Wie passt Corona und damit Evolution in die Schöpfung?
Nun können wir vergleichen, welche Sicht wir bevorzugen:
1. COVID ist eine Strafe Gottes und wir sollten uns bessern, wenn es auch noch so schwer ist.
2. COVID wird durch ein Virus verursacht, das nach den Mechanismen der Schöpfung entstanden ist. Diese
Mechanismen verletzen jene Werte, denen wir Menschen uns verpflichtet fühlen (sollten).
Option 1 wäre die eines strafenden Gottes. Ein solcher wäre zwar unangenehm, aber zumindest gerecht. Die moderne Theologie versucht, von diesem Bild wegzukommen. Außerdem: Die eigentlich Schuldigen an Corona wären dann wir Menschen – Corona hätte in diesem Falle durch unser Wohlverhalten vermieden werden können. Die Argumentation wäre ähnlich jener zum Sündenfall im Paradies: Als Strafe nach dem Sündenfall werden dem Menschen einige Plagen auferlegt, unter anderem das ‚gebären der Kinder unter Schmerzen‘ (1Mo 3,16). Heute wissen wir, dass eine Folge des Missverhältnisses zwischen der Weite des Geburtskanals und der enorm gewachsenen Schädelgröße des homo sapiens ist, also ein evolutionsbedingtes malum physicum, ein phsices Übel, das niemand verschuldet hat. In der Geschichte vom Sündenfall wird es jedoch als malum morale, also als menschliches Fehlverhalten gedeutet und der Mensch damit als Verursacher hingestellt.
Folgen wir Option 2, ist Gott vielleicht gar nicht so ‚lieb‘, wie Christen ihn gerne hätten. Er hat nicht „jedes Haar auf unserem Haupt beschützt“ (Lk 12, 7), wie wir Christen es doch von einem liebenden Gott gerne erwarten. Bedeutet es also wirklich einen Fortschritt, die Evolutions-Mechanismen genau zu kennen? Christen könnten dabei jenes Urvertrauen verlieren, dass „Gott alles gut gemacht hat“, wie es im Schöpfungsbericht heißt. Dies ist eine riesige Enttäuschung, manche würden sogar sagen, Häresie.
Vom Kinder- und Erwachsenenglauben
Immerhin sagte schon Paulus: „Da ich ein Kind war, sprach ich wie ein Kind, ich fühlte wie ein Kind, ich dachte wie ein Kind. Als ich ein Mann ward, war es mit des Kindes Welt vorbei“ (1 Kor 13,11). Vielleicht können erwachsene Christen auch aus dieser Erkenntnis lernen?
Versetzen wir uns als Christen einmal in die Lage eines externen Beobachters der Schöpfung: Alles, was Gott mittels Evolution aufgesetzt hatte, funktionierte hervorragend: Von Einzellern über Pflanzen und Tiere – wunderbare Formen und Funktionen entstanden. Ohne ein vorweg hineingestecktes Design hatte sich all das gebildet – alleine aus dem Zufall und den Regeln. „Solche Regeln muss man erst einmal erfinden“ könnte man sagen. Auch in diesem Sinne kann die Schöpfung als bewundernswerte Leistung gesehen werden!
So lange es nur Pflanzen und Tiere gab, war nichts auszusetzen am Fressen und Gefressenwerden, gleich wen es betraf. Man konnte zurecht befinden: „Er sah, dass es gut war“ (1 Mo 1).
Erst für den Menschen gilt der Gegensatz von Gut und Böse
Dann aber entstand der Mensch. Bei dieser Art setzten sich nicht nur jene durch, die körperlich die Stärksten waren, sondern auch solche, die jenes Organ mit der Fähigkeit zur Voraussicht, die ihr Gehirn besonders gut entwickelt hatten. Sie verwendeten es nicht nur für größeren Jagderfolg sondern auch dazu, sich gesellschaftlich zu behaupten, ganz klar: „Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes“ (Lk 16,8). Gleichzeitig wurde den Kindern dieser Welt bewusst, dass sie auch anders handeln könnten als sich brutal durchzusetzen: Die Schmerzen der Besiegten sind für den Menschen absehbar. Erste Entscheidungen wurden denkbar – und die Fähigkeit zur Folgenabschätzung unserer Handlungen als intellektuelle Leistung wird dann zur Voraussetzung für moralische Regeln.
Parallel zu alldem erstellte der Mensch in seinem Gehirn ein immer genaueres Abbild der Natur und erkannte schließlich, dass die Gesetze der Welt gar nicht jenen moralischen Regeln folgen, die er inzwischen für seinesgleichen als verbindlich erklärt hatte. Dies führte zur Frage:
Wie erklärt die Bibel das Woher des Bösen in der Schöpfung eines guten Gottes?
