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Ohne kulturelle Werte gibt es Krieg

Dieser Krieg in der Ukraine verunsichert uns alle, nicht nur die Verantwortlichen in den Regierungen. Darf ein Staatsmann einfach so einen Krieg anzetteln? Der Repräsentant der Orthodoxen Kirche rechtfertigt den Angriff – auf seine Glaubensgenossen in der Ukraine. Deren Repräsentant in Kiew verurteilt den Angriff. Zwei gegensätzliche Positionen, die nicht theoretisch geblieben sind.

Auf was kann ich mich verlassen?

Es erschreckt mich, dass solche Menschenrechtsverletzungen möglich sind und auch noch geduldet werden. Selbst nach den Massakern rechtfertigt der Angreifer seine „Spezielle Militäroperation“. Es erschreckt mich auch, dass der oberste russische Kirchenmann Kyrill nicht gegen diesen Krieg aufsteht, sondern ihn sogar rechtfertigt. Selbst auf die Kirche kann ich mich nicht mehr verlassen. Das haben wir ja im Missbrauchsskandal auch schon erlebt. Auf welchen Schutz kann ich denn hoffen? Wer sichert den Ukrainer*innen ihre Rechte? Putin erklärt den Krieg für gerechtfertigt und die große Mehrheit der Russen folgt ihm. Darf das russische Militär einmarschieren und sogar Zivilisten töten. Können durch Argumente die Menschenrechte einfach außer Kraft gesetzt werden? Es scheint so. Auch die Deutschen sind Hitler in Angriffskriege gefolgt. Offensichtlich funktionieren die Werte, die nach unserer Auffassung einen solchen Angriff eigentlich unmöglich machen müssten, nicht mehr. Diese Werte werden durch Kultur wachgehalten und dargestellt, Kultur in einem umfassenden Sinn.

Kultur verwirklicht sich im menschlichen Umgang

Kultur zeigt sich nicht nur durch Kunst, Theater, Architektur, sondern in den Werten, die unser Zusammenleben bestimmen. Achtung der Würde des Anderen, ethisches Verhalten gegenüber dem Nächsten entspringt aus dem Bewusstsein von etwas Größerem, einer höheren Wertebene. Es geht um Menschlichkeit, die jeden von uns auffordert, in sich das Gute zu entwickeln. Es sind in unserer Kultur die Werte, für die auch das Christentum steht. Eigentlich müssten die Kirchen gerade dann verlässlich reagieren, wenn diese entscheidenden Werte verletzt werden. Aber wir sehen es an Kyrill, wie er sich in diesem Krieg windet, seinen Glaubensbrüdern und - schwestern in der Ukraine zur Seite zu stehen. Er versündigt sich an ihnen. Kirchliche Amtsträger verpflichten sich als Wächter der Werte innerhalb ihrer Kirchen. Wenn dies nicht gewährleistet wird sprechen wir von einem Versagen der Kirche, es sind jedoch die Menschen, die sich vergehen, die Institution ist nur die Hülle. Solange die Verantwortlichen den Frieden nicht in sich tragen, kann ich mich nicht auf sie verlassen. Solange wir nur auf unerlöste Menschen angewiesen sind, greifen auch nur die Gesetze, die wir Menschen selbst herstellen und uns dann auch daran halten. Solche Gesetze können dann jederzeit auch wieder geändert werden. Wo bleibt die Gewissheit, dass es verlässliche Werte aus einem viel tieferen und größeren Urgrund gibt, die auch Krisen überstehen, gültig bleiben und sich als nachhaltig erwiesen haben?

Wenn eine absolute, nicht von Menschen manipulierbare Instanz fehlt

Wenn ich es genau betrachte, dann führt der Verlust von Gott oder einem existierenden Größeren in dieser Welt dazu, dass es außer den bestehenden Gesetzen, die jedes Land für sich aufstellen kann, keine Instanz, keine allgemein verbindliche Korrektur mehr gibt, von der ich Unterstützung erwarten kann und der gegenüber jeder von uns sein Handeln verantworten muss. Es geht dann nur um mich, um das, was ich in meiner Aufgabe und Verantwortung selbst entscheide. Diese Entscheidungen leiten sich davon her, wie ich und wie ein ganzes Volk sich definiert. Ein hedonistischer Ansatz, der sich nur daran orientiert, was meinem Leben nützt, entscheidet sich für das, was mir nutzt, ohne die Auswirkungen für andere in die Entscheidung einzubeziehen. Erst wenn ich durch mein Handeln mit dem Gesetz in Konflikt komme, steht mein Verhalten auf dem Spiel. Deshalb muss Putin die Massaker leugnen, um sich herauszuwinden.
Die unterschiedliche Wertorientierung führt in dem Ukrainekonflikt zu dem Paradox, dass Russland behauptet, die Ukraine von einem faschistischen System zu befreien und die Ukrainer befürchten, in das faschistische russische System eingegliedert zu werden. Solange Gott als oberste Instanz anerkannt wird, gelten die Werte, weil sie von Gott eingeführt sind. Deshalb ist es kein Problem zu erkennen, dass Kyrills Rechtfertigung des Angriffs mit der Botschaft Jesu nicht vereinbar ist. Was aber, wenn eine solche Instanz nicht mehr anerkannt wird.   

