter den vielen Älteren zu sein. Ich wollte mich doch mit Leuten in meinem Alter unterhalten, meiner Lebensrealität, über unsere Themen, mit anderen „Millennials“.

Ich überlege, die Woche in Stille zu verbringen. Ich weiß, dafür gibt es, statt der gewöhnlichen Unterbringung in Baracken ein eigenes Haus mit kleineren Zimmern, separatem Speisesaal und der Möglichkeit zur Einzelbegleitung durch einen Bruder. „Für Erwachsene geht das leider nur im Sommer“, erklärt mir eine der jungen Freiwilligen, die natürlich auch jünger ist als ich. Immerhin spricht sie Englisch und kann mich daher nicht auch noch siezen. „Du könntest aber in einen Schlafsaal bei den Erwachsenen übernachten, in dem alle schweigen. Dann kannst Du ja immer noch überlegen, ob Du tagsüber auch schweigen möchtest. Noch wärest Du alleine in deiner 6-Betten-Baracke.“ Damit kann ich erstmal ganz gut leben. „Vielleicht kommt noch jemand dazu, vielleicht auch nicht“. Natürlich kommt noch jemand dazu. Ein Taizé-Veteran, der auch im Schweigen übernachten möchte. Wir sagen uns nur kurz „Hallo“, den Rest der Woche werden wir uns kaum sehen. Tatsächlich haben wir die Baracke für uns, viel Platz und Ruhe. Wir bekommen kaum etwas voneinander mit.

Die Dreißig- bis Vierzigjährigen

Später am Tag treffe ich zwei Bekannte, eine ist auch das erste Mal über 30, fühlt sich aber auch noch jünger. Sie war schon viel öfter hier als ich und gibt mir den Geheimtipp, noch vor dem Abendessen mein Mahlzeiten-Ticket umzutauschen, damit ich die ganze Woche über bei den jüngeren Leuten essen kann. Das gelingt auch ohne Weiteres: „Ich bin 33, das erste Mal bei den Erwachsenen und würde lieber bei den Jüngeren essen, weil ich da Leute kenne“. Dafür hat man sofort Verständnis.

Zur Bibeleinführung gehe ich am Montag nach dem Frühstück aber ins Erwachsenen-Zelt. Zu meiner großen Freude fragt der Bruder bei der Einteilung der kleinen Gesprächsgruppen, wer zwischen 30 und 40 Jahre alt ist. Es bilden sich tatsächlich zwei Grüppchen mit jeweils etwas mehr als einer Handvoll Leuten in diesem Alter. Bereits nach den ersten Treffen mit meiner Kleingruppe merke ich: Hier fühle ich mich wohl, kann mich öffnen. Die anderen treiben ganz ähnliche Fragen, Probleme und Sehnsüchte um wie mich. Wir hören einander vertrauensvoll und wertschätzend zu. Niemand gibt ungefragt Ratschläge oder Lebensweisheiten von sich. Vielmehr schweigen wir auch phasenweise minutenlang, nachdem jemand von sich erzählt hat. Wir sind aus Deutschland, Indien, USA und Polen. Auch eine Französin ist dabei. Sie spricht etwas weniger gut Englisch als die anderen, so dass ein anderer Deutscher und ich immer wieder dolmetschen. Dadurch wiederholen wir vieles in unseren eigenen Worten und verstehen vielleicht noch tiefer.

Unser Alltag ist Thema

Wir sprechen über unseren stressigen, oft chaotischen Alltag, über das Bedürfnis, alles perfekt machen zu müssen. Über den Verlust von nahen Angehörigen und schwerwiegenden Krankheiten in der Familie. Darüber, wie es schwer es fallen kann, Gefühle zuzulassen, nicht zu verdrängen.
Unsere Schwierigkeiten, im Alltag Zeiten für Gebet, Meditation und Stille zu reservieren, den Wunsch, um nicht immer alles selbst schaffen und machen zu müssen, sondern auch abgeben, in Ruhe lassen zu können, um dann doch immer wieder ins Grübeln und Selbst-Machen zu kommen. Wie gelingen Beziehungen? Wie sicher muss man sich über den Partner*in sein, wenn man heiratet? Wie werden wir glücklich im Leben? Was brauchen wir dafür?
Was sagt uns eigentlich das Evangelium zu all diesen Fragen? Erstaunlich ist, wie nah Jesus uns in dieser Woche in unseren Fragen kommt. Oft trifft uns das, was der Taizé-Bruder in seinen Bibeleinführungen sagt, mitten ins Herz.

Millennials zwischen den Generationen

Beim Pilgern habe ich mir zwar einen langen Bart stehen lassen, trotzdem zucke ich immer wieder zusammen, wenn ich in dieser Woche von vielen deutschen Jugendlichen mit „Sie“ angesprochen werde. Den anderen in meiner Kleingruppe geht es auch so. Als Millennials fühlen wir uns oft wie zwischen den Stühlen, zwischen den Generationen. Natürlich gehöre ich zu den „Erwachsenen“, aber so richtig erwachsen bin ich dann irgendwie doch nicht mit Anfang, Mitte, Ende 30. Oder? Aber Anfang, Mitte 20 bin ich eben auch nicht mehr. In Taizé halte ich es jetzt gut aus, zu den „Adults“ zu gehören.
Wir thematisieren auch, dass es zuhause für unsere Altersgruppe, gerade mit religiösen Sehnsüchten und Fragen, oft schwierig ist, Anschluss zu finden, Gleichgesinnte zu treffen, dass es von den Kirchen nur wenige gute Angebote für uns gibt.

Was suchen wir eigentlich hier in Taizé? Was nehmen wir am Ende der Woche mit nach Hause? Für mich ist es mein Wunsch nach tiefgehendem Austausch in Gemeinschaft und nach Stille, Meditation und Gebetszeiten in meinem Alltag.

Link: Das ist die eine Seite von Taizé, in der Woche seines Aufenhaltes erfährt unser Autor, Matthias A. Schmidt von sexuellem Missbrauch in Taize

Wir werden nur generationsübergreifend zukunftsfähig:
Wie kann die Kluft zwischen den Generationen für eine gemeinsame Zukunft geschlossen werden?
Einladung zu einem Workshop im "Haus am Maiberg" in Heppenheim:
Realität trifft Wirklichkeit – Millennials und ältere Generation(en) im Gespräch

Welche Art von Bildung braucht die Generation der „Jahrtausender“ – welche die älteren Generationen? Wie können die Älteren den Millennials helfen, um in den Beruf zu kommen und Verantwortung in Politik und Gesellschaft zu übernehmen?


Kategorie: Entdecken hinsehen.net

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