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Deshalb Sonntag - jenseits der Nützlichkeit

In der Woche müssen wir funktionieren. Wir werden entsprechend unserer Nützlichkeit beurteilt und dann auch bezahlt. Da jedoch unsere Würde nicht durch unser Gehalt bestimmt sein kann, braucht es eine Sphäre jenseits der Nützlichkeit.

Die Nützlichkeit ist notwendig, damit ein Zug fährt, ein Blinddarm operiert wird, ein Vertrag zustande kommt. Auch ein Kloster jedweder Religion muss nach Nützlichkeitskriterien organisiert sein. Jedoch kommt das Nützlichkeitsprinzip bereits mit jeder Unachtsamkeit und noch deutlicher mit jeder Krankheit an seine Grenzen. Wenn ich zum Schadensfall werde, braucht es die Nachsicht der anderen, die inzwischen durch Versicherungen abgefedert wird. Diese Welt funktioniert recht gut. Es gibt zwar viele Störanfälligkeiten, jedoch sind die Handwerkerautos schon morgens früh unterwegs, Verspätungen der Bahn werden zumindest online bekannt gemacht und dann gibt es noch die Rettungswachen, die inzwischen auch Hubschrauber im Einsatz haben. Aber sind wir deshalb geboren, um nützlich zu sein?

Kultur macht den Menschen zum Thema

Ich spüre es spätestens am Sonntagabend, ob ich aus der Nützlichkeitsecke herausgekommen bin, wenn sich dieses körnige Gefühl immer noch nicht aufgelöst hat, dass wie Sand in meinem Seelengetriebe für Mattigkeit sorgt, die mich lustlos wieder in die Woche stolpern lässt. Deshalb braucht es am Sonntag die Beschäftigung mit dem Menschsein. Wo komme ich her? Welche Bedeutung haben die Begegnungen und Erfahrungen der letzten Woche für mich? Wo will ich eigentlich hin und was eröffnet mir dafür neue Perspektiven? Wir leisten uns deshalb Theater, Kino, Museen und sogar Kirche. Es geht um mehr als Erholung. Wir müssen zwar wieder fit für die Woche werden, aber noch mehr sollen wir selbst das Thema des Sonntags sein. Der Sonntag soll sogar die Woche ändern. Das ist eigentlich mit Spiritualität gemeint.

Denn Alltag transformieren

Der Sonntag ermöglicht nicht nur Abstand und Aussteigen aus dem engen Zeitgerüst, er bietet uns eine Chance für die Woche. Das wird daran deutlich, dass ich gar nicht so ausgehöhlt das Wochenende erreiche, wenn ich die Nützlichkeitslogik auch während der Woche überschreiten könnte. Das wäre dann möglich, wenn ich den Blick auf mich selbst und die andere, in den ich eingeschwenkt bin, mit in die Woche nehmen könnte. Ich würde diesen Blickwinkel dann wieder erkennen, wenn ich die Menschen registrieren würde, die nicht nur nützlich, sondern dabei noch freundlich sind. Ich muss nicht bis zum Wochenende warten, um diesen Mehrwert zu erleben, der mir persönlich von einer Verkäuferin, einem Schaffner, einer Krankenschwester, aus einem verständnisvollen Gespräch entgegenkommt. Womit habe ich diese Zugabe verdient und woher nehmen diese Menschen dafür die Kraft? Sie holen doch den Sand aus dem Getriebe. Schaue ich mir den auf Nützlichkeit getrimmten Betrieb einmal an, dann muss ich nur realistisch sein, um zu erkennen, dass der doch immer wieder heiß läuft, dass die Verbindungen abbrechen, eine Unterschrift fehlt, jemand immer noch nicht reagiert. Genau dafür ist die Alltagsspiritualität da. Sie hält meinen Blick für das Unverwechselbare des anderen und für meinen größeren Lebenssinn offen. Dieser Blick braucht den Sonntag. Ich gewinne ihn, wenn ich den Ärger verarbeitet habe und mich dann den Begegnungen und Erfahrungen zuwende, die mich letzte Woche bei Laune gehalten, die den Sand aus dem Nützlichkeitsgetriebe herausgefiltert haben. Das Leben, das ich als lebenswert empfinde, liegt jenseits der Nützlichkeit.


Kategorie: Verstehen

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