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Nach-Denken übers Schenken

Der Lockdown kurz vor Weihnachten hat viele, die noch Geschenke besorgen mussten, unter Druck gebracht. Noch auf Amazon umzusteigen, war riskant, denn fraglich, ob die Pakete überhaupt noch angekommen wären. Da gab es dann oft nur noch Geldgeschenke. Bei mir hat das Überlegungen ausgelöst.

Aus den Geldgeschenken rauskommen

Von Geldgeschenken wollte ich mich immer verabschieden, weil für mich dabei das fehlt, was ich mit Schenken verbinde, nämlich Nähe und Beziehung auszudrücken. Das gelingt mit Geldgeschenken nur, wenn sie mit einem konkreten Wunsch verbunden sind, den der Schenker unterstützen kann. Oder wenn eine Anschaffung ansteht, auf die hin gespart werden soll. Oder für etwas ganz Besonderes, was sich der andere vielleicht selbst nicht so schnell kaufen würde. Aber Geldgeschenke bleiben für mich auf einer viel distanzierteren Ebene als etwas, das ausgepackt werden kann. Geschenke, bei denen der Beschenkte erkennen kann, dass ich ihn damit meine, dass ich ihn mit seinen kleinen oder großen Wünschen kenne. Geschenke, die auch zeigen, dass ich über das Jahr hinweg mitbekommen habe, über was sich der andere freuen würde. Im Schenken kann ich die Beziehung spüren. Bin ich mit dem Beschenkten in gutem Kontakt, kann ich in Gesprächen während des Jahres erfahren, in welche Richtung ich den anderen überraschen kann.

Ein Kleid nur für mich

Aus meiner Kindheit ist mir ein Weihnachtsgeschenk eindrücklich in Erinnerung geblieben. Unter dem Weihnachtsbaum lag für mich ein Päckchen mit einem Kleid. Es war ein neues Kleid, mein erstes gekauftes Kleid - nur für mich alleine. Meine unbändige Freude über dieses Geschenk lag auch daran, dass ich mich damit als ganz eigene Person unter der großen Geschwisterschar erleben konnte. Ich war jetzt jemand. Ich hatte etwas Eigenes, musste nicht die abgetragenen oder umgearbeiteten Sachen meiner Geschwister oder Tanten auftragen. Meine Eltern hatten meine innere Sehnsucht, einen eigenen Platz als Kind zu besetzen, erkannt. Heute sehe ich deutlicher, dass sie damit meine Individualität unterstützt haben. Dieses Geschenk war nämlich mehr als nur ein neues Kleid, sondern auch eine Stärkung meiner Person als Mädchen in meiner von Jungen dominierten Familie. Möglicherweise habe ich mir das als Neunjährige noch nicht bewusst machen können, aber vermutlich gespürt, sonst wäre dieses Weihnachtsgeschenk nicht so eindrücklich in meiner Erinnerung geblieben.
Offensichtlich hat dieses Geschenk genau meine Sehnsucht zu dieser Zeit getroffen. Bei vielen Geschenken, die ich in den vergangenen Jahren selbst verschenkt habe, bin ich da nicht so sicher.

Schenken ist anspruchsvoll

Der Rückblick und die Schlussfolgerungen, die ich aus den Erfahrungen ableiten kann, stellen mir die Frage: Was will ich mit einem Geschenk mitteilen? In erster Linie geht es doch darum, dem anderen eine Freude zu machen, eine Verbindung zu vertiefen, ihn in seiner Person mit etwas zu würdigen, das zeitlich ein bisschen überdauert oder nachhaltig in Erinnerung bleibt. Ich möchte ihm sagen, dass ich an ihn denke und ihn in seiner Sehnsucht verstehe. Geschenke sollen die Beziehung unterstützen, aber nicht abhängig machen.
Kinder und Enkelkinder können noch Vieles brauchen, womit ich sie unterstützen kann. Sie sind ja erst im Aufbruch. Meine Generation hat schon alles, da ist das Schenken sehr viel schwieriger.

Zeit schenken

Ich frage mich natürlich auch, über was kann ich mich selber freuen. Denn mit zunehmendem Alter haben wir uns ja schon selbst viele Wünsche erfüllt. Im Haushalt haben wir bereits alles. „Stehrümchen“ im Wohnzimmer brauchen wir auch keine mehr. Welche Wünsche bleiben denn offen oder sind eigentlich immer virulent? Welche kann ich mir auch nicht alleine erfüllen? Vielleicht ist das der Schlüssel zum Schenken, dass ich etwas verschenke, was der andere sich nicht selbst erfüllen kann. Corona hat es auf den Punkt gebracht. Wir erfahren es immer noch schmerzlich, wie uns die Kontakte fehlen. Die Sehnsucht nach Begegnung mit den anderen, nach gemeinsamem Lachen, nach Unternehmungen miteinander steckt tief in uns allen. Ist es nicht ein Herzenswunsch, einfach Zeit mit den anderen zu verbringen? Sind das nicht die Geschenke, die uns stärken, uns lebendig halten, die unsere Seele nähren, damit wir dem Leben zugewandt bleiben? Zeit schenken, um etwas gemeinsam zu unternehmen, zu erzählen, neue Erfahrungen miteinander zu machen, damit in den Erinnerungen später noch etwas davon da ist. Das ist vielleicht die Nachhaltigkeit von Geschenken, wenn sich etwas im anderen von mir einprägt, an das er sich sogar noch im Alter erinnern kann. Später, wenn die Zeit sowieso stiller wird, Begegnungen möglicherweise sogar nur noch begrenzt oder gar nicht mehr stattfinden, wie jetzt in Corona-Zeiten. Zeit schenken heißt doch auch, dass ich mich schenke, dass ich etwas von dem, was mich ausmacht, in die Begegnung mit dem anderen mitbringe. Ich teile mit ihm meine kostbare Lebenszeit, die doch erst so kostbar ist, wenn Begegnung und damit Beziehung geschieht. Wenn ich mir für das Zeitgeschenk dann auch noch etwas einfallen lasse, wie wir sie miteinander gestalten, dann geschehen neue Erfahrungen für beide. Ein Geschenk für den Schenker und den Beschenkten.

Aus dem Herzen schenken

Das kann eine Verabredung zum Wandern und einem gemeinsamen Picknick sein. Auch mit einem Überraschungstag, einer besonderen Besichtigung, einem gemeinsamen Saunabesuch oder einer Fahrradtour mit Übernachtung kann ich den anderen beschenken. Ich kann ihn an seinem Geburtstag zu mir einladen, eine Ausstellung besichtigen oder für ein Open Air Konzert Karten besorgen. Es müssen keine teuren Geschenke sein, um dem anderen Nähe zu zeigen. Manchmal sind es sogar gerade die kleinen Überraschungen, wie ein Blumenstrauß, der den Beschenkten mehrere Tage mit seinen wunderschönen Farben erfreut, selbstgebackene Plätzchen, die mit jedem Bissen an den Schenker erinnern, selbst gestrickte Socken, die zu den Lieblingsfarben der Garderobe passen, oder ein Geburtstagskuchen, ein Buch für das Hobby, ein Spiel das der andere mit mir spielen kann.

Die Geschenke verleihen Weihnachten nicht mehr festlichen Glanz. Hier zu Weihnachten wird anders


Kategorie: Analysiert

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