Der Unterschied besteht nur im Kopf, nämlich was wir für die Wirklichkeit halten. Deshalb lässt sich das Problem lösen, aber nicht mit den Philosophien aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Eine Philosophie wie auch jede Theologie sind nur eine mögliche Weitsicht. Es gibt auch nicht nur das Christentum als Religion. Innerhalb des Christentums hat sich die Weltsicht zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert sehr verändert. Das hatte nur mittelbar mit der Religion zu tun, war aber keine Frage der Bibel, sondern der Philosophie. Im 13. Jahrhundert hat man das Irdische und das Göttliche noch als große Einheit gesehen. Beide waren dadurch verbunden, dass das Irdische seine Existenz von Gott hat. Das wurde durch die Bibel bestätigt, die in den Evangelien von einem Menschen berichtet, der als Gottes Sohn „Fleisch geworden“ ist, Inkarnation. Wenn es zwischen der weltlichen und der göttlichen Existenz diese enge Verbindung gibt, kann man aus der weltlichen Existenz einiges über Gott ableiten. Philosophisch hatten Platon und Aristoteles das bereits durchdacht, so dass beide von den christlichen Theologen einbezogen wurden. Die Theologie des Christentums artikuliert sich seitdem im gleichen Sprachgebrauch wie diese Philosophen. Hinduismus, Buddhismus und die chinesischen religiösen Vorstellungen arbeiten mit anderen denkerischen Voraussetzungen.
Im 14. Jahrhundert zerbricht die Selbstverständlichkeit
Diese Einheit erschien dem 14. Jahrhundert nicht mehr so sicher, vor allem, ob man vom Irdischen einfach ausgehend etwas Sicheres über das ganz andere Göttliche aussagen kann. Dafür erschien der menschliche Geist erst einmal zu schwach und durch die Sünde sogar defekt. Hinzu kam eine Kälteperiode und damit Hunger, so dass die Pest zuschlagen konnte. Innherhalb der Kirche gab es Streit, auch mehrere Päpste und auch die politischen Verhältnisse waren instabil. Die Einheit zwischen dem Göttlichen und dem Geschaffenen, so wie diese im 13. Jahrhundert gesehen wurde, war fraglich geworden, weil zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen der Unterschied zu groß ist, um über Gott mehr zu sagen, als dass er existiert. Dieses Existieren wurde von Aristoteles mit "sein" bezeichnet und zu "Sein" substantiviert. Für das 13. Jahrhundert hatten Schöpfer und Geschöpf das "Sein" gemeinsam. Da man allgemein über das Sein grundlegende Aussagen machen kann, z.B. dass es erkennbar ist, dass es in sich gut und nicht destruktiv ist, das es in sich eines ist, gab es eine gemeinsame Ebene zwischen Gott und Mensch. Im 14. Jahrhundert ist Sein nicht etwas Grundlegendes, das alles zusammenschließt, was wir dann „Wirklichkeit“ nennen, sondern nur noch eine Zuschreibung zu einem Einzelding, einer Person, dass sie „eben sind“. Sie sind nicht mehr einfach in einer tiefergehenden Gemeinsamkeit verankert. Es gibt es eben und muss jeweils einzeln untersucht werden. Wenn der Mensch diese Gemeinsamkeit des Existierens denkt, kann er mit eigenem Erkenntnisvermögen von Gott fast nichts weiter erkennen als dass er existiert. Es sei denn, Gott gibt sich von sich aus zu erkennen. Dann wird nicht die Natur, das von Gott Geschaffene, zur Erkenntnisquelle über Gott, sondern die Bibel. Sich mit der Bibel zu beschäftigen, ist dann auch zur Praxis der Protestanten geworden. Weshalb sie auch die "Evangelischen" genannt werden. Diese neue Philosophie schlägt sich auch in der Kunst nieder. Wenn jeder Grashalm sorgfältig gemalt ist, dann zeigt sich der Schwenk vom Allgemeinen, von dem, was man über alles aussagen kann, hin zum Individuellen.
