Die Auseinandersetzung mit dem Bösen-Remagen, Foto: hinsehen.net

Das US-Unterbewusstsein: waffenstarrend

59 Tote - für was mussten sie sterben? Es waren keine Feinde, es waren Amerikaner wie der Todesschütze selbst. Es waren auch keine Verbrecher, die bestraft werden sollten, sondern Konzertbesucher. Für die Motivsuche muss die Inszenierung berücksichtigt werden. Ein Konzert als Kulisse für ein Blutbad, verbunden mit der Gewissheit, dass die Schüsse weltweit registriert werden

Menschen bringen Menschenopfer dar. Anders als islamistische Attentäter scheint sich der Attentäter von Las Vegas nicht auf Gott zu berufen. Welchen Auftrag hatte er? Hat er sich diesen selbst gegeben oder führte er nur aus, was andere für erforderlich hielten? Die leichte Zugänglichkeit von Waffen ermöglichte seine Tat. Jedoch erklärt das nicht die perfekt Planung, die die Tötung so vieler Menschen zum Ziel hatte. Ein Vergleich mit der Schweiz zeigt die Kurzatmigkeit des Waffenarguments. Dort bewahren die wehrfähigen Männer das Gewehr im Schrank auf, ohne dass Bürger dieses Landes den Tod vor den Augen der Fernsehkameras inszenieren. Für eine Inszenierung spricht die Kulisse, die sich der Täter gewählt hat. Country-Musik - wir würden in Deutschland von Volksmusik sprechen.

Waffen wollen gebraucht werden

Über das Motiv des Täters wird gerätselt. Es ist aber wichtig, nach Motiven zu suchen. Denn Waffen wird es auch in Zukunft geben. Diese kommen erst dann zum Einsatz, wenn Menschen sie in die Hand nehmen.  Die Menschheit ist trotz Vernunftgebrauch in der Begrenzung des durch Waffen erzeugten Todes nicht sehr viel weiter gekommen.  Es gibt nur Steigerungen, so viele Menschen wurden bisher in den USA bei Massakern nicht umgebracht. Würden Massaker wie das in Las Vegas durch die Entwaffnung der US-Bürger verhindert?
Das erscheint nicht zwingend. Es liegt nicht primär an den Waffen. Der Schwede Anders Behring Breivik hat 2011 sogar 77 Menschen, vor allem Jugendliche getötet. Es sei auch auf die Schweiz verwiesen. Dieses Volk ist auch bewaffnet, denn faktisch jeder Schweizer steht nicht nur für den Militärdienst zur Verfügung, sondern hat auch sein Gewehr zu Hause im Schrank stehen. Warum werden aus der Schweiz nicht solche Todesorgien berichtet, wie aus den USA?
Zwar ist die leichte Zugänglichkeit zu Waffen ein Faktor, der jedoch nur erklärt, warum der Attentäter ein solches Blutbad anrichten konnte. Sein Motiv, tödlich auf Menschen zu zielen, ist im Übrigen nicht "tierischen", sondern menschlichen Ursprungs. Das legt auch die Inszenierung des Todes nahe, für die der Täter eine besondere Kulisse wählte.

Inszenierter Selbstmord

Viele Attentate junger Menschen können als Selbstmord erklärt werden. Schulversagen und soziale Isolierung stehen als Motive hinter den Überfällen in Schulen in Erfurt oder Winnenden und an vielen amerikanischen Schulen sowie auch hinter den Attentaten mancher junger Muslime. Wenn für das eigene Leben jede Perspektive verstellt scheint, dann sollen andere mit in den Tod gerissen werden, sogar ein ganzes Flugzeug mit einer Schulklasse an Bord, das ein junger Pilot 2015 gegen eine Felswand in Südfrankreich steuerte. Auch Stephen Paddock war ein solcher Selbstmörder. Er wurde nicht von der Polizei erschossen, sondern wendete eine der vielen Waffen gegen sich selbst. Ist Ausweglosigkeit das "Absolute Böse", das der US-Präsident ausgemacht hat?
Die Attentate in Schulen machen sowohl Lehrer wie Mitschüler zu Opfern von Selbstmördern. Die Schule als Ort des Versagens wird zur Opferstätte. Paddock hat eine andere Kulisse gewählt. Las Vegas braucht Events, um neue Kunden für seine Varietee- und Glücksspiel - Tempel anzuziehen. Will man dem Motiv des Täters auf die Spur kommen, dann sollte man die Kulisse berücksichtigen, die der Täter sich gewählt hat. Wie hängt aber Country-Musik mit dem hohen Bewaffnungsgrad der Amerikaner zusammen?

