Prof. Dr. Wolfgang Schreiner
Vor etwa 20 Jahren erweiterte ich mein Arbeitsfeld der Biosimulation und Klinischen Informatik in Richtung Bioinformatik. Dazu war es notwendig, die Grundlagen der dahinter liegenden Substanzwissenschaft, der Molekularbiologie zu verstehen. Ich studierte dazu eines der besten Lehrbücher: Alberts B., Lehrbuch der Molekularen Zellbiologie, Weinheim 2005. Es ist didaktisch hervorragend, reich bebildert und Pflichtlektüre für jeden Mediziner.
Was ich erwartete, waren komplexe, jedoch geordnete Systeme als Basis des Lebendigen. Doch nahezu das Gegenteil fand ich vor. Willkürlich verwickelte Interaktionen, hochkomplex aber anscheinend ohne generelle Struktur, Spieler und Gegenspieler, hochgradig labile Übersetzungsmechanismen, die aber dennoch geprüft werden, ja sogar Zufallselemente, die geradezu absichtlich eingebaut erscheinen. Es drängt sich der Vergleich mit mittelalterlich gewachsenen Stadtkernen auf: Kein Stück gerade Straße, kein rechter Winkel. All dies bleibt verborgen, wenn man Lebewesen nur makroskopisch bestaunt. Erst die mühsame Beschäftigung mit den molekularen Details machen den wahren Charakter der Vorgänge an der Basis des Lebens deutlich. Sie sehen vollkommen anders aus, als man sie aus den Texten der Glaubensinhalte und von einem umsichtigen Schöpfer erwarten würde.
Neben der Bioinformatik im Unversitätsklinikum versuchte ich daher, eine Lesart christlichen Glaubens zu entwickeln, die diesen Fakten nicht widerspricht und dennoch kompatibel mit den Grundfesten des Glaubens bleibt. Dieses Konzept nannte ich Evolutionstheologie und legte einen ersten Entwurf im Buch ‚Göttliches Spiel‘ dar (Schreiner, 2013).