Bereits bei der Verfassung des ersten Testaments scheint die Erkenntnis mitgeschwungen zu haben, dass ‚Böses‘ in irgendeiner Form im Untergrund lauert und im Widerspruch steht zur Schöpfung durch den ‚guten und gerechten Gott‘ Abrahams. Eliminiert wurde dieser Widerspruch damals durch einen Bericht über Engel, die gut erschaffen wurden und sich dann aus freien Stücken dem Bösen zuwandten, zu finden bei Jesaja 14:12-14, Ezechiel 28,13-17. So war nicht Gott als Schöpfer, sondern die gefallenen Engel Ursache des Bösen. Dieser Deutungsversuch gesteht aber zu, dass ein allwissender Gott ein Geschöpf mit Freiheit zum Bösen ausgestattet hatte und das Risiko, dass Böses entstehen würde, ‚bewusst‘ in Kauf nahm. Es wird sogar betont, dass Gott dem gefallenen Engel „seinen Glanz nicht wegnahm“. Als Allwissender trug Gott nach heutigen Maßstäben die Verantwortung des Erzeugers, auch im Sinne einer ‚Produkthaftung und Technologiefolgen-Abschätzung‘. Dies ähnelt bereits der evolutionstheologischen Sicht, dass Gott negative Mutationen in seinem Schöpfungswerkzeug „Evolution“ in Kauf nahm und immer noch nimmt; Gott bewirkt schädliche Mutationen nicht im Detail, etwa im Sinne ‚Krebs als Strafe‘, erlaubt sie aber bewusst im Rahmen der geschaffenen molekularbiologischen Mechanismen. So konnte auch Corona ‚systemkonform‘ entstehen.
Hiob: Gott belohnt nicht das Verhalten gemäß seinen Geboten
Ähnlich argumentierte auch Hiob in seiner Anklage: Der Gerechte erfährt ungerechte ‚Strafe‘ – so deutete es Hiob damals. Nach Meinung Hiob’s hielt sich Gott nicht an jene Regeln, die er den Menschen verordnet hatte. Eine extrem harte Erkenntnis für jemanden, der daran glaubt, von Gott geliebt zu werden. Aus evolutionstheologischer Sicht würde man heute formulieren: Hiob erfuhr Leid- aus irgendwelchen unbekannten Ursachen - und dies hing in keiner Weise mit seinem davor untadeligen Leben zusammen; es geschah im Sinne von ‚shit happens‘, also systemkonform aus evolutionärer Sicht. Es existiert kein ‚Mechanismus zur Implementierung von Gerechtigkeit‘, der solches verhindern würde. Auch Gott sorgt nicht dafür, dass Ungerechtes nicht geschieht. Genau das hatte Hiob sich aber erwartet, deshalb seine Enttäuschung und Anklage. Mit seiner Einschätzung, es handle sich um ‚Strafe‘, lag er aus evolutionärer Sicht falsch. Hiob muss schließlich einlenken und tut dies auch – gesteht Gott zu, dass es ist, wie es ist und nicht, wie Menschen es gerne hätten. Genau diese bittere Erkenntnis versucht die Evolutionstheologie in den christlichen Glauben zu integrieren.
Auch einige Gleichnisse im Neuen Testament illustrieren ähnliche Ärgernisse, die Figur desungerechten Verwalter, Lk 16, 1-13, oder der Arbeiter im Weinberg: Mt 20, 16 und sind in Predigten augenfällig schwierig zu behandeln – widersprechen sie doch dem ‚Gerechtigkeitsempfinden‘ der allermeisten Christen und wären auch als Vorbild gesellschaftlich untragbar. So kann der ungerechte Verwalter einfach Schulden reduzieren, der Arbeiter, der nur eine Stunde im Weinberg gearbeitet hat, bekommt genauso viel wie die, die seit dem Morgen tätig sind. Die Heilige Schrift vergleicht auch - leider? - immer wieder solche Vorgänge explizit mit dem Reich Gottes: „Mit dem Himmelreich ist es wie ….“. Die Evolutionstheologie versucht, aus solchen offensichtlich treffenden Darstellungen ein realistisches Bild von Gott und der Welt zu entwerfen. Eine erste Korrektur könnte lauten: Nicht im Reich Gottes ‚geht es so ungerecht zu‘, sondern in jenen ererbten Teilen der Schöpfung, die noch keinen Intellekt mit Voraussicht kennen und daher auch keine Moral. Dann aber ist der von uns konstatierte Mangel an Gerechtigkeit vollkommen logisch, gleichsam systemimmanent – und vor allem keine ‚Eigenschaft Gottes‘, die Theodizee begründen/rechtfertigen könnte.