Die hochgerüstete Nation

Die USA sind eine waffenstarrende Nation. Sie rüsten jeden Bürger mit beliebig vielen Schusswaffen aus. Zudem hatte der Täter Materialien für Sprengstoff in sein Hotelzimmer geschafft. Weiter verfügen die USA über das größte und modernste Militärarsenal. Warum dieser Milliardenaufwand für den Schutz des eigenen Hauses wie der Nation? Die Nation scheint sich bedroht zu fühlen. Offensichtlich traut der US-Amerikaner der Polizei nicht zu, ihn wirksam zu schützen. Die USA gleichen einer Stammeskultur, der Jäger und Sammler, wo auch alle Männer bewaffnet sind. Offensichtlich haben sie noch nicht die Entwicklungsstufe solcher Stämme erreicht, die ja nur überleben, wenn die Männer die Waffen nicht gegen den Stammesgenossen richten.

Waffen gefährden das Überleben

Auch wenn Massaker wie in Las Vegas nicht durch den Besitz von Waffen verursacht werden, der Mensch muss mit diesen Instrumenten umgehen lernen. Zwar entwickelte der Frühmensch Waffen zuerst für die Jagd. Aber diese Waffen konnte er zugleich gegen seien Stammesgenossen einsetzen. René Girard, der in den Mythen Spuren des Vernichtungspotentials nachging, stellt uns folgende Situation vor Augen: Die Männer eines Stammes holen ihre Waffe für einen Jagdzug. Wenn es im Stamm Streitigkeiten und Spannungen gibt, können die Waffen auch gegen den Nachbar gerichtet werden. Deshalb ist mit hoher Sicherheit anzunehmen, dass nicht wenige Stammesgruppen des Frühmenschen untergingen, weil sie ihre Jagdwaffen gegeneinander richteten. Wenn man das erstaunlich hohe Aggressivitätsniveau betrachtet, das der Mensch immer noch gegen die eigenen Artgenossen wendet, dann sind es in den Kriegen Millionen Tote und in den USA immerhin 30.000 Menschen, die jährlich von Mitbürgern umgebracht werden. Diese Zahl könnte sicher reduziert werden, wenn die Amerikaner sich nicht in dem Umfang bewaffnen dürften. Inzwischen sind selbst Kirchen per Gesetz keine waffenfreien Räume. Das erklärt aber nur die Morde, denen einzelne zum Opfer fallen, nicht den Tod so vieler. Wenn von einem Massaker gesprochen werden kann, dann muss man das Blutbad auch als eine gigantische Inszenierung verstehen.

Gezieltes Töten im kollektiven Unterbewussten verankert  

Es muss noch eine Ebene unter der des zivilisierten Umgangs mit Waffen geben. Was als psychische Störung ausgemacht wird, ist doch nicht bloß eine individuelle Deformation von Stephen Paddock. So gestört kann zudem jemand nicht sein, der mit exakter Planung so viele Menschen durch gezielte Schüsse und nicht durch eine große Bombe in den Tod schickt. Irgendetwas muss doch unter dem breiten Konsens der amerikanischen Rechten und ihrer Republikaner liegen, das Grund dafür ist, die eigene Bevölkerung gerade mit Schusswaffen und nicht mit Sprengstoff oder Schwertern bzw. die Wohnungen mit elektronischen Sicherheitssystem auszurüsten. Während in arabischen Ländern mit Sprengstoff gearbeitet wird und die Deutschen ihre Wohnung gegen Einbrecher sichern, ist es in den USA der gezielte Schuss. Paddock hat das amerikanische Verhaltensmuster übernommen, das in vielen Western wie auch in der legendären Kojak-Serie vorgeführt wurde, eben das Böse mit der Schusswaffe unschädlich zu machen. Es geht also nicht primär darum, den Waffenbesitz zu reduzieren und keine Schnellfeuergewehre mehr zu verkaufen.  Es bleibt aber dann immer noch die Frage: Warum müssen gerade die Besucher einer Volksmusik-Veranstaltung umgebracht werden?

Das heimatverbundene Amerika wurde getroffen

Gezielt auf Menschen zu schießen, ist mit der Verbreitung von Gewehren direkt verbunden. Der durchschnittliche Amerikaner muss sich so bedroht fühlen, dass eine Pistole als Schutz nicht reicht. Jedoch hat Paddock sich nicht verteidigt, sondern Landsleute umgebracht, die die traditionelle Musik hörten, also eher heimatverbundene Landsleute. Es war also kein Angriff auf Einwanderer, noch auf eine ethnische Gruppe, sondern auf das traditionelle Amerika. Dieses Amerika, sein Präsident, der es beschworen hat und die republikanische Partei müssen sich die Frage stellen, was sich in den Tiefenschichten der amerikanischen Psyche zusammengebraut hat. Der zynische Rhetorik des Gewinners der Wahl war bereits ein ernsthaftes Signal.

Deutschland müsste da hilfreich sein können, denn immerhin konnte eine Partei mit Todessehnsucht 6 Millionen Juden umbringen, nicht gezielt mit Gewehrschüssen, sondern mit Giftgas. Diese zerstörerischen Kräfte bändigt die Vernunft offensichtlich nicht.
Thomas Holtbernd nimmt die mediale Verarbeitung des Massakers kritisch unter die Lupe


Kategorie: Analysiert

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