Foto: Lana Sator

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

Hinter den Kulissen der Lana-Sator-Spionage-Affäre: Ein persönlicher Einblick

"Gott beschütze dich, Svetlana", sagt der Kellner, als wir seine Bar in der albanischen  Hauptstadt Tirana verlassen. Worte, die nach meinem Gespräch mit Svetlana T., besser  bekannt als Lana Sator, in meinem Kopf nachhallen. Lana ist eine russische Urban-Explorerin, die sich auf Erkundungen verlassener Orte begibt. Vor ihrer Festnahme in Albanien hat sie auch geführte Touren zu sogenannten “Lost Places” angeboten. Über 240.000 Follower begleiten die 35-Jährige auf ihren Erkundungen. Doch seit dem 3. August 2022 haben ihre Abenteuer ein jähes Ende gefunden.

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

Als ich Lana treffe, erwartete ich eine Frau von eiserner Entschlossenheit. Doch was ich finde, ist eine Frau mit lebendiger Energie und einem unbeirrbaren Glauben an die Wahrheit. In ihren Augen liegt keine Spur von Schuld, nur das Funkeln der Entschlossenheit, ihre  Geschichte zu erzählen. Wir sitzen in einer kleinen Bar in Tirana, umgeben vom bunten  Treiben der Stadt, als Lana mir ihre Version der Ereignisse schildert.

Die drei Freunde, Lana T., Mikhail Z. und Fedir A., folgten ihrem Hobby für verlassene Orte.  Ihr Ziel war an jenem Tag eine verlassene Militärfabrik in Gramsh in Albanien. Doch was als harmlose Fototour geplant war, nahm eine dramatische Wendung, die bis heute ihre Folgen nach sich zieht. Als sie auf der Tour in der verwucherten Fabrik den Wachdienst bemerkten, trennten sich ihre Wege auf dem Gelände, und sie planten, sich in einem nahegelegenen Café wiederzutreffen. Das ist in der Szene so üblich, um am besten aus so einer Situation herauszukommen.

Mikhail wurde von dem Sicherheitsdienst angegriffen, der in ziviler Kleidung aus dem Gebüsch sprang. Daraufhin wollte er sich mit dem Pfefferspray verteidigen, was ihm jedoch  nicht gelang. Die Wachen riefen daraufhin die Polizei mit den Worten "Wir wurden von Russen angegriffen", wie Lana erzählt. Der Vorwurf: Das Pfefferspray sei eine chemische Waffe. 

Später wurden Lana und Fedir an einem Checkpoint mit Fedir’s auffälligen orangen Sportwagen angehalten. Sie mussten ihre Handys ausschalten, konnten aber noch  unbemerkt eine kurze Nachricht über die Situation an Freunde senden. Dann wurden sie zur Wache gebracht und von Anti-Terror-Einheiten zum Bezirkszentrum eskortiert. Dort wurden alle ihre Sachen, die sich im Auto befanden, von der Forensik beschlagnahmt und untersucht. “Gemäß örtlichem Recht darf man nur 10 Stunden ohne Anklage in Haft
genommen werden”, meint Lana. Das Verhör habe erst 20 Stunden nach der Festnahme auf Englisch begonnen, ohne Dolmetscher, ohne Anwalt und ohne Erlaubnis für Anrufe. Sie  sollten ein Schuldgeständnis unterschreiben, das sie der russischen Spionage in Zusammenarbeit mit dem Kreml beschuldigte.

Als ein russischer Dolmetscher dazu kam, korrigierte Lana viele Ungereimtheiten in der  Anklage. Man drohte ihr mit 10 bis 20 Jahren Gefängnis, wenn sie das Geständnis nicht  unterschreiben würde. Doch sie ist sich keiner Schuld bewusst und äußerte lediglich ihre Leidenschaft für verlassene Orte. Dann wurden alle in Einzelhaft in einer 2 x 3 Quadratmeter großen Zelle untergebracht. Es gab keine Matratzen oder Kissen, nur ein Metallbett mit einer Decke. 

Überraschenderweise waren die drei jedoch nebeneinander inhaftiert und konnten das erste  Mal miteinander reden. Lana erfuhr, dass Mikhail unter dem psychischen Druck des Verhörs  die Anschuldigungen unterschrieben habe und den Angriff mit dem Pfefferspray zugegeben  habe, jedoch korrigierte er dies als Selbstverteidigung.  

Obwohl Mikhails Geständnis kein eindeutiger Beweis war, war das für die albanische  Regierung Grund genug, sie einzusperren. Am 24. August 2022 wurden die drei dann in verschiedene Gefängnisse gebracht. Außer Mikhails “Geständnis” gab es keine Beweise gegen die drei - trotzdem wurden sie alle inhaftiert.

Nach 9 Monaten ohne neue Beweise und unter Auflagen konnten sie in die Freiheit entlassen werden. Die Behörden haben ihre Dokumente eingezogen. Ohne Dokumente, erzählt Lana, kann sie nichts machen - keine Arbeit, kein Geld, keine weiteren Reisen oder Touren. “Ich muss mich einmal im Monat bei der Behörde melden, um zu zeigen, dass ich noch im Land bin”, sagt sie, während sie mir Kopien ihres einzigen Dokumentes in Form eines DIN-A4-Blattes zeigt. 

Es ist bereits spät in der Nacht, als wir die kleine Bar im Zentrum von Tirana verlassen und Lana uns zu sich nach Hause einlädt. Die Worte des Kellners zum Abschied brennen sich  auf dem Weg in meinen Kopf ein, denn auch er hat wie viele andere den Fall in den Medien verfolgt. Wir laufen durch die stillen Straßen, die von den letzten Spuren des Tageslebens gezeichnet sind, hin zu ihrem bescheidenen Zuhause. Dort erwartet uns Mikhail, der seit  seiner Freilassung aus dem Gefängnis unter Hausarrest steht.