Leid aus Sicht der Evolutionstheologie
Mittlerweile wissen wir, dass Leid und Tod integrale Bestandteile der Evolution sind, also Teile der göttlichen Schöpfungsmethode und nicht notwendigerweise Strafen für Sünden im Paradies. Wenn aber manche Leiden keine Strafen sind, dann kann man sie auch nicht durch Wohlverhalten vermeiden – dies wäre doch sehr schön und einfach! Es mag dies für Christen eine noch härtere Enttäuschung sein als damals für Hiob, denn sie müssen hinnehmen, dass diese Leiden aus Gründen der Evolution system-immanent sind - und dies bildet ausreichend Grund für eine ‚molekularbiologische Theodizee‘: Die molekularen Mechanismen erzeugen weitaus mehr Fehlschläge (Leid) als Fortschritt. Dies könnte neben anderen eine weitere Neuauslegung der Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu erbringen.
Erst mit dem Menschen wird Gegensatz von Gut und Böse Thema
Der Intellekt des Menschen hat dazu geführt, dass er die Mechanismen seiner eigenen Entwicklung durchschaut. Sie erscheinen abgründig, jenseits ‚aller guten Sitten‘. Die erste und gravierendste ‚Erkenntnis‘ des homo sapiens war vielleicht die des sicheren, eigenen Todes. Der Intellekt, die höchste Entwicklungsstufe der Evolution, wird gleichzeitig zur Ursache von Entsetzen und Verzweiflung: Heidegger und Sartre erklären den Menschen als ‚in die Welt geworfen‘. Man muss aber bedenken, dass der voraussehende Intellekt erst ‚in letzter Sekunde‘ der Evolution hinzukam, und wir bewerten nun aus dieser späten Sicht, was vorher geschah. Erst der Mensch ist in der Lage, ‚intelligent zu designen‘, dies war in frühere Stadien der Schöpfung nicht ‚eingebaut‘. Anscheinend zog der Schöpfer es vor, dass der Intellekt sich entlang der Evolutionsmechanismen erst entwickelte und in frühen Stadien daher einfach noch nicht verfügbar war. Intellekt ist jedoch eine Voraussetzung für Ethik: Erst seit der Mensch entwerfen kann ‚wie es besser gehen könnte‘, leidet er an vorherrschenden Zuständen nicht nur wie Tiere, indem er sie bloß ertragen muss, sondern noch zusätzlich: Er muss zusätzlich hinnehmen, dass er bessere Lösungen zwar benennen, aber oft nicht umsetzen kann. Der Mensch heute versteht die Realität zwar ‚im Lichte der Evolution‘, verfügt aber zumeist noch nicht über die Mittel, sie entsprechend zu verändern, zu verbessern. Politik und Gesetzgebung (res publica) sind ehrliche Versuche und teilweise bzw. zeitlich begrenzt auch erfolgreich.
Wenn Christen an einen persönlichen, liebenden Gott glauben, wird im Lichte der Evolution folgende Annahme naheliegend: Betrachtet ein liebender Gott das Schicksal seines Geschöpfs Mensch in dessen Spannung zwischen Verstehen und Ohnmacht, muss er Mitleid empfinden und Erlösung herbeischaffen. Schließlich trägt ja der Mensch keine Schuld an den Evolutionsmechanismen, seiner Erkenntnisfähigkeit und deren Folgen: Das Erkennen hat sich als Produkt der Evolution eingestellt und muss vielfache Ohnmacht bei Verbesserungsversuchen hinnehmen.
Es gibt moralischen Fortschritt
Tatsächlich kam Jesus bereits ein paar Jahrhunderte nach Hiob in diese Welt und knapp bevor Darwin und der Mönch Gregor Mendel, beide 1800 Jahre später, sowie die Molekularbiologie 2000 Jahre später den Rest der Geschichte aufdeckten. ‚Knapp‘ steht hier in Relation zu jenen 200.000 bis 40.000 Jahren der gesamten Entwicklung des homo sapiens:
Durch den Intellekt war die Fülle der Zeit gekommen und machte es zu Beginn unserer Zeitrechnung erstmals möglich, zugleich aber auch notwendig, Erlösung zu spenden. Zuvor hätte es kein Verständnis der Zusammenhänge geben können.
Die Erlösung durch Jesus erfolgte jedoch nicht durch Veränderung der leid-erzeugenden Mechanismen – wie man glauben oder sich wünschen könnte. Sie erfolgte ganz anders, und zwar zweifach:
1. Durch Rezepte, die das von Menschen erzeugte Leid verringern, zusammengefasst in Bergpredigt und Seeligpreisungen (Mt 5,1 – 7,29), gleichsam als Ergänzung zum Dekalog. Die darin enthaltenen Anweisungen wenden sich explizit gegen jene Erblast aus gegenseitiger Aggression und Konkurrenz, die den Menschen aus ihrer evolutionären Entwicklung verblieben ist.