Der Mensch wird von seinen Gedanken geleitet
Das klingt erst einmal wie ein Gedankenspiel. Das ist es auch, es sind Gedanken, die der Mensch sich über Gott und die Welt macht. Jedoch wirken diese erheblich auf den Menschen zurück. Denn so, wie er sich in der Welt fühlt, handelt er auch. Für das Verhältnis der Konfessionen, das ist die These dieses Beitrages, hat das zur Folge, dass es weiter zwei Kirchengebäude gibt, weil die Theologen nicht über die zugrundeliegenden philosophischen Fragen reden. Beide bräuchten dringend eine neue Philosophie, die nicht mehr trennt. Die Katholiken, die meinen, eine zu haben, die auch noch weitere Jahrhunderte hält, brauchen deshalb eine, weil sie einer Illusion aufsitzen, denn Relativitätstheorie und Evolution liefern ganz neue Denkansätze, während sich die katholische Theologie immer noch auf die sehr gute, aber weiter zu entwickelnde Naturphilosophie von Aristoteles stützt. Auch muss sich diese Theologie mit den Medien beschäftigen, durch die sie sich vermittelt, ist sie doch selbst mit einem neuen Medium groß geworden. Während die jüdischen Theologen mit Schriftrollen gearbeitet haben, nutzten die Christen den Codex, also geschnittene Blätter, die zu einem Buch gebunden wurden. Aber anders als die Naturwissenschaften bilden gedruckte Fachzeitschriften immer noch das Basismedium der Theologen. Was werden die digital aufgewachsenen Generationen einmal aus der Theologie machen? Ob die Theologie junge Menschen mit neuen Ideen anzieht, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie weiter mit Print Zugang zu dem theologischen Denken finden müssen.
Welchen Einfluss die Philosophie auf konkrete Fragen des Zusammen bzw. Getrennt der Konfessionen hat, kann am unterschiedlichen Verständnis des Abendmahls abgelesen werden, das bei den Katholiken „Eucharistie“ benannt wird. Von dieser Frage kommt man dann auch zu dem unterschiedlichen Glaubensverständnis, das aus der jeweiligen Philosophie folgt und dazu führt, dass sich „katholisch“ und „evangelisch“ so verschieden anfühlen.
Der Stellenwert des Glaubens ändert sich grundlegend
Die Reformation selbst war nicht theologisch motiviert, sondern durch den Zustand der Kirche. Sie hat sich jedoch, als Erneuerung angetreten, eine neue Theologie gegeben, um Fragen anders zu beantworten. Die Philosophie, auf die sie ihre Theologie stützt, ist nicht die des Aristoteles in ihrer Ausformung durch die Scholastik. Zwei englische Franziskaner, Duns Scotus und Wilhelm von Ockham sind die Väter des Nominalismus. Der Begriff besagt, dass wir den Dingen, ihren Eigenschaften nur Namen geben. Ob das, was wir bezeichnen, auch das tatsächlich ist, was wir meinen, müssen wir einzeln überprüfen. Damit werden alle philosophischen Aussagen nur Vermutungen und die empirische Überprüfung zum Wahrheitskriterium. Das leitet die Moderne ein. Auf der einen Seite die Beobachtung und das Experiment, mit denen Gott aber nicht erreicht werden kann. Die religiösen Wahrheiten muss der Einzelne in seinem Inneren suchen, wo er mit dem Glauben entgegennimmt, was die Bibel von Gott sagt. Während das 13. Jahrhundert dem Einzelne objektive Wahrheiten vorstellt, die ihn geistig fordern und an denen er sich als Person entwickeln kann, entdeckt das 14. Jahrhundert diese Wahrheiten im Inneren des Individuums. Damit gewinnt der Glaube einen zentralen Stellenwert, denn im Glauben erkenne ich das, was mir durch philosophisches Schlussfolgern nicht mehr als sichere Wahrheit erscheint.
Die Gegenwart Jesu in der Hostie
Es begann mit dem anderen Wirklichkeitsverständnis des 14. Jahrhunderts. Für Protestanten ist es seitdem schwierig, die Gegenwart Jesu in der Hostie real, also substantiell zu verstehen. Für den Katholiken heißt substantiell, dass sich nicht nur die Bezeichnung geändert hat, sondern etwas an der Substanz des Brotes. Die Protestanten sagen, die Hostie sei "bloß" ein Symbol. Sie bewahren Hostien, die nach katholischem Verständnis dauerhaft "konsekriert" sind, nicht auf. Für die Katholiken gelten nach dem Wirklichkeitsverständnis des 13. Jahrhunderts Schöpfung und Erlösung als Tatsachen, die es als Wirklichkeit zu akzeptieren gilt und damit auch die Hostie als Leib Christi. „Das ist so.“ Für die Protestanten ist das erst verstehbar, wenn es in den Glauben eingebettet ist.