Hausarrest und verlorene Beweise: Die Suche nach der Wahrheit

Mikhail ist ein Schatten seiner selbst, eingesperrt in den engen Grenzen ihrer Wohnung, unfähig, die Freiheit zu genießen, die uns so selbstverständlich erscheint. Die Behörden haben ihn verdammt zu einem Leben ohne Möglichkeit. Er darf das Haus nicht verlassen, sei es zum Einkaufen, zum Spazierengehen oder seinem Hobby weiter nachzugehen. Einmal pro Woche kommen sie vorbei, um sicherzustellen, dass er noch immer dort ist. Ein entwürdigender Akt der Kontrolle, der seine Menschenrechte mit Füßen tritt.

Während Lana sich frei bewegen darf, ist Mikhail gefangen in den Wänden seines Zuhauses, ohne Hoffnung auf Veränderung. In einem Land wie Albanien, wo es keine Lieferdienste wie in vielen  europäischen Ländern gibt, wäre er allein nicht in der Lage, ein einigermaßen lebenswertes  Leben zu führen. Die Ungerechtigkeit seines Hausarrests liegt schwer in der Luft, ein stummer Vorwurf gegen die Behörden, die seine Freiheit willkürlich beschnitten haben.

Als ich die Wohnung betrete, spüre ich sofort die Schwere der Situation, die Mikhail umgibt,  während er mich ruhig und herzlich empfängt und bereit ist, meine Fragen zu beantworten. Seine ruhige Art steht im starken Kontrast zu der Dringlichkeit und dem Ernst der Lage, in der er sich befindet. Wir sprechen über die Ereignisse jenes verhängnisvollen Tages, als Mikhail sich gegen den Wachdienst verteidigt hat.

Ich frage mich, ob der betroffene Sicherheitsdienst schlimmere Schäden davongetragen hat und wie es ihm heute geht. Mikhail erklärt mir, dass der Mann am selben Tag aus dem Krankenhaus entlassen wurde, was eine Erleichterung zu sein scheint. Doch dann sagt Mikhail etwas Beunruhigendes: "Der Untersuchungsbericht des Arztes nach der Attacke ist weg." Die Worte hängen schwer in der Luft, und ich kann die Frustration in Mikhails Stimme spüren. Wie kann es sein, dass ein so entscheidender Bericht einfach verschwindet, besonders wenn er dazu beitragen könnte, die Unschuld von Mikhail zu beweisen und die Anschuldigungen gegen ihn zu entkräften?

Es ist eine Tatsache, die mehr Fragen als Antworten aufwirft und die Komplexität der Situation  unterstreicht, in der sich Mikhail befindet. Der Vorwurf, eine chemische Waffe benutzt zu  haben, konnte somit nie bestätigt oder widerlegt werden.

Als ich ihn genauer frage, wie er sich angesichts dieser Nachricht fühlt, spüre ich seine  Enttäuschung und Verzweiflung. Doch trotz allem bleibt er ruhig und gefasst, fest entschlossen, für seine Unschuld zu kämpfen. 

In diesem Moment wird mir klar, dass hinter den Schlagzeilen und den politischen  Problemen ein Mann steht, der einfach nur nach Gerechtigkeit strebt und bereit ist, für seine Unschuld zu kämpfen, egal wie aussichtslos die Situation erscheinen mag. Und während wir hier sitzen, umgeben von der Stille der Nacht, wird mir bewusst, dass diese Geschichte weit mehr ist als nur eine “Spionage-Affäre” ist. Sie ist ein Kampf um die Wahrheit und die Menschlichkeit, die uns alle betrifft. In dieser Wohnung, weit weg von den Schlagzeilen und den politischen Intrigen, spielt sich ein stiller Kampf ab, ein Kampf um die Grundrechte und die menschliche Würde. Fedir kann ich an diesem Abend nicht sprechen, da er in einer anderen Stadt wohnt.

Doch wohin könnten sie sich wenden, wenn der Fall in Albanien möglicherweise  abgeschlossen ist? Wo werden sie leben und was sind ihre Pläne? Eine Rückkehr nach  Russland ist keine Option, da dort ein internationaler Haftbefehl durch ein Gericht in Moskau gegen sie vorliegt. Es heißt, dass sie während ihrer Erkundungen verlassener Anlagen Fotos von Orten gemacht haben, die als Staatsgeheimnis klassifiziert sind. Während wir darüber sprechen, wird deutlich, wie erleichtert die beiden sind, dass sie nicht in einem russischen Gefängnis sitzen. Gleichzeitig diskutieren wir ihre Bedenken und Sorgen über die aktuelle  Lage in Russland, die sie ganz und gar nicht unterstützen.

Als wir uns verabschiedeten, blieb ein Gedanke in meinem Kopf haften: Die Geschichte der  verlassenen Fabrik in Çekin und der Lana-Sator-Spionage-Affäre ist komplexer, als es den  Anschein hat. Hinter den Schlagzeilen und den diplomatischen Verstrickungen stehen drei  Menschen, die nur ihrer Leidenschaft gefolgt sind. Die Regierung mag sie als Spione betrachten, aber das sind sie nicht. Sie befinden sich in  einer unglücklichen Situation. Und ich bin fest davon überzeugt, dass sie unschuldig sind  und ihre Geschichte noch nicht zu Ende erzählt ist.

Text: Lena Herrmann - kath.de - Redaktion

Foto: Lana Sator


Kategorie: Analysiert

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