Kreml Kathedrale Foto: hinsehen.net E.B.

Moskau: Nachfolger des untergegangenen Byzanz

Das heutige Russland ist nach Osten orientiert. Die Wurzeln dieser Orientierung liegen in der Zeit, als der Osten Europas von den Mongolen beherrscht wurde. Moskau hat diese Herrschaft abgeschüttelt und von Westen her dieses Reich in Besitz genommen. Wie in den entscheidenden Jahrzehnten im 1500 die Weichen gestellt wurden, zeigt Vladmir Pachkov auf.

Wie immer, war es eine Mischung der Gegebenheiten, Fakten, Zufällen sowie bewusster Entscheidungen der Regierenden und ihrer Ideologen, das Land auf den Weg zu lenken, den es gehen musste und damit zu dem machte, was es ist. Seit dem 19. Jahrhundert bedauern viele, die eine Westorientierung Russlands wollen, dass der Kiewer Fürst Wladimir die Taufe von Konstantinopel und nicht von Rom empfangen hat. Diese Entscheidung hat das Land vom aufstrebenden Europa abgeschnitten und an das noch prosperierende, aber schon dem Tod geweihtes Byzantinischem Reich gebunden. Verhängnisvoll war aber noch nicht dieses Ereignis, sondern das, was später geschah. Erst mit der Abwehr des kriegerischen Einfalls Schwedens und des Deutschen Ordens, der Alexander Newsky zwang, sich den Mongolen zu unterwerfen, wurden die Verbindungen zum Westen endgültig gekappt. Das Land wurde erst langsam zu einem der asiatischen Reiche.

Nowgorod und Moskau: Zwiespalt zwischen Ost- bzw. Westorientierung

Die Moskauer Fürsten herrschten mit den Methoden, die sie von den Mongolen übernommen hatten. Sie bauten ihre Herrschaft aus, um nicht zuletzt den Einfluss und die Besetzung ihres Territoriums durch westliche Länder abzuschütteln. Sie konnten anderen ostslawischen Ländern ihre Herrschaft aufzwingen, die sich, wie sich herausstellte, von der mongolischen nur wenig unterschied. Jedoch existierte im Norden Russlands eine Stadt, die trotz ihrer Zugehörigkeit zur Orthodoxie sich mehr mit dem katholischen Europa verbunden fühlte als mit den Glaubensgenossen der neuen Supermacht Moskau. Nowgorod, eine Stadt, die vom Handel lebte, wo die Macht nicht dem Fürst, der nur für Armee zuständig war, sondern der Volkversammlung und der von dieser Volksversammlung gewählten Stadtregierung gehörte.
Die Beziehungen zwischen Nowgorod und Moskau symbolisierten in einem bestimmten Sinn einen Zwiespalt innerhalb der russischen Gesellschaft: Hier die Militärmacht Moskau, die in Zusammenarbeit mit der Goldenen Horde und in der Kampf gegen sie eine expansive Diktatur wurde. Dort die Handelsrepublik Nowgorod, die sich nach Westen orientierte. Die Stadt betrieb nicht nur Handel, sondern breitete sich territorial aus, so dass sie sich am Ende des 15. Jahrhunderts von der Ostsee bis zum Nord-Ural erstreckte.

Moskau ist militärisch überlegen

Einige Jahrhunderte existierte eine Symbiose zwischen beiden Machtzentren. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam es zu großen Veränderungen. Moskau hatte die Vorherrschaft über die anderen russischen Fürstentümer errungen. Im Jahre 1480, genau hundert Jahre, nachdem ein russisches Heer erstmals die bis dahin unschlagbaren Tataren besiegte, konnte der Großfürst von Moskau das Joch der Goldenen Horde abschütteln. Zwei Jahre zuvor hat er die Nowgoroder Republik erobert, nachdem seine in den Kämpfen gegen Tataren erprobte Armee die Milizen der Republik zweimal schlug. Nowgorods Verbündeter, der polnische König Kasimir, konnte der bedrängten Stadt nicht helfen. Das große Gebiet der Republik wurde von Moskau annektiert. Das war die Geburtsstunde des bisher nur als eine Provinz des mongolischen Reiches existierenden Russlands.

Russland entsteht im 15. Jahrhundert als Großmacht

Am östlichen Rande Europas entstand ein riesiges Reich, territorial schon größer als jeder andere Staat im Westen. Seine Wurzeln lagen nicht nur in der Kiewer Rus, sondern von da an auch in den Mongolischen Steppen, und im 1453 in die Hände der Osmanen gefallenen Konstantinopel. 1472 Ivan III. heiratete Sophia (Zoja) Paleiologa, die byzantinische Prinzessin und Nichte des letzten Kaisers. Russland war damals noch eine Provinz der Goldenen Horde. Niemand wusste, ob es sich jemals von diesem Joch befreien würde. Konnte man in Moskau schon damals davon träumen, das Erbe des oströmischen Reiches einzutreten? Gleichzeitig hatte man keine andere Wahl – entweder Moskau oder gar niemand, da alle anderen orthodoxen Staaten entweder von Osmanen oder vom katholischen Polen-Litauen beherrscht wurden. Das nur bald nach diesem Heirat Moskau Nowgorod unterwirft und sich von dem Joch der Tataren befreien konnte, war wahrscheinlich auch für Moskowiter eine Überraschung. Dass die Geburtsstunde des neuen Russischen Reiches unmittelbar auf die Eroberung von Byzanz durch die Türken 1453 folgte, regte schon damals einen Mönch dazu an, sich über die Stellung Moskaus Gedanken zu machen. 1510 entwickelte ein Mönch in einem Kloster in Pskov  die Idee, dass Moskau der dritte Rom sei.

Moskau – das Dritte Rom

Zwar wurde diese Idee von den Herrschern in Moskau aufgegriffen, aber angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Schwäche Russland hatte sie außerhalb  Russlands wie auch in den orthodoxen Ländern Osteuropas und auf dem Balkan kaum Resonanz. Heute scheint die Idee von der translatio imperii  das Selbstbewusstsein der herrschenden Elite in den Vereinigten Staaten zu bestimmen. Man ist davon überzeugt, dass die USA die wirklichen Nachfolger des alten, republikanischen Roms und seiner Militärmacht seien. So heißt das Parlamentsgebäude nicht zufällig „Kapitol“. Die Pax Amerikana ist eine Fortsetzung der zivilisierenden und friedensbringenden Pax Romana. Im Vergleich dazu fallen die russischen Versuche, das byzantinischen Erbe anzutreten ziemlich bescheiden aus. Für das Selbstverständnis des heutigen Russlands gibt eine Episode Aufschluss:

Als Putin die Klosterrepublik im Athos besuchte, ließ er sich auf dem Thron der byzantinischen Kaiser zwischen den hochrangigen Vertretern der orthodoxen Kirchen fotografieren. Das war wirklich ein seltsames Bild, den Präsidenten eines Staates des 21. Jahrhunderts in dieser Umgebung zu sehen. Auch wenn das alte Byzanz unter türkischer Herrschaft steht, die Idee dahinter war nicht so befremdlich, zumindest nicht für Russland. Sie ist so alt wie das Land selbst.

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Kategorie: Verstehen

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