Da die Gegenwart Jesu im Außen nicht erkennbar ist, muss diese im Glauben erkannt werden. Erst der Glaube kann dann in der Hostie die Gegenwart Jesu erkennen. Da jedoch das Göttliche vom Geschaffenen so verschieden ist, kann es nicht substantiell das Brotstück so verändern, dass es bleibend Leib Christi wird. Gott berührt das Stück Brot, aber es wird nicht zu Gott. Glaube heißt für Katholiken: "Anerkennen, was ist." Für Protestanten wohl eher, „Erkennen was geschieht“. Für Katholiken bleibt es auch "Geheimnis des Glaubens", das aber real vor ihren Augen passiert, für den Protestanten wohl eher ein Geschehen im Glauben. Der Glaube blickt nicht mehr zuerst auf das Außen, sondern auf das, was im Inneren geschieht, auf das, was der Glaube glaubt. Die Realität, um die in der Eucharistiefrage gerungen wird, sucht der Katholik in der veränderten Substanz der Hostie, der Protestant eher im eigenen Glaubensverständnis. Das mutet dem Katholiken zu subjektivistisch an, umgekehrt dem Protestanten das katholische Verständnis als zu blockartig und zugleich als ein Zuviel, das man einem Stück Brot nicht zuschreiben kann.
Anstatt die Mahlfeier zusammenführt, trennt sie. Das entspricht sicher nicht dem Willen Jesu, der diese Mahlfeier zu seinem Gedächtnis eingesetzt hat. Da für Katholiken ihre Weltsicht und für die Protestanten die Ihre selbstverständlich sind, kommt es in Gesprächen erst einmal zu der Reaktion: Was der andere von der Hostie, ihrem „Sein“ sagt, wiederspricht doch dem gesunden Menschenverstand. Damit bleiben beide in der frühen Neuzeit stecken.
Die Physik bietet den Theologen neue Erklärungsmodelle
Die neue Philosophie, die Protestanten und Katholiken zusammen feiern lassen würde, kommt aus der Physik. Von ihr kommen seit inzwischen 100 Jahren neue Möglichkeiten der Erklärung, wie Jesus in der Hostie gegenwärtig gedacht werden kann. Die Quantenphysik erklärt das Stück Brot zudem anders als der Nominalismus. Es ist letztlich Energie. Dass sie real ist, zeigt sich an der Atombombe. Diese Energie wird weder als Gegenstand noch als etwas, auf das ein Gegenstand symbolhaft verweist, sondern als Feld vorgestellt und kann auch so berechnet werden. Sich die Gegenwart Jesu anhand dieser physikalischen Beschreibung der Wirklichkeit vorzustellen, führt überraschenderweise auf die Bibel zurück, die die Gegenwart Jesu auch eher als weit ausgreifende Gegenwart beschreibt, denn als eingeengt auf ein Stück Brot. Man muss nur den Bericht vom Abendmahl mit anderen Aussagen Jesu verknüpfen, um sowohl die katholische wie die evangelische Vorstellung nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung zu sehen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hat Einstein Masse und Energie in eine gemeinsame Formel gebracht. Einen vergleichbaren Gedankensprung müssten die Theologen hinbekommen.
Eucharistie – weltumspannend
Es gibt in den Worten Jesu einmal die Konzentration auf ein Stück Brot und in anderen spricht er von seiner Gegenwart weltweit, dass wo immer "… Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind, ich mitten unter ihnen, bin.“ Das könnte man fortsetzen ".... selbst wenn es Protestanten und Katholiken wären." Das müsste doch auch den Theologen helfen, ein Wirklichkeitsverständnis zu entwickeln, das die Eucharistie nicht mehr als trennend hinstellt. Der Nominalismus leistet das offensichtlich nicht.
Die katholische Theologie kann sich von ihrer Substanz-Konzeption verabschieden, weil eigentlich nur Lebewesen ein Inneres haben, das die Materie z.B. zu einem Reh formt, also das haben, was Aristoteles als Dynamis, als formende Kraft gesehen hat. Bei einem Stück Brot gibt es diese formende Kraft nicht mehr. Das Brot ist nur deshalb eine Einheit, weil die gemahlenen Körner zusammenkleben. Dass es keine formende Substanz hat, zeigt sich daran, dass es schimmelt. Auch der Stuhl wird nicht wie der Körper durch eine innere Kraft zusammengehalten, sondern hat nur in der Vorstellung des Menschen eine strukturierende Idee, die aber erst funktioniert, wenn die Teile zusammengeleimt sind. Weil die Naturwissenschaften die Vorstellungen von Materie weiter entwickelt haben und auch die Philosophie die Kulturgegenstände besser erklären kann, hat die katholische Konzeption eine Fortentwicklung erfahren. Die Gegenwart Jesu in der Hostie wird u.a. ähnlich wie die Präsenz der Nation in ihrer Fahne gesehen. Wenn die Fahne aufgestellt oder aufgezogen wird, ist das nicht mehr nur ein Stück Stoff, sondern sie steht für die Nation und man diese direkt treffen, wenn man sie zerreißt oder beschmutzt. Wenn ein Koran verbrannt wird, dann brennt eigentlich nicht das Papier, sondern der Inhalt soll verächtlich gemacht werden.