Werte sind von sich aus wertvoll

Die Werte wie Menschlichkeit, Sozialverhalten, Nächstenliebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Achtung vor der Würde des anderen, Freundlichkeit dem anderen gegenüber können nicht wie z.B. die Verkehrsregeln einfach durchgesetzt werden, weil sie nicht von Gesetzen verordnet werden können. Um ethisch zu handeln, braucht jeder einen inneren Kompass, eine moralische Kompetenz, die wir bereits als Kind in uns ausbilden, damit wir soziale Wesen werden. Ist es nicht Zeit, uns in unserem Jahrhundert wieder mehr für die Werte einzusetzen, damit es gelingt, eine Kultur der Menschlichkeit auch weltweit zu schaffen, die dann Kriege nicht entstehen lässt.? Als Kind schon entwickle ich ein Gespür für wertvolles Handeln, erkenne was gut und was böse ist. Aber diese Erkenntnis alleine, ohne den Blick auf das Ganze, auf eine höhere Instanz, die für diese Werte steht, die mein „gutes“ Leben will, reicht nicht aus. Ethische Normen können, wenn sie nicht tief genug verankert sind, befolgt oder missachtet werden. Als Moral bleibt dann übrig, was die gängigen Normen in der Gesellschaft fordern. Auch diese Normen kann ich missachten, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Erst wenn Gesetze greifen, kann ich nicht mehr einfach gegen die Normen verstoßen.

Wer sichert die Werte?

Wie schnell sind menschliche Werte ausgehebelt, weil niemand zu wertvollem Handeln verpflichtet werden kann. Auf Menschen kann ich mich anscheinend nicht verlassen. Putin beweist, dass man einen Krieg rechtfertigen und damit Menschenrechte verletzen darf. Er zeigt damit, wie Werte missachtet und nicht einfach von Menschen gesichert werden können. In fast allen autoritären Staaten kann ich das an dem Stellenwert der Freiheit beobachten. Frieden gilt nicht mehr, wenn die Freiheit u.a. Grundwerte außer Kraft gesetzt werden, um die eigene Macht zu sichern. Dann geht auch die Verpflichtung gegenüber Gerechtigkeit, Sozialverhalten, Achtung der Würde des anderen verloren.
In dem Maße, wie diese Werte herausgearbeitet und vermittelt werden, wie ich sie persönlich umsetze, wird deutlich, dass diese Werte nicht von Menschen gemacht worden sind. Sie können nur erkannt und anerkannt werden. Je mehr diese Einsicht wächst, desto weniger besteht die Gefahr, dass die Werte, die das Zusammenleben sichern, wie jetzt durch einen Angriffskrieg, außer Kraft gesetzt werden.
Dann wird auch deutlich, dass die grundlegenden Werte nicht von Menschen garantiert werden können, auch ein Parlament oder ein Präsident kann sie nicht „machen“, sondern nur anerkennen. Es wird eine höhere Autorität sichtbar, die diese menschlichen Werte in ihrer Wirkkraft hält. Deshalb können wir auch über die Existenz oder Abschaffung der Werte nicht entscheiden und sie auch nicht ummodeln.

Eine höhere Instanz gibt Hoffnung

Die Verbindung zu einem „Höheren“, für mich ist es Gott, hält mich in der Hoffnung, dass es nicht beim Krieg bleibt. Diese höhere Instanz gibt mir Orientierung für mein inneres Wachstum, indem ich mich an den von ihr gesetzten Werten orientieren kann. Jesus hat sie uns vor über zweitausend Jahre vorgelebt. Gewaltfreiheit, Gewaltenteilung, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, soziale Hinwendung.

Warum setzt die höhere Instanz ihre Werte nicht durch?

Vielleicht fragt sich der eine oder die andere jetzt: „Wenn es da „Etwas Größeres “ gibt, das für die Werte steht, weshalb greift es nicht in das Weltgeschehen ein? Dann hätten wir doch alle Sorgen los.“
„Dieses Höhere“ kann nicht eingreifen, weil es um uns geht, um unsere innere Entwicklung als Menschen. Ich habe die Aufgabe, als intelligentes Wesen diese Werte in mir wachsen zu lassen, damit sie in meinem Handeln immer mehr zum Ausdruck kommen. Würde Gott uns diese Aufgabe abnehmen, würde der Mensch noch willkürlicher handeln und eine Atombombe wäre über Kiew längst gezündet.

Die Frage: Warum Gott nicht eingreifen kann, wird hier ausführlicher reflektiert: 
Noch mehr Gewalt, wenn Gott eingreift, Theodizee3

 

Russen rechtfertigen den Krieg. Dass70% der Russen hinter dem Krieg hinter Putin stehen und daher für den Krieg sein können, ist wenig bekannt. Warum die Ukrainer sich so entschieden von Russland distanzieren, anders als die Menschen in Belarus, ist in Gewalterfahrungen bereits im 20. Jahrhundert begründet. Hier weitere Informationen. Dazu hier weitere Informationen: Ukraine: Warum muss sie “zur Raison gebracht werden“?


Kategorie: Analysiert

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