Der Krimi begleitet eine Gruppe, die sich vor zwanzig Jahren unter dem Decknamen ROSE traf. Verkleidet und mit Maske kamen sie einmal im Monat in dem Internat Maria Hilf zusammen, um im „Raum der Ergebenheit“ bei klassischer Musik Kinder zu vergewaltigen. Es sind Missbrauchstäter, deren Taten damals nicht aufgedeckt wurden.
Schon die Eingangsidee, wie die Erzählung in Gang kommt, zeigt die Qualität des Buches. Alle erhalten einen Brief zu dieser gemeinsamen Wanderung mit Treffpunkt am 13. Mai in St.-Jean-Pied-de-Port im Hotel Pilgrim am Fuße der Pyrenäen, von wo aus die Tour startet. Mit dem Datum des 13. Mai, dem Fest des Eisheiligen Servatius hat es eine besondere Bewandtnis. Auch eine Journalistin und ein Kriminalkommissar des BKA, die damals an diesem Fall gearbeitet haben nehmen die Einladung an. Sie werden im Verlauf der 14-tägigen Wanderung eine wichtige Rolle spielen. Der Absender ist unbekannt, scheint aber viel Insiderwissen zu haben, denn er verspricht die Aushändigung eines, alle Missbraucher belastenden Videos, am Ende des Weges. Gleichzeitigt droht er damit, den Ring auffliegen zu lassen, wenn die Beteiligten seiner Einladung zur Sühnewanderung nicht Folge leisten. Alle erscheinen. Die Dynamik in der Gruppe nimmt ihren Lauf. In diesem Erzählkonzept kann der Autor die Hintergründe, die charakterlichen Verwerfungen des Milieus, in dem Missbrauch praktiziert wird, ausleuchten.
Tätertypologie
Zu Beginn werden alle mitwirkenden Personen in ihrem privaten Umfeld vorgestellt. Der Leser bekommt einen ersten Einblick in das ganz „normale“, oft sogar sehr erfolgreiche Leben dieser Missbraucher. Die Täterprofile werden im Verlauf der Tage auf dem gemeinsamen Weg deutlich. Fast alle sind mit Decknamen unterwegs. Über die weiteren aufregenden Ereignisse in dem Buch will ich nicht mehr verraten, um den Leser*innen die Spannung zu erhalten.
Es sind ganz unterschiedliche Motive und Hintergründe, die in den Missbrauchern stecken. Es gibt den triebgesteuerten, sexuell Gewalttätigen. Diejenigen, die selbst Missbrauch als Kind erleben mussten, kennen oft diese sexuellen Praktiken als einzigen Ausdruck ihrer eigenen Sexualität. Nicht zu vernachlässigen auch die Verführung über pornografische Internetseiten, über die sie dann in das Milieu hineingezogen werden. Es gibt den Schuldbewussten, der immer wieder erfolglos versucht, sich aus seiner sexuellen Sucht zu befreien. Er bräuchte Hilfe und Unterstützung, kann sie aber von der eigenen Ehefrau nicht erwarten. Eine Gruppe ganz „normaler“ Leute. Es gibt den Drahtzieher, der die Kinder beschafft. Missbrauch deshalb in der Gruppe, weil es von Schuldgefühlen entlastet, wenn andere es „auch tun“.
Die Dramaturgie fesselt von Anfang bis zum Ende
Der Autor Jörg Trauboth vermittelt mit einem genialen Spannungsaufbau viele Einblicke in die Missbrauchsszene und ins Darknet. Er „missbraucht“ sein Thema jedoch weder durch Darstellung der sexuellen Praktiken noch durch die Beschreibung brutaler Szenen. Seine jahrelangen Erfahrungen im Bereich der Gefahrenabwehr, seine Insiderkenntnisse, die Einarbeitung von Recherchen in die Erzählungen, ermöglichen, diese Krimihandlung auch als spannendes Sachbuch zu lesen.
Weil man das Buch wegen des Erzählbogens nicht aus der Hand legt, erreicht der Autor große Aufmerksamkeit. Die Leser*innen können eigene Beobachtungen an Kindern, Jugendlichen und Schüler*innen besser einordnen, hellhöriger werden auf die Zeichen und Hilferufe, die von missbrauchten Kindern ausgehen. Wenn sie aufmerksam geworden sind, können sie die Verletzung der Seele spüren und den Mut entwickeln, nicht mehr „wegzusehen“, sondern aktiv etwas zu unternehmen. Da die meisten Missbrauchsfälle in Familien passieren, die Pandemie mit den Lockdowns die Familien noch enger aufeinander verweisen, die Kinder wenig Außenkontakte haben, ist Achtsamkeit von allen noch dringender geboten.
Im Anhang finden sich Links für weitere Informationen, Adressen von Hilfsorganisationen, an die sich Betroffene wenden können und Telefonnummern für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Jörg H. Trauboth (1943) beriet mit eigener Firma und Task Force weltweit in geschäftlichen und persönlichen Krisen. Er ist Sachbuch- und Romanautor, gefragter Krisenexperte in den Medien sowie als ehrenamtlicher Krisen-Interventionshelfer in der Notfallseelsorge Bonn Rhein-Sieg und im Kriseninterventionsteam Bonn für das Auswärtige Amt tätig.
Jörg H. Trauboth; Jakobs Weg, Lohmar 2021, Ratio-Books, 389 S. € 16,90
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