Einen Zugang ermöglicht auch die Bibel: Jesus erscheint nach seiner Hinrichtung bei Treffen der Männer und Frauen, die sich zu dem Gedächtnismahl versammelt haben. Mit den Emmausjüngern vollzieht er sogar das Brotbrechen. Er bleibt jedoch nicht wie auf seinen Wanderungen, sondern entzieht sich. Das könnte die Hostie in einen größeren Horizont stellen, nämlich Jesus im Kranken, im Gemobbten, in dem an den Rand Gedrängten zu sehen und sich von Jesus begleitet zu wissen, wenn man zu anderen aufbricht.
Eine Weiterentwicklung des Verständnisses kann auch daran anknüpfen, dass das Brot auf Verzehr hin angelegt ist und nicht wie ein Diamant auf Dauer. Der Empfangenen soll in den mystischen Leib Christi eingegliedert werden. Augustinus hat den Akzent so gesetzt. Während das Mittelalter von Realpräsenz in der Hostie spricht, wird sie von Augustinus als Vermittlung für die wirkliche Gegenwart Jesu in den Gläubigen gesehen. Die Wandlung bleibt nicht bei der Hostie stehen, sondern soll die Gläubigen wirklich wandeln, also die Einzelnen zu Christusträgern machen. Das kann erklären, warum die Verehrung der Hostie der Katholiken für Protestanten befremdlich bleibt.
Das Mittelalter bleibt bestimmend, wenn es nicht weiter entwickelt wird
Die hier vorgelegte Rückführung des immer noch bestehenden Dissenses erscheint erst einmal überholt und nicht mehr in die Zeit zu passen. Der Dissens besteht auch mehr unter den Theologen als unter den Kirchgängern beider Konfessionen. Die fragen sich: Warum kann eine philosophische Frage aus dem 14. Jahrhundert die Kirchen heute noch trennen? Das sollten sich die Theologen zu Herzen nehmen. Würden sie sich nur ein wenig mit Relativitätstheorie und Quantenphysik beschäftigen, wäre ihnen nach einer Woche klar, in welch engem gedanklichen Konzept sie stecken geblieben sind. Es gibt auch Hilfen aus der Philosophie, die Engführung zu überwinden. Mir wurde durch "Auch eine Geschichte der Philosophie" von Jürgen Habermas klar, dass der Beginn der Moderne nicht erst auf das Jahr 1500 zu datieren ist, sondern dass diese 150 Jahre vor Luther beginnt. Diese Sicht in ihrer Dynamik und ihren nächsten Schritten bis zur Sprachphilosophie, von Jürgen Habermas entworfen, war für mich die entscheidende Antwort auf die Frage, warum die Konfessionen sich nicht auf eine gemeinsame Gottesdienst-Praxis einigen können und sich weiter den Riesenaufwand von zwei Kirchengebäuden leisten. Wenn nicht die Theologen, dann müssten doch die Finanzleute diese riesige Fehlinvestition als Fehlentwicklung brandmarken.
Die Beobachtungen, die von dieser philosophischen Differenz her gedeutet werden, weisen der steckengebliebenen Ökumene den Ausweg durch eine neue Philosophie, die zumindest die Katholiken dringend brauchen, damit ihre Fakultäten mitsamt den Bibliotheken nicht eingeschmolzen werden.
Der Nominalismus und die Dynamik, die diese Philosophie für die Entwicklung der Moderne entwickelt hat, ist auf den Seiten 759-821 im 1. Band von „Auch eine Geschichte der Philosophie von Jürgen Habermas mit direktem Bezug zu den Schriften von Duns Scotus und Wilhelm von Ockham dargestellt. Hier wird deutlicher als in vielen anderen Veröffentlichungen herausgearbeitet, was sich nicht nur in den Geschehnissen, sondern den inneren Überzeugungen des christlichen Europas verändert hat und bis heute wirksam ist. Hier zur Besprechung Habermas-Philosophiegeschichte-für Theologen lesenswert
Wie wir uns mit Hilfe der Radiowelle die Gegenwart Jesu in der Eucharistie vorstellen können:
Eucharistie – wie können wir uns Jesus in der Hostie vorstellen?
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