2. Durch Sympathie (Mitleiden) Gottes, der sich selbst mitten in jenes Gewühl begab, das seine Schöpfungsmethode hervorgebracht hatte: Von seinen eigenen Freunden verraten, in einem unter Besatzung leidenden, jüdischen Volk wird Jesus von einer korrupten Machtelite zu Unrecht verurteilt und zu Tode gebracht. Sogar der römische Lokalherrscher wirkt betreten und „wäscht seine Hände in Unschuld“. Genauer könnten Zustand und Aktivitäten jener negativen Auswüchse der ansonsten bewundernswerten Evolutionsprodukte nicht beschrieben und erfahren werden. Jesus hat das schwierigste aller Schicksale auf sich genommen, um jenen nahe zu sein, die an ihn glauben.
Diese zweifache Rolle der Erlösung mag geeignet sein, die ältere Vorstellung von der ‚Besänftigung eines erzürnten Vaters‘, die Satisfaktionstheorie abzulösen. Vielleicht erscheint sie als ‚nur schwacher Trost‘, verglichen mit der bisher gepflogenen Interpretation. Sie hat jedoch auch einen Vorteil: Sie erfordert keine nichtplausiblen Annahmen, wie etwa die Opferung des Sohnes durch einen liebenden Vater um dadurch sich selbst zu besänftigen, im Sinne eines ‚Lösegeldes‘. Sie ergibt sich vielmehr als naheliegende Folgerung aus dem Hinzukommen des Intellekts, den naturwissenschaftlichen Fakten sowie dem unverbrüchlichen Glaubensgut an einen liebenden Gott, als Urheber und Schöpfer der gesamten Welt. Damit weist das durch die Evolutionstheologie nahegelegte Verständnis von Erlösung in die Richtung, dass dadurch „die Menschen mit Gott versöhnt werden“ (Röm 5,10)
Die Evolution geht im ethischen Verhalten über die Naturgesetze hinaus
Schöpfung durch Evolution – dies ist ja schon seit geraumer Zeit kirchliche Lehrmeinung und wurde schon mannigfaltig beleuchtet. Aber theoretische Abhandlungen verbleiben doch eher im Intellekt und ergreifen nicht Besitz von unseren Emotionen.
Wenn wir aber hautnah erleben, wie die Evolution eines Virus über Monate hinweg das menschliche Leben weltweit maßgeblich verändert, werden die Wirkmächtigkeit evolutionärer Mechanismen und eines exponentiellen Wachstums plötzlich viel deutlicher. Es rückt die Details des Schöpfungsvorganges stärker ins Zentrum unserer Überlegungen: „Nothing in life makes sense, except in the light of evolution“ (T. Dobzhansky ) Wir sind Teil der Evolution, und sie hat Gesetze, die uns nicht immer gefallen. Das Virus verfolgt ausschließlich seinen eigenen Vorteil maximaler Vermehrung nach den ‚eingebauten‘ Gesetzen der Schöpfung durch Evolution und macht aus ethischen Gründen vor nichts und niemandem halt. Uns Menschen ist als einzigen Geschöpfen ausreichender Intellekt gegeben, auch andere Optionen zu verfolgen als die evolutionär tradierten, wie Pflanzen und Tiere dies müssen. Diese alternativen Optionen verringern insgesamt Leid, erfordern jedoch Anstrengungen. Christliche Ethik ist ein Programm in diese Richtung, und der Glaube kann Kraft und Sicherheit liefern, dieses Programm auch gegen althergebrachte Mechanismen der Evolution voranzutreiben, „den neuen Menschen anziehen“ heißt es im Epherserbrief 4, 22-32). Menschen sind die ersten Geschöpfe, die manche Gesetze ihres eigenen blutigen Entstehens überwinden können.
Wolfgang Schreiner, Wien
Der vorausgehende Beitrag, der am Corna-Virus die Mechanismen der Evolution erklärt, findet sich hier:
Corona - Produkt der Evolution
https://hinsehen.net/artikel/corona-produkt-der-evolution/https://hinsehen.net/artikel/corona-produkt-der-evolution/https://hinsehen.net/artikel/corona-produkt-der-evolution/Weitere Beiträge zur Evolution – kulturell und theologisch sind zusammengestellt im Modul Evolutions-Theologie
Leseempfehlung:
Wolfgang Schreiner, Göttliches Spiel Evolutionstheologie, Holzhausen-Verlag Wien, 2013, 374 S.
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